Albtraum Ausländerbehörde
Vom Auffanglager an die Uni: Die aus dem Iran geflüchteten Brüder Mojtaba und Masoud Sadinam haben trotz vieler Widerstände ihr Leben in Deutschland gemeistert. Im Interview sprechen sie über ihren Ärger mit der Asylbürokratie und ihr Buch "Unerwünscht".
Ulrike Timm: Wenn man sich den Lebensweg von Mojtaba und Masoud Sadinam anschaut, dann denkt man vielleicht: Wer sagt es denn, wer wirklich will, der schafft alles! Beide mussten 1996 aus dem Iran mit ihrer Mutter fliehen, die Mutter hatte das Regime des Ayatollah Chomeini kritisiert. Beide schafften es vom Asylbewerberheim über die Hauptschule ins Gymnasium, und beide schlossen mit Einser-Abi ab. Beide studierten mit Stipendien, und beide sind seit Januar deutsche Staatsbürger.
Soweit die Stationen – der Weg dahinter war aber so lang und kompliziert, dass die beiden gemeinsam mit dem jüngsten Bruder Milad jetzt einen Erlebnisbericht als Buch veröffentlicht haben mit dem Titel "Unerwünscht". Wo und wie genau sie sich als unerwünscht erlebten, aber auch, wer ihnen geholfen hat, darüber sprechen wir jetzt mit Mojtaba und Masoud Sadinam. Schönen guten Tag an Sie beide!
Mojtaba Sadinam: Hallo!
Masoud Sadinam: Hallo!
Timm: Letztlich ist Ihr Weg ja geglückt unterm Strich. Sind Sie jetzt Vorzeigemigranten?
Mojtaba S.: Also ich glaube, wir haben auch das Buch deswegen geschrieben, um genau dieser Interpretation ein bisschen entgegenzuwirken. Erstens sind wir keine Waren, die nur nach ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet werden sollen. Man sagt, wir seien integriert, wir hätten alles geschafft, weil wir gute Abiturzeugnisse in der Tasche haben und studieren und die Aussicht darauf besteht, dass wir gute Jobs kriegen, aber es gibt ja noch viel mehr, was einen Menschen ausmacht – das ist das eine.
Außerdem, wer Musterbeispiele für gelungene Integration darstellt, oder solche Menschen betitelt, der will uns doch nur zu Vorbildern stilisieren. Wir glauben eher, dass wir dann letztendlich als Kronzeugen für eine Parole dastehen, die dann lautet, ihr anderen strengt euch genau so an, dann schafft ihr es auch. Die unerträgliche gesetzliche Lage, die wir erlebt haben, die will man ja dann gar nicht mehr ändern, die wird einfach ignoriert, und das ist nicht das, was wir möchten.
Timm: Dann schauen wir mal auf Ihren Weg und seine Stationen. Woran erinnern Sie sich besonders, wenn Sie an die beiden Jungs denken, die Sie damals waren, und die ohne ein Wort Deutsch als Asylbewerber hier ankamen? Wie fing das an?
Masoud S.: Als wir in Münster in so ein Sammellager kamen, wurde uns sofort bewusst, dass erstens wir überhaupt nicht wissen, was uns erwartet, und zweitens, dass wir in einer völlig fremden Umgebung sind und überhaupt nicht die Möglichkeit haben, unsere Leben zu bestimmen und gar nicht wissen, wann wir diese Möglichkeit wieder kriegen, unsere Leben zu bestimmen. Als wir in die Schule kamen, kamen noch weitere Dinge dazu, wie dass man die Sprache nicht spricht und überhaupt die Umgangsformen, die die Menschen in dieser Gesellschaft beherrschen, nicht kennt und völlig hilflos ist.
Mojtaba S.: Ich habe natürlich am Anfang gemerkt, dass unsere Mutter uns mit ihrer schützenden Hand vor vielem beschützt hat, aber trotzdem war für mich, der drei Monate lang im Iran im Versteck gelebt hatte als Kind, der alles irgendwie verlassen musste, die Freunde, die Familie und die Spielzeuge, war es dann in Deutschland keine große Befreiung. Ich kam mir am Anfang in diesen eben erwähnten Auffanglagern vor wieder wie in einem Gefängnis. Also dieses Gefühl, im Gefängnis irgendwie eingesperrt zu sein, das hat erst mal nicht aufgehört, und das war die erste große Enttäuschung.
