Albtraum der Nation
Antonio Lobo Antunes hat der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola einen kompletten Roman gewidmet. "Guten Abend ihr Dinge hier unten" ist das Porträt eines von weißen Herrenmenschen und schwarzen Rebellen zerstörten Landes, eine Geschichte über Gier und Gewalt, eine 40 Jahre umfassende Krankenakte.
Muss einer Psychiater sein, um so tief hinab zu steigen in die Innenwelt anderer Menschen und die kollektive Psyche eines Volkes? Oder muss man selbst ein schweres Trauma durchlitten haben, eine Eruption mit bleibenden Schäden? Der Portugiese António Lobo Antunes - Jahrgang 1942, Arztsohn aus Lissabons Großbürgertum - machte seine prägende Erfahrung im südwestlichen Afrika. In den Sechzigern, während des Kolonialkrieges, war er 27 lange Monate als Militärarzt in Angola, um "mit Nadel und Faden die heldenhaften Verteidiger des Imperiums zusammenzuflicken". Die Bilder des Grauens ließen sich nicht löschen; sie verfolgten ihn in seiner Zeit als Chefarzt einer psychiatrischen Klinik, sie begleiteten ihn, als er Ende der Siebziger zu schreiben begann.
Gut 25 Jahre und zwei Dutzend Bücher später gilt Lobo Antunes als einer der sprachmächtigsten, sensibelsten und, ja, auch schwierigsten Erzähler Europas. Portugals Wahn und Weltschmerz ist sein Thema, der Selbsthass seit dem Verlust der früheren Herrlichkeit. Stets aufs Neue bohrt der Dichter in jenen Wunden, die den eigenen Landsleuten am meisten wehtun.
Und der Leser? Verliert sich in einem Labyrinth aus Satz- und Gedankenfetzen, Halluzinationen, apokalyptischen Visionen. Jähe Schnitte aus dem Gestern ins Heute, Mutmaßungen, Andeutungen, falsche Fährten – Lobo Antunes perfektionierte eine Technik der Verunsicherung. Bisweilen hat man den Eindruck, es seien immer dieselben Figuren, die durch die Bücher des Portugiesen irren, einsame Menschen auf der Flucht vor Dämonen.
Angola – unabhängig seit 1975, doch rasch vom Bürgerkrieg verwüstet - blieb in Antunes’ Werk stets präsent, in qualvollen Rückblicken seiner Protagonisten und als Alptraum der Nation. Nun hat Lobo Antunes der ehemaligen Kolonie einen kompletten Roman gewidmet. "Guten Abend ihr Dinge hier unten" ist das Porträt eines von weißen Herrenmenschen und schwarzen Rebellen zerstörten Landes, eine Geschichte über Gier und Gewalt, eine vierzig Jahre umfassende Krankenakte.
Die Story: Portugiesische Geheimdienstler interessieren sich für angolanische Diamanten; sie sollen gestohlene Edelsteine nach Lissabon schaffen. Wieder und wieder reisen Agenten zu diesem Zweck ins Kriegsgebiet, doch keiner kehrt zurück. Zeugen berichten, Soldaten und Geheimdienstler, Schmuggler und Huren. Ihre Solostimmen vereinen sich, wie in den Texten des António Lobo Antunes üblich, zu einem Chor der Wut und Verzweiflung.
"Ich möchte die Kunst des Romans verändern", hat der Erzähler einmal gesagt. "Ich möchte eine neue, nie dagewesene Art erfinden, die Dinge auszudrücken. Wenn man dieses Ziel nicht anstrebte, hätte es keinen Sinn zu schreiben." Er ist auf gutem Weg; das jüngste Buch des Portugiesen beweist es.
António Lobo Antunes: "Guten Abend ihr Dinge hier unten"
Roman. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
750 S., 24,90 Euro.
Gut 25 Jahre und zwei Dutzend Bücher später gilt Lobo Antunes als einer der sprachmächtigsten, sensibelsten und, ja, auch schwierigsten Erzähler Europas. Portugals Wahn und Weltschmerz ist sein Thema, der Selbsthass seit dem Verlust der früheren Herrlichkeit. Stets aufs Neue bohrt der Dichter in jenen Wunden, die den eigenen Landsleuten am meisten wehtun.
Und der Leser? Verliert sich in einem Labyrinth aus Satz- und Gedankenfetzen, Halluzinationen, apokalyptischen Visionen. Jähe Schnitte aus dem Gestern ins Heute, Mutmaßungen, Andeutungen, falsche Fährten – Lobo Antunes perfektionierte eine Technik der Verunsicherung. Bisweilen hat man den Eindruck, es seien immer dieselben Figuren, die durch die Bücher des Portugiesen irren, einsame Menschen auf der Flucht vor Dämonen.
Angola – unabhängig seit 1975, doch rasch vom Bürgerkrieg verwüstet - blieb in Antunes’ Werk stets präsent, in qualvollen Rückblicken seiner Protagonisten und als Alptraum der Nation. Nun hat Lobo Antunes der ehemaligen Kolonie einen kompletten Roman gewidmet. "Guten Abend ihr Dinge hier unten" ist das Porträt eines von weißen Herrenmenschen und schwarzen Rebellen zerstörten Landes, eine Geschichte über Gier und Gewalt, eine vierzig Jahre umfassende Krankenakte.
Die Story: Portugiesische Geheimdienstler interessieren sich für angolanische Diamanten; sie sollen gestohlene Edelsteine nach Lissabon schaffen. Wieder und wieder reisen Agenten zu diesem Zweck ins Kriegsgebiet, doch keiner kehrt zurück. Zeugen berichten, Soldaten und Geheimdienstler, Schmuggler und Huren. Ihre Solostimmen vereinen sich, wie in den Texten des António Lobo Antunes üblich, zu einem Chor der Wut und Verzweiflung.
"Ich möchte die Kunst des Romans verändern", hat der Erzähler einmal gesagt. "Ich möchte eine neue, nie dagewesene Art erfinden, die Dinge auszudrücken. Wenn man dieses Ziel nicht anstrebte, hätte es keinen Sinn zu schreiben." Er ist auf gutem Weg; das jüngste Buch des Portugiesen beweist es.
António Lobo Antunes: "Guten Abend ihr Dinge hier unten"
Roman. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
750 S., 24,90 Euro.