Penisgitarren, von melancholischem Klavier betupft
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Auf dem neuen Soloalbum des Rammstein-Sängers geht es um Sex, Potenz und Unterwerfung. So weit, so bekannt. Was Jens Balzer an "F + M" aber interessant findet, sind Referenzen an den Second-Wave-Feminismus und die Psychoanalyse. Was kann das Album?
Carsten Beyer: Gerade erst im Sommer ist ein neues Album von Rammstein erschienen, wie immer bei den Berlinern begleitet von einem großen Medienrummel. Vielleicht erinnern Sie sich noch an das "Deutschland"-Video der Band, das wir auch hier im Programm durchaus kontrovers diskutiert haben. Jetzt legt Rammstein-Sänger und Texter Till Lindemann mit einem Album unter eigenem Namen nach. "F + M" heißt es und wurde eingespielt zusammen mit dem schwedischen Multiinstrumentalisten Peter Tägtgren. Jens Balzer hat die Platte für uns gehört: Herr Balzer, ist das jetzt nur ein weiteres Rammstein-Werk unter anderem Namen oder setzt Till Lindemann da als Solokünstler tatsächlich auch eigene Aspekte?
Teutonischer Gesang mit rollendem R
Jens Balzer: Sie haben recht, wie man gerade schon hören konnte, es ist in musikalischer Hinsicht nicht allzu weit entfernt von dem Standard, den Rammstein seit einem Vierteljahrhundert pflegen: Es gibt vornehmlich diese schweren New-Metal-Gitarren, einen Schunkelrhythmus. Interessant, also eher ungewöhnlich, ist dieser Rondo-Veneziano-Barock-Geigeneinsatz da im Hintergrund.
Hinreichend bekannt: der teutonische Gesang von Till Lindemann und ordentlich rollendem R und dann auch Texte, die einerseits an diesen archaisierenden Ton von Grimms Märchen oder deutscher Romantik erinnern und andererseits zumeist doch die übliche maskulinistische, sagen wir mal, Transgressionsrhetorik von Lindemann transportieren: Wir erfahren also, dass er sehr gerne sehr viel Geschlechtsverkehr hat mit so vielen verschiedenen Frauen, Menschen wie möglich; außerdem sehr gerne sehr viel isst und generell von allem immer noch mehr haben will als er gerade bekommt. Obwohl er es am Ende bekommt, ist er immer irgendwie traurig. Also es gibt so eine Mischung aus animalischem Überbietungs- und Triumphwillen und Melancholie aus Stärke und Schwäche in dem Ganzen.
Ficken, ficken, ficken
Beyer: Das ist gewissermaßen die tiefenpsychologische Analyse, aber wie sieht es mit der Musik aus? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Lindemann und Tägtgren?
Balzer: Zum einen ist es so, dass dieses Widerspiel aus Stärke und Schwäche auch in einer musikalischen Form aufgegriffen wird. Es gibt zahlreiche Stücke, wo diese schweren Penisgitarren, die man da aus dem New Metal kennt und auch von melancholischen Klaviertönen betupft werden oder von so sphärisch gurgelnden gregorianischen Chören überwölbt. Sie haben schon gesagt, das ist ein Duowerk, also Lindemann ist eigentlich auch der Name für das Duo der beiden, von ihm und Peter Tägtgren. Der hat seine Karriere in den 90ern in Schweden in Death-Metal-Gruppen begonnen und dann aber relativ früh sein musikalisches Repertoire erweitert in Richtung Elektronik und Techno.
Die hatten vor vier Jahren schon mal ein gemeinsames Album zusammen, "Skills in Pills" hieß das, da sang Lindemann auf Englisch. Jetzt wieder Deutsch und dann zu einem Thema, das ihn ja auch bei Rammstein schon zeitschaffens beschäftigt hat. Sie haben ja schon gesagt, "F + M", das heißt Frauen und Männer. Im Grunde kreisen fast alle Songs um dieses Thema.
Was hier fehlt ist das Rammstein-typische Spiel mit diesem Nationalismus und Patriotismus und den schweren Zeichen der deutschen Geschichte, worum es ja gerade – Sie haben es in der Anmoderation erwähnt – auch bei den Diskussionen um dieses "Deutschland"-Video noch mal ging. Also jetzt "F + M", und das heißt übersetzt natürlich vor allem ficken, ficken, ficken.
Beyer: Und immer an die Leser denken, hieß es, glaube ich, früher beim Funkhaus. Jens Balzer, wir reden gleich weiter, aber um das Ganze noch mal ein bisschen plastischer zu machen, hören wir noch einen kleinen Ausschnitt aus einem der neuen Songs, und zwar dem Titelstück, "Frau und Mann".
Blut, Sex und lebendig verspeiste Fische
Wie man das auch schon von Rammstein über die Jahre gewöhnt ist, wurde auch diese Veröffentlichung mit einem kalkulierten Skandal eingeleitet.
Balzer: Selbstverständlich.
Beyer: Da ging es um ein Video zu dem Stück "Knebel". Herr Balzer, was ist da zu sehen, warum die Aufregung?
Balzer: Was man da sieht oder eben auch nicht, das ist die Frage. Man sieht erst mal die beiden Musiker Lindemann und Tägtgren in so einer abgelegenen Fjordlandschaft, es steht eine überflutete Hausruine am Rand eines Sees. Da steht dann wiederum Lindemann im Keller bis zur Hüfte im Wasser und singt erst mal so ein bisschen hin. Dann tritt – da wird es interessant – eine nackte junge Frau in das Geschehen: Die wird dann von den beiden Männern erst mal, durch einen Flusslauf watend, nackt an einer eisernen Kette, mit einem Ring um den Hals hinter ihnen hergezogen.