Timm: Der Asylgrund war eigentlich relativ klar, 1996. Ihre Mutter hat das Regime Chomeinis kritisiert, Sie mussten versteckt leben, haben als politische Flüchtlinge Asyl beantragt. Es folgte dann ein Schwebezustand: Neun Jahre vergingen, bis Sie als Asylbewerber anerkannt wurden. Wie haben Sie das als Kinder, als Jugendliche erlebt? Wie war das, nie zu wissen, ob man nun bleiben kann oder ob man gehen muss?
Mojtaba S.: Das schlimmste daran war, dass diese Lebensfreude, die man als Jugendlicher hat, zum Beispiel sich von Eltern auch zu trennen und eigene Wege zu gehen, dass diese Lebensfreude eigentlich völlig erstickt wurde. Es wurde jede positive Perspektive auf die Zukunft genommen, das war eigentlich das Schlimmste für mich. Ich konnte eben, wie Sie gesagt haben, nicht wissen, was mich in einem Monat erwartet, was mich in einem Jahr erwartet. Da fragt man sich eigentlich bei allem, was man tut: Wozu das Ganze?
Timm: Sie sind dann trotzdem in der Schule erfolgreich gewesen – Sie sind gewechselt von der Hauptschule aufs Gymnasium. Haben die Lehrer schnell kapiert, also Deutsch müssen die beiden Sadinams noch mächtig üben, aber die sind einfach begabt, oder wie war das?
Mojtaba S.: Ich glaube, das war genau das Gegenteil: Unser Lehrer auf der Hauptschule war sogar dagegen, dass wir die Schule wechselten, und unsere Mutter hat dann mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin sich dafür eingesetzt und letztendlich mit ihrer Unterschrift die Verantwortung übernommen, dass wir die Schule gewechselt haben. Also das war eigentlich nicht gewollt. Erst ab der Realschule und später dann auf dem Gymnasium haben wir auch tatsächlich von den Lehrern Unterstützung bekommen, soweit es natürlich ging.
Masoud S.: Um einen Punkt zu ergänzen, und zwar ist das ein sehr gutes Beispiel, an dem man merken kann, dass diese Parole, wer es wolle, der schaffe es auch, das nicht stimmt, dass nach einigen Jahren die schwarze Regierung in NRW entschieden hat, dass man ohne Bewilligung der Lehrer nicht die Schule wechseln darf. Das heißt, hätte dieses Gesetz schon damals existiert, wären wir auf der Hauptschule geblieben und unser Weg wäre ganz bestimmt anders verlaufen.
Timm: Wir sprechen hier im "Radiofeuilleton" mit den Zwillingsbrüdern Mojtaba und Masoud Sadinam, die erheblichen Widerständen zum Trotz ihr Leben hier in Deutschland gemeistert haben – eine Jugend, die nach der Flucht aus dem Iran in einem Asylbewerberheim begann. Ihr Buch, das sie zu dritt geschrieben haben, das haben sie ihrer Mutter auch gewidmet. Das muss eine eindrucksvolle Frau sein, was haben Sie ihr genau zu verdanken?
Mojtaba S.: Die größte Zäsur in unserem Leben, also die Flucht nach Deutschland und damit für uns ein krasser Wechsel in unserem Leben, das haben wir unserer Mutter zu verdanken, die sich getraut hat auch letztendlich, mit drei Kindern alles hinter sich zu lassen und mit eigentlich nur einem Koffer in der Hand in ein fremdes Land zu flüchten.
Timm: Was war der größte Stein auf Ihrem Weg?
Mojtaba S.: Das ist planungsunmittelbar die Ausländerbehörde, die eigentlich uns ziemlich schnell das Gefühl vermittelt hat, wir tun alles, um Ihnen das Leben hier zur Hölle zu machen und Sie letztendlich loszuwerden. Natürlich haben sie auch die Entscheidung eines Gerichts oder die Entscheidung von höher liegenden Instanzen ausgeführt, das muss man gerechterweise hinzufügen, aber sie war unser Albtraum, die Ausländerbehörde.
Timm: Ihrer Mutter war das klar, dass Bildung der Schlüssel sein würde, um einen neuen Anfang zu machen. Bei vielen Migrantenfamilien ist das leider keine so klare Haltung, und daran scheitert häufig auch der Lebenserfolg in der neuen Heimat. Insofern sind Sie natürlich beide doch ein Stück weit Vorzeigemigranten.
