Aleida Assmann: "Die Wiedererfindung der Nation“

Solidarität und Diversität

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Buchcover: "Die Wiedererfindung der Nation" von Aleida Assmann
Aleida Assmann zeichnet in "Die Wiedererfindung der Nation" ein eher euphorisches Bild einer diversen und solidarischen Nation. © Deutschlandfunk / C. H. Beck
Von Jens Balzer |
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Wir dürfen die Nation nicht den Nationalisten überlassen. Das fordert die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Allerdings lässt sie es auch selbst aus, Lösungsansätze für einen gangbaren Weg hin zu mehr Diversität aufzuzeigen.
Gegenwärtig wird unser Verständnis von dem, was Nationen sind und was sie bedeuten, ganz von der Seite der politischen Rechten geprägt, von Trump, Erdogan, Orban oder der AfD. Gegen deren aggressiven Nationalismus müsse gehandelt werden, so Aleida Assmann. Leider nur seien – das ist die polemische Stoßrichtung ihrer Schrift "Die Wiedererfindung der Nation" – linke Intellektuelle dazu nicht in der Lage, weil sie sich vom Begriff der Nation verabschiedet haben. Seit den Achtzigerjahren sei es bei ihnen zum Gemeinplatz geworden, dass die Zeit der Nation abgelaufen ist; dass im Zuge des geschichtlichen Fortschritts alle Grenzen verschwinden und dass die Menschen sich zu Kosmopoliten entwickeln.

Der Nationalismus geht nicht weg

Diese Ansicht ist falsch – damit hat Assmann Recht. Aber folgt daraus zwangsläufig, dass die Linke damit aufhören muss, das Konzept der Nation als solches zu kritisieren? Ja, meint sie, denn es sei schlicht kein anderes in Sicht, das in ähnlichem Maß "Solidarität und gegenseitige Hilfsbereitschaft" zu mobilisieren vermag.

Darum sei es nun die Aufgabe der Linken, ein progressives Verständnis der Nation zu etablieren: eines, das nicht mehr auf ethnischer Homogenität gründet, sondern der Diversität moderner Gesellschaften Rechnung trägt; das Nationen nicht als Konkurrenten sieht, sondern als Partner; und das zu Formen des nationalen Erinnerns gelangt, in denen die hellen und die dunklen Seiten gleichermaßen berücksichtigt werden und niemand mehr ausgeschlossen wird.
Das ist eine schöne Idee, wer wollte ihr widersprechen? Und weil Aleida Assmann nicht nur eine umfassend gebildete Philosophin und Historikerin ist, sondern auch eine leidenschaftliche Autorin, die publikumszugewandt und einnehmend schreibt, liest man "Die Wiedererfindung der Nation" unbedingt mit Gewinn. Ein gewisses Unbehagen bleibt dennoch, aus zwei Gründen.

Ohne Ausschluss geht es nicht

Zum einen wirkt die "postnationale" Linke, der sie erhebliche Mitschuld am Nationalismus anlastet, eher wie ein Popanz als ein realer Gegner. In Deutschland haben selbst die Grünen die Bedeutung der "Heimat" wiederentdeckt; wesentliche Teile des Programms der Linkspartei lassen sich als linksnationalistisch beschreiben.

Auch versteht man nicht, warum Assmann als Negativfolie gerade den einst von Jürgen Habermas vorgeschlagenen Begriff des Verfassungspatriotismus gebraucht: Hier ging es ja darum, ein Wir-Gefühl nicht mehr durch die Anrufung einer vorgängigen nationalen Identität, sondern durch die gleichberechtigte Verständigung aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu erzeugen. Was ist das anderes als die Anerkennung der Diversität, die Assmann jetzt fordert?
Zum anderen ist ihr euphorisches Bild einer diversen und solidarischen Nation dem gleichen Vorbehalt ausgesetzt, der seinerzeit gegen Habermas’ Verfassungspatriotismus vorgebracht wurde: Dass dieser als Utopie taugt, aber nicht für die Realität – weil gesellschaftliche Kämpfe um Anerkennung sich nicht in Verständigung auflösen lassen, sondern eben das bleiben: Kämpfe.

Stimmen der Migrantinnen und Migranten werden überhört

Assmann führt als positives Beispiel die nach 30 Jahren in Gang gekommene Verständigung der Ost- und Westdeutschen über die Einheit an – aber in dieser werden die Stimmen der Migrantinnen und Migranten überhört, die unter dem nach 1990 explodierenden Rassismus litten. Sie lobt eine Initiative, die in die Erzählung von der Nationalidentität Israels neben der Erinnerung an die Shoah auch jene an die Nakba, die Vertreibung der Palästinenserinnen und Palästinenser 1948, einschließen will – und hat sich in einem, in dieser Schrift nicht erwähnten, offenen Brief gegen die "Kriminalisierung" der BDS Kampagne gewandt, die das Existenzrecht Israels grundsätzlich bestreitet.

Das passt nicht zusammen: Auch eine sich als divers verstehende Nation kann nicht anders, als die Feinde der Diversität aus ihrer Selbstvergewisserung auszuschließen. Eine Dialektik von Inklusion und Exklusion bleibt für jedes Verständnis von Nation konstitutiv. Um dieses Eingeständnis drückt sich Assmann herum, darum bleibt ihr inspirierendes Buch doch zuletzt auch dem Genre der Sonntagsrede verhaftet.

Aleida Assmann: "Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen"
C.H. Beck, München 2020
334 Seiten, 18,00 Euro

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