Alexander Kluge: Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie
Ausstellung im Literaturhaus München
30.5.-29.9.2019
"Da ist die Fußsohle eben klüger als der Kopf"
05:44 Minuten
Alexander Kluge ist ein gefeierter Filmemacher und hat auch in der literarischen Welt einen Namen. Seiner vielschichtigen Ideen- und Geschichtenwelt sind sogar Ausstellungen gewidmet - wie jetzt im Literaturhaus München die Schau "Pluriversum".
Ob hinter der Kamera oder auf der Bühne: Alexander Kluge definiert sich immer auch über sein Gegenüber. An diesem Eröffnungsabend gesteht der 87-Jährige der Poetin Ann Cotten, Jahrgang 1982, eine Geistesverwandtschaft.
"So wie bei Novalis, der sagt: Das absolut Szientifische, also Wissenschaftliche, ist zugleich das absolut Poetische. Und das hat mich eigentlich immer mit Ihnen verbunden."
"Vermutlich reizt Sie die Mischung aus Naivität und Gelehrsamkeit. Baudelaire sagte schon, eine Frau, die sprechen kann, ist wie ein Hund, der gehen kann, oder so ähnlich."
"Vermutlich reizt Sie die Mischung aus Naivität und Gelehrsamkeit. Baudelaire sagte schon, eine Frau, die sprechen kann, ist wie ein Hund, der gehen kann, oder so ähnlich."
Die Verehrte gibt sich struppig. Auch im weiteren Gesprächsverlauf.
"Sie sehen unten in der Ausstellung zum Beispiel Ihnen zu Ehren einen Film, ein Triptychon-Film, so wie diesen hier, und der heißt: Wir Philosophen aus der Rippe Evas."
"Hmhm."
"Gibt’s auch."
"Das ist dunkel, das Wort. Was bedeutet es?"
"Aber es ist doch nicht dunkel."
"Wir sind alle Frauen sozusagen."
"Hmhm."
"Gibt’s auch."
"Das ist dunkel, das Wort. Was bedeutet es?"
"Aber es ist doch nicht dunkel."
"Wir sind alle Frauen sozusagen."
Adams Rippe, Evas Rippe
"Also wenn das die Gedankenharfe ist, aus der angeblich ... aus Adams Rippe unser Menschengeschlecht entstanden sein soll, dann könnte man auch sagen: Die Philosophie davon, die Musik entsteht aus der Rippe Evas. Ist 'ne Behauptung."
"Mir ist diese Geschichte marginal."
"Mir ist diese Geschichte marginal."
Den Gefallen, zu widersprechen, tut Kluge einem nicht, man kann sich nur selbst seinen Metaphern widersetzen. Vermutlich die einzige Strategie, um nicht ständig von seinem Gedankenuniversum eingesogen zu werden.
Es gibt ja nichts, wozu Alexander Kluge nicht schon eine Erzählung hätte oder einen Minutenfilm. Diesem "Pluriversum" öffnet sich nun das Literaturhaus München – und zeigt die Ideenwelt des Universal-Erzählers in einer überarbeiteten Retrospektive. Die Fenster sind mit dunkelblauer Folie beklebt.
"Ein Sternenhimmel mit Begriffen darin: Begriffe – Halberstadt brennt, Libido, Stalingrad, die Philosophie der Fußsohle – das sind einfach Ausdrücke, die mir etwas bedeuten und die hinterher in der Ausstellung auch zu sehen sind. Sehen Sie, es hat mal einen Obergefreiten gegeben. Und der hatte eine riesenhafte Blase an der Fußsohle. Und dadurch ist er nicht nach Stalingrad gekommen und nicht umgekommen. Und da ist die Fußsohle eben klüger als der Kopf."
Kluge hat die Bombardements als Kind miterlebt. In den Sechzigern konfrontierte der promovierte Jurist die Bundesrepublik in seinen Filmen immer auch mit der Nazivergangenheit. Bis heute kommentiert Kluge in seinen Minutenfilmen das politische Geschehen, beispielsweise die Ankunft Donald Trumps am Hamburger Flughafen anlässlich des G7-Gipfels, den er mit Einspielungen von Spielzeugaffen verfremdet.
Den Ausgang finden
Von diesen Minutenfilmen gibt es etliche zu sehen. Es sind Kluges Versuche, die "Ausgänge" aus der stagnierenden politischen Realität zu finden.
"Es ist nicht so, dass Verhältnisse hermetisch sind. Sie mögen objektiv so sein, dass meinetwegen keine Zinsen jetzt gezahlt werden, dass wir eine Krise haben. Dass in Österreich ein Kanzler gestürzt wird. Aber wenn Sie genau hingucken, gibt es so viele Gegendetail-Geschichten zur gleichen Zeit. Und die zu finden – dafür ist so eine Ausstellung da."
Ob in seinen gestellten Interviews mit der Schauspielerin Hannelore Hoger oder Helge Schneider, der das Bücherverschlingen wörtlich nimmt. Ob auf der Interviewtonspur mit Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der kühl das Phänomen der romantischen Liebe seziert – immer zählt bei Kluge der subjektive Faktor. Doch der ist heute in Gefahr - die Algorithmen der Netzgiganten haben es auf ihn abgesehen ...
"… die aus uns herausziehen, was unsere Wünsche sind. Sie sind einfach schneller als unsere Wünsche. Denn ein Wunsch, um zu entstehen, braucht längere Zeit, ist ein Produktionsvorgang. Und wenn ich die Verfügungswelt an die Stelle der Produktionswelt setze, dann ist es so, dass wir die Libido schnell los sind."
Hier lässt der 87-Jährige eine kritische Theorie der Amazon-Gegenwart aufblitzen. Um solche Erkenntnisse in der Ausstellung zu gewinnen, muss man sich geduldig durch Filme durcharbeiten, durch die klugesche Mischung aus Geistesblitzen, Ulk und Egozentrik – und durch Werke befreundeter Künstlerinnen wie der Hamburgerin Kerstin Brätsch oder Anselm Kiefer, der versucht, die Gedankenspiele Kluges in Installationen zu veranschaulichen.
Zusammen sind die Künste stark
Als Einzelner, so Alexander Kluge, sei keine Kunst zu machen:
"Wenn Silicon Valley uns für Eingeborene hält, sagen wir mal, und uns so ein bisschen belächelt, dann müssen wir uns verbinden. Die Künste müssen nicht einzeln antworten – zusammen sind sie stark."