"Albatros" für Portugiesin Lidia Jorge

Von Markus Rimmele |
Die portugiesische Autorin Lidia Jorge wird mit dem neu geschaffenen internationalen Literaturpreises "Albatros" ausgezeichnet. Die Bremer Günter Grass Stiftung ehrt das Romanwerk der 1946 an der Algarve geborenen Schriftstellerin. Zugleich wird auch die Arbeit von Karin von Schweder-Schreiner gewürdigt, sie ist die langjährige Übersetzerin von Lidia Jorge.
Nicht etwa der anmutige Schwan ist Namenspatron oder der glamouröse Pfau, sondern der Albatros, ein Schwimmvogel aus der Familie der Röhrennasen, wie es im Brockhaus von 1885 heißt, von plumpem Aussehen, aber zum Flug sehr geschickt. Also kein Glamour-Vogel, sondern ein leistungsfähiges Arbeitstier. Der Albatros kann Hunderte Stunden am Stück fliegen und überwindet Grenzen. Ein guter Namensgeber für einen internationalen Literaturpreis. Der Albatros, verliehen von der Günter Grass Stiftung, will hervorragende ausländische Autoren und ihre Übersetzer auszeichnen. Hier gab es noch ein Loch im dichten Netz der deutschen Literaturpreise, sagt Donate Fink, die Geschäftsführerin der Stiftung.

"Wir wissen viel, aber das heißt nicht, dass wir auch verstehen, was wir wissen. Und dafür brauchen wir Literatur und insbesondere Literatur, die von woanders als dem eigenen Land kommt. Nun wollte die Stiftung über diese Situation nicht jammern, dass übersetzte Literatur nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt wird, und Forderungen an andere erheben, sondern selber etwas tun. Und in Anerkennung der weltweiten Verbreitung des Werkes von Günter Grass und der weltweiten Wirkung der Günter-Grass-Stiftung Bremen, sah sich die Stiftung herausgefordert, einen internationalen Literaturpreis ins Leben zu rufen und diesen mit der Würdigung der Übersetzungsleistung zu verbinden."

Denn immerhin machten Übersetzungen fast die Hälfte der in Deutschland erscheinenden Literatur aus. Alle zwei Jahre will die Grass Stiftung den Albatros für zeitgenössische erzählerische Prosa, Lyrik oder Essayistik an Schriftsteller aus aller Welt verleihen. Dotiert ist der Preis mit 40.000 Euro. Der größere Teil davon, 25.000 Euro, geht an den Autor, 15.000 Euro an den Übersetzer des Autors. Das ausgezeichnete Werk soll, so heißt es in der Preisbeschreibung, offenes Denken und die freie Auseinandersetzung mit allen Bereichen unseres Lebens, mit unserer Welt und unserer Zeit befördern.

Eine Autorin, auf die das nach Meinung der siebenköpfigen Jury zutrifft, ist die Portugiesin Lidia Jorge. Sie und ihre langjährige Übersetzerin Karin von Schweder-Schreiner erhalten den ersten Albatros überhaupt, den Albatros 2006. Wilfried F. Schoeller, Generalsekretär des deutschen PEN und Jury-Mitglied, zitiert aus der Preisbegründung:

"Ausgezeichnet wird ein Romanwerk, das die Dämonen lusitanischer Geschichte, die Kolonialkriege und die Nachwirkungen der Diktatur im intimen Rahmen des Familien- und Gruppenbildes aufspürt. Lidia Jorges geschichtenreiche Bücher, die in meisterlichen Übersetzungen vorliegen, verstehen sich als Instrumente, die gestimmt sind auf die Gefühle der Verlassenheit, der Trauer und der Zweifel des einzelnen. Ihre Figuren werden geführt von einer artistischen Regie des Blickwechsels, von der Kunst poetischer Verknüpfung."

Lidia Jorge, Jahrgang 1946, stammt von der Algarve im Süden Portugals. Dort verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend. Während des portugiesischen Kolonialkriegs verbrachte Jorge mit ihrem ersten Mann, einem Offizier der Luftwaffe, einige Jahre in Angola und Mosambik. Zurück in Portugal unterrichtete sie an einem Gymnasium und lehrte dann Literaturwissenschaft an der Universität Lissabon.

1980 erschien ihr erster Roman, "Der Tag der Wunder". Es folgten sechs weitere, zuletzt im Jahr 2004 "Milene". Jorge beschäftigt sich literarisch mit der jüngsten portugiesischen Geschichte. Die Erfahrung des Kolonialkriegs, der Diktatur und der Nelkenrevolution von 1974 spielen eine entscheidende Rolle in ihrem Werk. Ihre Figuren leben aus einer Spannung, die vom nachkolonialen Blick übers Meer bis zur Sehnsucht nach Europa reicht, so die Jury. Jorges Romane zählen zu den Hauptwerken der neueren portugiesischen Literatur. Die Autorin wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem auch in Frankreich, wo ihre Bücher besonders große Anerkennung finden. Das sollte auch in Deutschland so sein, findet Wilfried F. Schoeller.

"Lidia Jorge ist eine von den drei, vier portugiesischen Autoren, von denen wir wissen, dass sie einen wirklich europäischen Rang haben. Da ist zunächst einmal der Literaturnobelpreisträger José Saramago. Dann ist natürlich António Lobo Antunes. Aber vor allem ist dann im Schlagschatten dieser beiden Männer, und da wollen wir sie herausholen, Lidia Jorge. Und das ist ein wichtiger Versuch zu sagen: Sie gehört nicht nur in dieses Trio, sondern ist gleichrangig mit den beiden anderen."

Der Albatros will Literatur- und Übersetzerpreis in einem sein. Das spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Jury wider. Neben Literaturwissenschaftlern und -kritikern, darunter zwei Ausländer, sind auch Übersetzer in dem Gremium vertreten. Etwa Helmut Frielinghaus.

"Die Lidia Jorge hat ein großes Glück gehabt in Deutschland. Nämlich alle ihre Bücher sind von ein und derselben Übersetzerin übersetzt worden. Das war früher selbstverständlich, aber heutzutage ist wegen der Eile, die die Verlage an den Tag legen, werden Übersetzungen oft verschieden vergeben. In diesem Fall ist das anders. Und die Übersetzerin, die Karin von Schweder-Schreiner, ist, glaube wir alle, darüber waren wir uns einig – und das hat vielleicht auch bei dieser Preisfindung eine Rolle gespielt: Es sind exzellente Übersetzungen, es sind ungewöhnliche Übersetzungen."

Die eigentliche Albatros-Preisverleihung wird Anfang März in Bremen stattfinden, dem Sitz der Günter Grass Stiftung. Die Stadt ist einer der fünf Träger der Stiftung neben der Bremer Sparkasse, Radio Bremen und zwei Kaufleuten aus der Hansestadt. Die 40.000 Euro Preisgeld sollen angeblich auch aus der Region Bremen kommen, von privaten Mäzenen, die allerdings ungenannt bleiben wollen.

Auch der Name Albatros hat etwas mit Bremen zu tun. Albatrosse nannten sich die unerschrockenen Männer der Seefahrer-Vereinigung der Kap Horniers. Mitglied durfte hier nur werden, wer als Kapitän sein Schiff heil ums Kap Hoorn gesteuert hat. Auch Bremer Seefahrer waren darunter. Solch bedrohliche Klippen wird der neue Literaturpreis aber wohl nicht umschiffen müssen.