Masoud S.: Also das, was ich immer zu Familien, die aus dem Ausland kommen, sage, ist – also über diese Familien –, dass die Eltern zwar natürlich eine Rolle spielen, aber die Rolle der Eltern ist eigentlich viel kleiner als bei deutschen Familien, weil die Eltern sehr schnell in dieser Gesellschaft ohnmächtig werden. Sie haben keine Arbeit, sie sprechen die Sprache dieses Landes nicht, und sie lernen viel langsamer als die Kinder, wie es eigentlich in dieser Gesellschaft funktioniert. Die Kinder überholen die Eltern, und das ist auch der Moment, wo das Elternhaus nicht mehr als einzige Erklärung dafür, ob die Kinder zum Beispiel in der Schule gut sind oder nicht, reicht. Da wird es eigentlich viel wichtiger, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die letztendlich den Platz mit der Familie wechseln, wie die eigentlich gestaltet sind und wie sie diese Kinder, wie sie ihnen begegnen.
Timm: Unerwünscht ist das Fazit, dass Sie beide insbesondere aus Ihren ersten Jahren in Deutschland ziehen. Lässt sich dieser Eindruck auch jetzt mit der deutschen Staatsbürgerschaft abstreifen, oder begegnet Ihnen unerwünscht immer wieder?
Mojtaba S.: Dieser Titel bezieht sich ja nicht auf die unmittelbaren Mitmenschen, die wir haben. Wir haben uns recht früh sehr wohl hier gefühlt, und die Menschen haben uns das Gefühl gegeben, dass es unser Zuhause ist, weshalb wir auch dafür gekämpft haben. Und dieser Titel bezieht sich eigentlich auf die deutsche Asylpolitik, und die verschwindet ja letztendlich nicht, weil wir wollen ja mit unserem Buch nicht zeigen, dass wir es geschafft haben und alle anderen uns egal sind, sondern wir sind sozusagen ein Beispiel für diese Gruppe Asylbewerber, und die existiert immer noch.
Timm: Sie sind jetzt beide deutsche Staatsbürger. Wie wichtig ist Ihnen das?
Masoud S.: Es ist in erster Linie eine Sicherheit, die mich nachts besser schlafen lässt, aber ich würde mich jetzt nicht in diese Kategorien einordnen lassen, ich fühle mich jetzt als Deutscher oder ich fühle mich als Iraner, das ist mir relativ egal, ehrlich gesagt. Das sind für mich nicht die Kategorien, die in irgendeiner Weise Menschen vernünftig erklärend beschreiben, und von daher ist das für mich eigentlich eine rechtliche Sache. Ich habe dadurch eine gewisse Sicherheit und gewisse Möglichkeiten, politische als auch soziale, und das ist für mich natürlich sehr wichtig.
Mojtaba S.: Ich sehe es genau so, dass dadurch ich allen anderen Deutschen gleichgestellt werde und dadurch die Möglichkeit habe, auch zum Beispiel an politischer Willensbildung, an diesem Prozess der Willensbildung teilzunehmen, und das ist natürlich schon wichtig.
Timm: Wird man je ein Deutscher oder bleibt Integration eine Utopie? Das fragen wir in dieser Woche gleich mehrfach hier im "Radiofeuilleton". Wie sehen das Mojtaba und Masoud Sadinam, ist Integration letztlich eine Utopie?
Mojtaba S.: Ich glaube schon, aber wahrscheinlich anders als viele jetzt das meinen, ich glaube, dass Integration deswegen eine Utopie ist, weil die Vorstellung, dass es eine homogene deutsche Masse gibt, in die dann die andersartigen Ausländer integriert werden können, dass diese Vorstellung schon falsch ist. Deswegen ist diese Rede über Integration auf dieser Ebene eine Utopie. Für mich ist diese Einheit Deutschland oder Deutsche eigentlich nur eine rechtliche Geschichte. Das ist einfach: Die Menschen, die einen deutschen Pass in der Tasche haben und deswegen bestimmte rechtliche Möglichkeit haben. Und wenn man über Integration spricht, dann muss man darüber sprechen, ob die Menschen, die Ausländer zum Beispiel, die Möglichkeit haben, sich diesen deutschen Rechtsstatus anzueignen oder nicht. Alles andere ist eine andere Diskussion.
