Albaniens Hauptstadt Tirana

Tanzen und trinken im früheren Diktatoren-Viertel

Die Villa des ehemaligen Diktators Enver Hoxha in der albanischen Hauptstadt Tirana, aufgenommen am 6.9.2013
Die Gegend um die leerstehende Villa des ehemaligen Diktators Enver Hoxha ist heute Tiranas belebtes Szeneviertel. © imago / ZUMA Press
Von Leila Knüppel |
Vor der Wende galt Albanien als das Nordkorea Europas. Nur wenige Informationen und Gerüchte gelangten aus dem abgeschotteten Land. Heute stauen sich in der Hauptstadt Tirana westliche Neuwagen. Wo früher der Diktator Enver Hoxha residierte, wird heute getanzt und gefeiert.
Leander Ljarja stützt sich schon etwas schwerfällig von der Theke ab, zeigt die Straße hinunter, ins Dunkel Tiranas:
"20 Meter da hinten war die Grenze vom Block. Mit Zäunen, Militärposten. Niemand kam hier herein. Wenn du nur in die Nähe der Absperrungen kamst, wurdest du schon weggejagt."
Wir sitzen auf der Terrasse des "Duff". Eine der zahllosen Kneipen im Block - dem Szeneviertel Tiranas. Der Besitzer, der 31-jährige Stefi Ilo, hat sich zu uns gesellt. Die Musik wummert laut, auf der meterhohen Videoleinwand ist ein Baseballspiel zu sehen.
Stefi Ilo: "Es gab hier nur Villen. Sehr ruhig, viele Bäume. Jetzt ist es komplett anders."
Szeneviertel im früheren Machtzentrum der Diktatur
Vor der Wende lebten hier Diktator Enver Hoxha und seine Getreuen; abgeschirmt von den Alltagssorgen im restlichen kommunistischen Albanien. Inzwischen haben Restauranttische, Sonnenschirme, Bierreklame das einstige Zentrum der Macht längst überwuchert.
Leander Ljarja: "Jeder möchte jetzt im Block leben. Deshalb sind die Wohnungspreise hier auch so hoch. Jeder reiche Typ möchte hier leben - so wie ein Diktator."
Stefi Ilo: "Deswegen ist hier nachts auch so viel los, mit Bars, Restaurants, Clubs."
Mindestens 2000 Euro kostet der Quadratmeter hier, erzählt Ilo mir - und zeigt auf eines der angrenzenden Hochhäuser. Etwa viermal so viel wie in anliegenden Stadtteilen. Edel-Appartements stehen da, wo der streng stalinistische Diktator Hoxha früher die Abkehr von westlicher Dekadenz predigte.
Stefi Ilo: "Das hier war eine sehr harte Diktatur, komplett abgeschottet. Das Land hatte keine Verbündeten, weder den Westen noch Russland. In den 80ern gab es dann große Lebensmittelkrisen. Meine Eltern haben mir erzählt: Man musste von Mitternacht bis zum Morgen in der Schlange stehen, um Milch zu bekommen."
Der junge Mann in T-Shirt, modischen Jeans und Baseball-Cap lässt sich noch ein Bier zapfen. Neun Jahre hat er in Boston gelebt, ist dort zur Schule gegangen. Er hatte eine Green-Card gewonnen , das große Los für jeden Albaner. Bis 2010 ist fast die Hälfte der Bevölkerung aus, knapp 1,5 Millionen Menschen ausgewandert.
Ilo aber ist nach Tirana zurückgekehrt – wegen seiner Familie:
"Als ich dann zurückgekommen bin, habe ich diese Bar aufgemacht. Weil es in Tirana keinen Ort gibt, wo man Football- oder Baseballspiele gucken kann."
Nachteile ohne alte Seilschaften
Jetzt versucht Ilo Tiranas Jugend Gellyshots, Burger und amerikanische Collegespiele wie Bierpong schmackhaft zu machen. Ein ziemliches Risiko, so eine Bar, meint er:
"Es ist zwar sehr einfach, eine Bar zu eröffnen. Für einen Euro erhältst du eine Lizenz."
Leander Ljarja: "Aber wenn du irgendwelche Probleme hast, ist es sehr schwer, sie zu lösen. Wenn du niemanden hast, der dir hilft."
Stefi Ilo: "Es ist gut, Connections zu haben. Dann kommen die Steuereintreiber nicht jede Woche, die Polizei lässt dich in Ruhe."
Weil er keine "Connections" habe, müsse er abends die Musik eben früher leise machen, das Duff früher schließen. So ist das eben in Albanien, sagt Ilo. Und die Connections, das seien eben nach wie vor die Verbindungen aus kommunistischen Zeiten:
"Der Kommunismus ist tot. Aber die Kommunisten sind noch immer hier. Ich habe den Eindruck, dieses Land liebt den Kommunismus, in einem gewissen Sinne: Die Leute, die während der Diktatur gut gelebt haben, jedenfalls. Die Opfer sind ins Ausland gegangen, die meisten."
Junge Generation ohne historisches Bewusstsein
Neben uns hat sich ein junger Regisseur an die Bar gesetzt – und gibt Drinks aus. Er drehe Werbeclips, erzählt er. Schnell ist er umringt von denen, die sich einen Partyabend im Block eigentlich gar nicht leisten können; sich den ganzen Abend an einem Getränk festhalten – nur, um dabei zu sein. Als er hört, dass wir über die kommunistische Vergangenheit reden, winkt er nur ab. Vergangen und vergessen, meint er.
Ilo schaut in sein Bierglas, trinkt den letzten Schluck:
"Nach der Wende ging's sehr schnell. Die Leute wollten leben wie in Italien, der Style, die Bars. Es ging zu schnell."
Leander Ljarja: "Die Leute sind habgierig. Jeder will reich sein."
Stefi Ilo: "Und die junge Generation weiß heute absolut gar nichts über den Kommunismus hier. Wenn du mit ihnen redest, sagen sie, es war doch gut damals: Es wurden Brücken und Wohnungen gebaut. Sie wissen nicht, was Schlimmes geschah."
Cocktail, Bier und Shots lassen den Abend ins Unscharfe abgleiten. Ich mache mich auf den Heimweg – vorbei an den Neonlichtern der Bars. Nur ein Grundstück bleibt dunkel: die einstige Villa Hoxhas. Hier lebte er mit seiner Familie. Ein großer, aber nicht protziger Bau. Die Fensterläden heruntergelassen, der Rasen gemäht – so steht die Diktatoren-Villa da, als warte sie darauf, dass ihr Besitzer irgendwann wieder zurückkehrt.
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