Alexander Kissler: "Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss"
Gütersloher Verlagshaus, 2019
208 Seiten, 18 Euro
Gegen die hohle Phrasendrescherei
05:53 Minuten
Worte – nichts als Worte. Und die meisten von ihnen hohl. Der Journalist Alexander Kissler hat sich Politikerphrasen vorgenommen, um sie genüsslich zu sezieren. Schade nur, findet FAZ-Redakteur Oliver Georgi, dass er dabei nur linke Politiker kritisiert.
Zwei Publizisten haben – unabhängig voneinander – ein Buch mit politischer Phrasenkritik veröffentlicht. In Deutschlandfunk Kultur begutachten sie gegenseitig ihre Werke. Hier der FAZ-Redakteur Oliver Georgi, der den "Cicero"-Redakteur Alexander Kissler gelesen hat:
Wenn Alexander Kissler etwas zuwider ist, dann sind es Sätze, gegen die man eigentlich nichts haben kann. Sätze wie "Gewalt ist keine Lösung", "Wir müssen Haltung zeigen" oder "Wir müssen zur Sacharbeit zurückkehren", die von vielen Politikern schnell dahingesagt werden.
Wenn solche Phrasen fallen: Wer wollte da noch widersprechen? Genau da fängt das Problem für Kissler aber erst an. Denn wenn nicht mehr widersprochen wird, wird auch nicht mehr nachgedacht, findet der "Cicero"-Kulturchef. Kissler sagt: Wir brauchen mehr Widerspruch. Und den hat er jetzt in seinem Buch "Widerworte" formuliert.
Den Sprachkenner Kissler graust's
In ihm verweigert er 15 typischen Politikersätzen die Gefolgschaft, wie er sagt. Etwa dem Begriff des "respektvollen Respekts untereinander", der von Politikern allenthalben gefordert wird. Präzise legt Kissler die widersprüchliche Verallgemeinerung des Begriffs frei, der dadurch zur Phrase entleert wurde: Früher hatte man Respekt nicht "für" andere, sondern "vor" Autoritäten, in einer Mischung aus Furcht und Anerkennung.
Heute, schreibt Kissler, meine Respekt hingegen "Applaus ohne Ansehung der Leistung". Eine Beliebigkeit, die einem Sprachkenner wie Kissler ein Graus ist: "Beifall für alle ist Einverständnis für nichts. Ein universelles Desinteresse am Menschen tönt aus der Phrase, jeder verdiene Respekt. Man kann sie nur aussprechen, wenn einem alles egal ist."
Besonders in solchen Momenten, in denen Kissler auf der semantischen Ebene unerbittlich das Skalpell anlegt, ist sein Buch luzide. Und es ist lesenswert, wie er den Samen des Zweifels in die vermeintliche Widerspruchlosigkeit vieler Phrasen sät. Indem er sie vom Thron der Eindeutigkeit stößt, entlarvt er ihre Leere. Gerade, wenn er eine Phrase wie "zur Sacharbeit zurückkehren" seziert.
Sprachlich brillant – mit politischer Schlagseite
Sprachlich sind Kisslers Analysen brillant - ein Text, der die intellektuellen Sinne schärft. Auch wenn ihm die Sprachkritik an vielen Stellen eher als Vehikel dient für eine bitterböse Generalabrechnung mit einer tendenziell linken Weltanschauung, die Kissler im besten Fall naiv, im schlimmsten aber politisch fahrlässig findet. Polemisch, mitunter sarkastisch, zerlegt er Phrasen wie "Jeder verdient Respekt", "Vielfalt ist unsere Stärke" oder "Menschlichkeit kennt keine Obergrenze".
Dabei macht er in keinem Moment einen Hehl aus seiner politischen Haltung. "Widerworte" ist damit auch das Buch eines Autors, der sich mit großer Lust an Begriffen abarbeitet, die Konservative wie er für Fanale eines linksgrünen Wolkenkuckucksheims halten.
Dadurch bekommt "Widerworte" allerdings eine gewisse Schlagseite. So echauffiert sich Kissler gleich in mehreren Kapiteln über Merkels Flüchtlingspolitik und über migrationspolitische Phrasen, die ein Konservativer wie er als Beleg eines moralisierenden "Gutmenschentums" begreift.
Beißender Kommentar zu Merkels "Schaffen wir"
Das gilt auch für den Bundespräsidenten, dessen Satz "Heimat gibt es auch im Plural" Kissler maßlos aufregt: "Wenn Frank-Walter Steinmeier also ausspricht, worin ihm sehr viele zustimmen, dass nämlich ,Heimat im Plural' möglich sei, will er mit der Mehrzahl den Singular zähmen. So reitet er beide zuschanden. Der Deutschen Heimat soll erträglich werden, indem man sie zerteilt."
Auch der Phrase von der "bunten Menschlichkeit", die vorrangig linke Politiker oft bemühen, will Kissler nicht folgen und entgegnet: "Ist Menschlichkeit nicht immer ein und dieselbe? (...) Das Bunte taugt nicht zum Fundament."
Und wenn Angela Merkel erklärt, "Wir schaffen das", dann sieht Kissler darin keine Parole des Muts am Werk, sondern die Diskursverweigerung einer Kanzlerin. Einer Kanzlerin, die sich mit Blick auf die Monstrosität der deutschen Geschichte und die daraus resultierende historische Verantwortung fatalistisch von den Ereignissen überrollen lässt. "Die möglichst große Aufnahme von Migranten ist der Lackmustest für die wiedergewonnene deutsche Zivilität", so Kisslers beißender Kommentar.
Herausforderung zu Widerworten
Der Blick, mit dem Kissler auf seine Phrasen blickt, ist also deutlich gefärbt. Dass Politiker Phrasen nicht immer nur aus ideologischen Gründen verwenden, wie er insgeheim unterstellt, sondern vielleicht auch mal aus ganz pragmatischen, ignoriert er weitgehend. Und mitunter hätte man sich zugunsten einer größeren Ausgewogenheit auch gewünscht, dass er nicht nur Phrasen aus dem linken politischen Spektrum unter die Lupe genommen hätte, sondern auch solche aus dem konservativen Milieu.
Lesenswert ist Kisslers Buch aber allemal. Denn er selbst kommt weitgehend ohne eine phrasenhafte Sprache aus. Vor allem aber wird das Buch seinem Titel gerecht: Es fordert zu Widerworten heraus. Und damit unterscheidet es sich tatsächlich von vielen Phrasen.