Timm: Die beiden Zwillingsbrüder Mojtaba und Masoud Sadinam. Herzlichen Dank an Sie beide!
Masoud S.: Ja, danke auch!
Timm: Und der Erlebnisbericht "Unerwünscht", den die beiden gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Milad geschrieben haben, der ist bei Bloomsbury Berlin erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Man wird nie deutsch" –Utopie Integration? Vierteilige Reihe im Radiofeuilleton
Soweit die Stationen – der Weg dahinter war aber so lang und kompliziert, dass die beiden gemeinsam mit dem jüngsten Bruder Milad jetzt einen Erlebnisbericht als Buch veröffentlicht haben mit dem Titel "Unerwünscht". Wo und wie genau sie sich als unerwünscht erlebten, aber auch, wer ihnen geholfen hat, darüber sprechen wir jetzt mit Mojtaba und Masoud Sadinam. Schönen guten Tag an Sie beide!
Mojtaba Sadinam: Hallo!
Masoud Sadinam: Hallo!
Timm: Letztlich ist Ihr Weg ja geglückt unterm Strich. Sind Sie jetzt Vorzeigemigranten?
Mojtaba S.: Also ich glaube, wir haben auch das Buch deswegen geschrieben, um genau dieser Interpretation ein bisschen entgegenzuwirken. Erstens sind wir keine Waren, die nur nach ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet werden sollen. Man sagt, wir seien integriert, wir hätten alles geschafft, weil wir gute Abiturzeugnisse in der Tasche haben und studieren und die Aussicht darauf besteht, dass wir gute Jobs kriegen, aber es gibt ja noch viel mehr, was einen Menschen ausmacht – das ist das eine.
Außerdem, wer Musterbeispiele für gelungene Integration darstellt, oder solche Menschen betitelt, der will uns doch nur zu Vorbildern stilisieren. Wir glauben eher, dass wir dann letztendlich als Kronzeugen für eine Parole dastehen, die dann lautet, ihr anderen strengt euch genau so an, dann schafft ihr es auch. Die unerträgliche gesetzliche Lage, die wir erlebt haben, die will man ja dann gar nicht mehr ändern, die wird einfach ignoriert, und das ist nicht das, was wir möchten.
Timm: Dann schauen wir mal auf Ihren Weg und seine Stationen. Woran erinnern Sie sich besonders, wenn Sie an die beiden Jungs denken, die Sie damals waren, und die ohne ein Wort Deutsch als Asylbewerber hier ankamen? Wie fing das an?
Masoud S.: Als wir in Münster in so ein Sammellager kamen, wurde uns sofort bewusst, dass erstens wir überhaupt nicht wissen, was uns erwartet, und zweitens, dass wir in einer völlig fremden Umgebung sind und überhaupt nicht die Möglichkeit haben, unsere Leben zu bestimmen und gar nicht wissen, wann wir diese Möglichkeit wieder kriegen, unsere Leben zu bestimmen. Als wir in die Schule kamen, kamen noch weitere Dinge dazu, wie dass man die Sprache nicht spricht und überhaupt die Umgangsformen, die die Menschen in dieser Gesellschaft beherrschen, nicht kennt und völlig hilflos ist.
Mojtaba S.: Ich habe natürlich am Anfang gemerkt, dass unsere Mutter uns mit ihrer schützenden Hand vor vielem beschützt hat, aber trotzdem war für mich, der drei Monate lang im Iran im Versteck gelebt hatte als Kind, der alles irgendwie verlassen musste, die Freunde, die Familie und die Spielzeuge, war es dann in Deutschland keine große Befreiung. Ich kam mir am Anfang in diesen eben erwähnten Auffanglagern vor wieder wie in einem Gefängnis. Also dieses Gefühl, im Gefängnis irgendwie eingesperrt zu sein, das hat erst mal nicht aufgehört, und das war die erste große Enttäuschung.
Timm: Der Asylgrund war eigentlich relativ klar, 1996. Ihre Mutter hat das Regime Chomeinis kritisiert, Sie mussten versteckt leben, haben als politische Flüchtlinge Asyl beantragt. Es folgte dann ein Schwebezustand: Neun Jahre vergingen, bis Sie als Asylbewerber anerkannt wurden. Wie haben Sie das als Kinder, als Jugendliche erlebt? Wie war das, nie zu wissen, ob man nun bleiben kann oder ob man gehen muss?