In der nächsten Szene tritt sie alleine Lindemann in diesem überfluteten Gebäude gegenüber und menstruiert ganz heftig. Also es läuft ihr das Blut zwischen den Beinen hinunter, woraufhin der Sänger ihr dasselbe von den Schenkeln abschleckt, um sie schließlich an eine feuchte Häuserwand zu drücken, um mit ihr Sex zu haben.
Hat sich Second-Wave-Feminismus eingeschlichen?
Damit nicht genug, später beißt er noch einem vorbeischwimmenden Aal den Kopf ab, woraufhin der dann auch blutet. Das war jetzt offiziell nur für ein paar Stunden im Netz zu sehen, danach wurden die Szenen sofort von der Band mit dem Menstruationsblut durch große "Zensiert"-Schilder verdeckt. Da konnte man wieder ordentlich was diskutieren – wobei sich mir jetzt in dem Fall der Skandal nicht so richtig erschlossen hat, denn dass Frauen einmal im Monat ihre Tage bekommen, ist ja doch allgemein bekannt.
Interessanter finde ich, dass die Frau in dem Film erst mal das gefesselte Opfer ist und dann in dem Moment zur Herrin der Szene und auch des sexuellen Verhältnisses zwischen den beiden wird, als sie zu bluten beginnt. Das ist so eine alte These des Second-Wave-Feminismus aus den 70ern – Menstruation verleiht Superkräfte. Also man könnte sagen, dass Till Lindemann hier eine feministische Perspektive einnimmt. Das hätte man ja vielleicht auch nicht gedacht.
Beyer: Tja, könnte man auch so sehen. Was war mit dem Aal? Wurden diese Bilder auch geschwärzt?
Balzer: Nein, das wurde im Netz dann auch sogleich diskutiert, warum eine menstruierende Frau jetzt schockierender sein soll als die Ermordung eines Aals. Der Aal ist aber auch noch in einer anderen Hinsicht interessant, denn es ist ja ein psychoanalytisches Symbol für sexuelle Ambivalenz. Bekanntlich war bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts völlig unklar gewesen, wie der Aal sich fortpflanzt, weil man die männlichen Geschlechtsorgane nicht finden konnte.
Sigmund Freud und die Aalforschung
Auch der junge Sigmund Freud hat sich ja irgendwie an der Aalerforschung versucht, ist dann nach dem Scheitern zum Erfinder der Psychoanalyse geworden. Also das ist schon interessant. Wenn Lindemann hier einem Aal den Kopf abbeißt, dann tötet er ja gewissermaßen ein Symbol der sexuellen Unbestimmtheit – oder sagen wir das Trauma der Impotenz, um dann auf diese Weise potent genug zu sein, um vor der menstruierenden Frau zu bestehen. Das scheint mir doch psychisch recht interessant durcharbeitet in seiner Metaphernkette.
Beyer: Herr Balzer, wenn ich das mal kurz zusammenfassen darf, was Sie da bisher gesagt haben, es geht um Sex, Potenz, Dominanz, Unterwerfung. Ist das jetzt wirklich wieder das alles dominierende Thema oder gibt es da vielleicht auch noch ein paar andere Aspekte?
Balzer: Nein, das ist eigentlich schon durchgehend – auf eine in seiner Monothematik gelegentlich ermüdende, aber manchmal auch ganz witzige Art – das zentrale Thema, der rote Faden. Wir haben das schon gehört, im Titelstück "Frau und Mann", geht es darum, dass es sich bei Frauen und Männern um Gegensätze handelt, die sich eben deswegen gegenseitig anziehen oder – Spoiler, Gag in der letzten Zeile – auch ausziehen.
Hypermaskulinismus mit drollig übertriebener Note
In "Gummi" werden die Wonnen des Latex-Fetisch-Sexes gepriesen, und in "Ach so gern" bekundet Lindemann zu einem drolligen Tangorhythmus, wie gerne er die Frauen küsst, und zwar nicht nur auf den Mund. Besonders hier, aber auch an anderen Stellen des Albums kriegt dieser Hypermaskulinismus, der mich bei Rammstein eigentlich meistens eher genervt hat, dann doch mal eine drollig übertriebene, circensische Note. Man kann das ganze vielleicht am ehesten als Kabarettplatte anhören. Ich finde, die "Sesamstraße" winkt da auch schon irgendwie in der Nähe.
Wenn das jetzt musikalisch noch ein bisschen interessanter wäre und nicht doch immer wieder nur auf diesem Dicke-Eier-New-Metal-Standard F zurückfallen würde, dann könnte man vielleicht sogar sagen, dass "F + M" ein interessanter Beitrag zur gerade ja doch sehr virulenten popkulturellen Debatte über die verunsicherte Männlichkeit sein könnte und über ihr Gegenteil, die toxische Männlichkeit.
Man hört, dass es bei Lindemann mehr künstlerisches Potenzial gibt, als er das bei Rammstein auszuleben vermag. Wenn er sich jetzt irgendwann noch mal aus dieser musikalischen Komfortzone herausbewegen würde, dann könnte das vielleicht noch ein richtig interessanter Künstler werden.
Beyer: Kann man nur hoffen, dass die Fans auch wirklich diese ganzen Hinweise verstehen und aufgreifen und sich nicht nur wieder an der Blut-und-Hoden-Ästhetik erfreuen.
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