Tiranas Neue Linke
25 Jahre nach Ende des Hoxha-Regimes gibt es in Albanien eine Neue Linke. Eine, die mit der alten Diktatur genauso wenig am Hut hat wie mit den Regierungsparteien. Ihr Treffpunkt ist das "Social Center". Scharf beäugt von den Etablierten, die die Bewegung zunehmend als Bedrohung wahrnehmen.
Tirana, eine Stadt von Bergen umgeben, viel Verkehr, bunte Häuser. Irgendwo dazwischen steht das "Social Center", ein kleines Einfamilienhaus in einem Wohngebiet. Hier ist die 30-jährige Deni aktiv, sie arbeitet für eine schwedische Menschenrechtsorganisation und zählt sich zur sogenannten "Neuen Linken". Seit Jahren kämpft sie unter anderem gegen die Privatisierung der Universitäten.
"Wir haben angefangen, die Studierenden über das neue Gesetz zu informieren und haben gleichzeitig öffentliche Versammlungen abgehalten. Wir haben dort auch angefangen über die Universität zu sprechen, die wir gerne hätten, die wir uns wünschen und nicht nur darüber, was das Gesetz alles anrichten würde. Wir haben uns gefragt: Was könnte eine Alternative sein, die wir zusammen aufbauen könnten?"
Viele junge Menschen schlossen sich Deni und ihren Freunden an. Mittel- und Treffpunkt dieser Neuen Linken in Albanien ist das "Social Center".
"Es ist lustig, am Anfang haben die Menschen getratscht, was unser Center wohl für ein Haus ist, was dort wohl passieren würde. Manche dachten, es wäre ein Bordell, andere dachten, wir wären eine religiöse Gemeinschaft. Aber dann haben sie unsere Gesichter im Fernsehen gesehen, wenn zum Beispiel über Proteste berichtet wurde. Jetzt sind sie eigentlich ganz freundlich, die Nachbarn sind auch wirklich freundlich. Die machen nichts gegen uns, sie beschweren sich nicht mal über Lärm, weil wir sind schon manchmal ganz schön laut." (lacht)
Aber nicht alle sind so freundlich.
"Sie spionieren uns und das Social Center aus"
"Die Polizei ist eine andere Geschichte: Gerade in letzter Zeit waren wir in vielen Protesten aktiv. Wir sind eine der Gruppen, die bei jedem Protest an vorderster Front dabei ist – entweder als Organisatoren oder als Teilnehmer. Wir werden also zunehmend eine Bedrohung für die Regierung. Uns ist auch aufgefallen, dass private Wachleute uns verfolgen. Sie spionieren uns und das Social Center aus. Aber wir haben keine Angst, weil wir haben nichts zu verbergen."
Es begann alles vor fünf Jahren, als wegen einer Korruptions-Affäre mindestens drei Oppositionelle vom Militär erschossen wurden. Angeblich im Auftrag der damaligen Regierung.
"Das war einer dieser Momente, in dem man das Gefühl hatte, ein Nichts zu sein. Man könnte dir hier alles antun, dich finanziell ausbeuten, dich auf der Straße erschießen und niemand würde nach sozialer Gerechtigkeit fragen. Weil Dich niemand vertritt, weil sich niemand für Dich interessiert."
Viele Menschen waren damals entmutigt, nicht aber die Jungen rund um das "Social Center".
Eine von ihnen ist Bora. Die 24 Jahre alte Studentin verbringt viel Zeit hier. Politische Diskussionen, so wie an diesem Abend, sind hier beliebt, sagt sie. Das sei der einzige Ort in Tirana, an dem so etwas stattfinde.
24 Stunden am Tag für eine andere Politik
"Wir organisieren ja nicht nur die Veranstaltungen im Social Center, sondern arbeiten auch noch in der Universität und organisieren den Studierendenprotest gegen die anstehende Hochschulreform und wir führen Interviews über die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Fabriken.
Wir sind jetzt schon 24 Stunden am Tag mit all dem beschäftigt, also nicht nur mit dem Social Center. Das ist alles manchmal auch ganz schön kompliziert, aber mindestens einmal die Woche haben wir hier ein Event."
Sie veranstalten Filmabende, setzen sich für die Rechte von Fabrikarbeitern ein, diskutieren über linke Theorien, veranstalten Partys. Aber mit den Alten unter dem Hoxha-Regime, das sich an Stalin orientierte, mit dieser dunklen Vergangenheit des Landes wollen sie nichts zu tun haben.
"Stalinismus bedeutete Zentralisierung, Repression, Menschenrechtsverletzungen. Was wir damals in Albanien hatten, war eine Diktatur."
"Man muss mit uns rechnen"
Die Bevölkerung Albaniens leidet heute vor allem unter den Folgen der Privatisierungen und Korruption. Unter anderem deswegen ist für Deni – "Neue Linke" der ersten Stunde – das Social Center ein Gegenpol dazu, der nicht mehr aus Tirana wegzudenken ist.
"Wir sind in den letzten Jahren ein Akteur in der öffentlichen Meinung geworden, man muss mit uns rechnen und wir verschaffen uns Gehör. Die Medien interessieren sich für uns und was die Linke hier macht. Es gibt ein Bedürfnis nach neuen Gesichtern, nach neuen Stimmen, nach neuer Artikulation."