Mojtaba S.: Das schlimmste daran war, dass diese Lebensfreude, die man als Jugendlicher hat, zum Beispiel sich von Eltern auch zu trennen und eigene Wege zu gehen, dass diese Lebensfreude eigentlich völlig erstickt wurde. Es wurde jede positive Perspektive auf die Zukunft genommen, das war eigentlich das Schlimmste für mich. Ich konnte eben, wie Sie gesagt haben, nicht wissen, was mich in einem Monat erwartet, was mich in einem Jahr erwartet. Da fragt man sich eigentlich bei allem, was man tut: Wozu das Ganze?
Timm: Sie sind dann trotzdem in der Schule erfolgreich gewesen – Sie sind gewechselt von der Hauptschule aufs Gymnasium. Haben die Lehrer schnell kapiert, also Deutsch müssen die beiden Sadinams noch mächtig üben, aber die sind einfach begabt, oder wie war das?
Mojtaba S.: Ich glaube, das war genau das Gegenteil: Unser Lehrer auf der Hauptschule war sogar dagegen, dass wir die Schule wechselten, und unsere Mutter hat dann mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin sich dafür eingesetzt und letztendlich mit ihrer Unterschrift die Verantwortung übernommen, dass wir die Schule gewechselt haben. Also das war eigentlich nicht gewollt. Erst ab der Realschule und später dann auf dem Gymnasium haben wir auch tatsächlich von den Lehrern Unterstützung bekommen, soweit es natürlich ging.
Masoud S.: Um einen Punkt zu ergänzen, und zwar ist das ein sehr gutes Beispiel, an dem man merken kann, dass diese Parole, wer es wolle, der schaffe es auch, das nicht stimmt, dass nach einigen Jahren die schwarze Regierung in NRW entschieden hat, dass man ohne Bewilligung der Lehrer nicht die Schule wechseln darf. Das heißt, hätte dieses Gesetz schon damals existiert, wären wir auf der Hauptschule geblieben und unser Weg wäre ganz bestimmt anders verlaufen.
Timm: Wir sprechen hier im "Radiofeuilleton" mit den Zwillingsbrüdern Mojtaba und Masoud Sadinam, die erheblichen Widerständen zum Trotz ihr Leben hier in Deutschland gemeistert haben – eine Jugend, die nach der Flucht aus dem Iran in einem Asylbewerberheim begann. Ihr Buch, das sie zu dritt geschrieben haben, das haben sie ihrer Mutter auch gewidmet. Das muss eine eindrucksvolle Frau sein, was haben Sie ihr genau zu verdanken?
Mojtaba S.: Die größte Zäsur in unserem Leben, also die Flucht nach Deutschland und damit für uns ein krasser Wechsel in unserem Leben, das haben wir unserer Mutter zu verdanken, die sich getraut hat auch letztendlich, mit drei Kindern alles hinter sich zu lassen und mit eigentlich nur einem Koffer in der Hand in ein fremdes Land zu flüchten.
Timm: Was war der größte Stein auf Ihrem Weg?
Mojtaba S.: Das ist planungsunmittelbar die Ausländerbehörde, die eigentlich uns ziemlich schnell das Gefühl vermittelt hat, wir tun alles, um Ihnen das Leben hier zur Hölle zu machen und Sie letztendlich loszuwerden. Natürlich haben sie auch die Entscheidung eines Gerichts oder die Entscheidung von höher liegenden Instanzen ausgeführt, das muss man gerechterweise hinzufügen, aber sie war unser Albtraum, die Ausländerbehörde.
Timm: Ihrer Mutter war das klar, dass Bildung der Schlüssel sein würde, um einen neuen Anfang zu machen. Bei vielen Migrantenfamilien ist das leider keine so klare Haltung, und daran scheitert häufig auch der Lebenserfolg in der neuen Heimat. Insofern sind Sie natürlich beide doch ein Stück weit Vorzeigemigranten.
