Aleš Šteger: „Über dem Himmel unter der Erde“

Glühwürmchen aus Worten

04:45 Minuten
Das Cover von „Über dem Himmel unter der Erde“ liegt auf einem Bild mit regenverzerrter Lichtpunkte.
Für Aleš Šteger veröffentlichte mit diesem Werk sein sechstes Gedichtband. © unsplash/ Jessica Knowlden
Von Nico Bleutge |
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Aleš Šteger gehört zu den bekanntesten Dichtern in Slowenien. Sein Gedichtband „Über dem Himmel unter der Erde“ ist nach einer Japanreise entstanden. Herausgekommen ist eine Art Meditationsdichtung mit großer Nähe zum klassischen Haiku.
"Ich hab das kleinste Herz", sagt der Sprecher eines dieser Gedichte. Und er meint nicht etwa ein gewöhnliches Herz, sondern ein anderes, ein "winzig kleines Wespenherz". Was könnte das heißen? Traditionell ist die Biene das Symbol der Dichter. Seitdem der große Thomas Kling aber seinen Versen die Liebe zur Wespe eingeschrieben hat, steht auch die Wespe für den Sänger.
Gleichsam die nervöse Variante der Biene. Wer also ein Wespenherz in sich schlagen spürt, der kann mit Fug und Recht behaupten, ein echter Dichter zu sein. Und er kann mit lauter Stimme oder vielmehr aus voller Insektenbrust singen:
"Psssst, horch, wie wild und frei
Mein Wespenherz pocht
Im Meer des süßen süßen Safts."

Das Spielen mit Buchstaben

Aleš Šteger wurde 1973 in Ptuj geboren und gehört zusammen mit Anja Golob zu den auch hierzulande bekanntesten dichterischen Stimmen seiner Generation aus Slowenien. Er hat Essays und zwei Romane, vor allem aber Gedichte geschrieben. Und er ist ein hervorragender Übersetzer, der so unterschiedliche Dichterinnen und Dichter wie Ingeborg Bachmann und Gottfried Benn ins Slowenische gebracht hat.
In seinen Versen spürte man ein großes Vergnügen daran, mit der Sprache nicht einfach etwas abzubilden, sondern mit den Wörtern und Buchstaben zu spielen, sie zu drehen und ihren Bedeutungsnuancen nachzugehen. Besonders deutlich ist seine Lust auf unerwartete Bilder. Da können Marienkäfer schon einmal zu "Kamikazefliegern des Glücks" werden und ein Kater zu einem "kastrierten Travestit im Nerz".
In seinem neuen Band "Über dem Himmel unter der Erde", der in Slowenien bereits 2015 publiziert wurde, ist alles ein wenig gesetzter. Šteger hat sich in den letzten Jahren offenbar ausgiebig mit fernöstlicher Philosophie und esoterischen Schriften beschäftigt.
Und er war auf Reisen, in Japan vor allem, und hat von dort eine Liebe zu Matsuo Bashō und anderen Haiku-Meistern mitgebracht. Eine rechte Meditationsdichtung ist so entstanden, die immer wieder das Schweigen und die Ruhe in ihren Rhythmus holt und stets die andere Seite des Lebens mitdenkt, das Nichtsein und den Tod.

Eine Welt mit feiner Ironie

In seinen besten Gedichten gelingt es Aleš Šteger, mit Widersprüchen zu arbeiten, die Gegensätze als selbstverständlichen Bestandteil des Denkens zu nehmen und sie bewusst auszuspielen. In den weniger intensiven Stücken haben die Sätze bisweilen etwas Lehrhaftes, klingen nach Sentenzen oder kultivieren einen Verkünderton.
Dazu gibt es manch schwache Überschreibung von bekannten Texten, wie "Mutter unser, / Die du bist in Körpern, / Zerstörung sei dein Name".
Der Übersetzer Matthias Göritz hat die Gedichte in ein gut rhythmisiertes Deutsch verwandelt. Schade allerdings, dass die Ausgabe nicht zweisprachig ist.
Wie anders klingt Aleš Šteger, wenn er das Andere von Sprache und Welt mit feiner Ironie zu haikuartigen Versen formt:
"Bei der Geburt
Versteckte sich in mir
Ein kleiner Gott.
Manchmal greift er aus mir
Und streichelt andere Götter
Ohne dass ich’s merk."
Hier kann man die Sprache als jenes Wunderding entdecken, das er in seinen früheren Versen beschworen hat. Und die Wespe der Poesie wird flugs zu einem "Glühwürmchen aus Worten", das ohne schwere Bedeutungen durch die Dunkelheit schwirrt.

Aleš Šteger: "Über dem Himmel unter der Erde"
Hanser Verlag, München 2019
96 Seiten, 18 Euro

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