Masoud S.: Also das, was ich immer zu Familien, die aus dem Ausland kommen, sage, ist – also über diese Familien –, dass die Eltern zwar natürlich eine Rolle spielen, aber die Rolle der Eltern ist eigentlich viel kleiner als bei deutschen Familien, weil die Eltern sehr schnell in dieser Gesellschaft ohnmächtig werden. Sie haben keine Arbeit, sie sprechen die Sprache dieses Landes nicht, und sie lernen viel langsamer als die Kinder, wie es eigentlich in dieser Gesellschaft funktioniert. Die Kinder überholen die Eltern, und das ist auch der Moment, wo das Elternhaus nicht mehr als einzige Erklärung dafür, ob die Kinder zum Beispiel in der Schule gut sind oder nicht, reicht. Da wird es eigentlich viel wichtiger, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die letztendlich den Platz mit der Familie wechseln, wie die eigentlich gestaltet sind und wie sie diese Kinder, wie sie ihnen begegnen.
Timm: Unerwünscht ist das Fazit, dass Sie beide insbesondere aus Ihren ersten Jahren in Deutschland ziehen. Lässt sich dieser Eindruck auch jetzt mit der deutschen Staatsbürgerschaft abstreifen, oder begegnet Ihnen unerwünscht immer wieder?
Mojtaba S.: Dieser Titel bezieht sich ja nicht auf die unmittelbaren Mitmenschen, die wir haben. Wir haben uns recht früh sehr wohl hier gefühlt, und die Menschen haben uns das Gefühl gegeben, dass es unser Zuhause ist, weshalb wir auch dafür gekämpft haben. Und dieser Titel bezieht sich eigentlich auf die deutsche Asylpolitik, und die verschwindet ja letztendlich nicht, weil wir wollen ja mit unserem Buch nicht zeigen, dass wir es geschafft haben und alle anderen uns egal sind, sondern wir sind sozusagen ein Beispiel für diese Gruppe Asylbewerber, und die existiert immer noch.
Timm: Sie sind jetzt beide deutsche Staatsbürger. Wie wichtig ist Ihnen das?
Masoud S.: Es ist in erster Linie eine Sicherheit, die mich nachts besser schlafen lässt, aber ich würde mich jetzt nicht in diese Kategorien einordnen lassen, ich fühle mich jetzt als Deutscher oder ich fühle mich als Iraner, das ist mir relativ egal, ehrlich gesagt. Das sind für mich nicht die Kategorien, die in irgendeiner Weise Menschen vernünftig erklärend beschreiben, und von daher ist das für mich eigentlich eine rechtliche Sache. Ich habe dadurch eine gewisse Sicherheit und gewisse Möglichkeiten, politische als auch soziale, und das ist für mich natürlich sehr wichtig.
Mojtaba S.: Ich sehe es genau so, dass dadurch ich allen anderen Deutschen gleichgestellt werde und dadurch die Möglichkeit habe, auch zum Beispiel an politischer Willensbildung, an diesem Prozess der Willensbildung teilzunehmen, und das ist natürlich schon wichtig.
Timm: Wird man je ein Deutscher oder bleibt Integration eine Utopie? Das fragen wir in dieser Woche gleich mehrfach hier im "Radiofeuilleton". Wie sehen das Mojtaba und Masoud Sadinam, ist Integration letztlich eine Utopie?
Mojtaba S.: Ich glaube schon, aber wahrscheinlich anders als viele jetzt das meinen, ich glaube, dass Integration deswegen eine Utopie ist, weil die Vorstellung, dass es eine homogene deutsche Masse gibt, in die dann die andersartigen Ausländer integriert werden können, dass diese Vorstellung schon falsch ist. Deswegen ist diese Rede über Integration auf dieser Ebene eine Utopie. Für mich ist diese Einheit Deutschland oder Deutsche eigentlich nur eine rechtliche Geschichte. Das ist einfach: Die Menschen, die einen deutschen Pass in der Tasche haben und deswegen bestimmte rechtliche Möglichkeit haben. Und wenn man über Integration spricht, dann muss man darüber sprechen, ob die Menschen, die Ausländer zum Beispiel, die Möglichkeit haben, sich diesen deutschen Rechtsstatus anzueignen oder nicht. Alles andere ist eine andere Diskussion.
Timm: Die beiden Zwillingsbrüder Mojtaba und Masoud Sadinam. Herzlichen Dank an Sie beide!
Masoud S.: Ja, danke auch!
Timm: Und der Erlebnisbericht "Unerwünscht", den die beiden gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Milad geschrieben haben, der ist bei Bloomsbury Berlin erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Man wird nie deutsch" –Utopie Integration? Vierteilige Reihe im Radiofeuilleton