"Der Witz unserer Heimatstädte verbindet uns"
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Der Filmemacher und Autor Alexander Kluge hat in sein "Pluriversum" im Münchner Literaturhaus den Komiker Helge Schneider eingeladen. Im Interview erklärt er, wie Komik und Philosophie zusammenkommen und wo der Humor in Deutschland zu Hause ist.
Andrea Gerk: Alexander Kluge ist ein vielfach gefeierter Filmemacher, Schriftsteller und Analyst des Zeitgeists, also eine Art Rundumkünstler und Denker. Genau in derart multipler Funktion hat der 87-Jährige im Münchener Literaturhaus eine Denkwerkstatt eingerichtet, das "Pluriversum", in das er bis Ende September immer wieder Künstlerkollegen einlädt, um sich mit ihnen auszutauschen.
Gestern Abend war Helge Schneider, mit dem Kluge seit Langem zusammenarbeitet, sein Gast, und das Motto des Abends lautete: "Komik, eine Zweigstelle der Philosophie". Vor der Veranstaltung und unserer Sendung habe ich mit Alexander Kluge über die Ideen dieses Abends gesprochen. Guten Morgen, Herr Kluge!
Alexander Kluge: Guten Morgen!
Gerk: Ihr Abend im Münchener Literaturhaus, der stand unter dem Titel "Komik, eine Zweigstelle der Philosophie". Wo kommen denn Komik und Philosophie zusammen? Was ist so philosophisch am Komischen?
Kluge: Sagen wir mal so, die Komik, das ist eines der höchsten Künste im Menschen, die kommt vom Zwerchfell. Wir sind geboren damit, in der Mitte unserer Körper ist ein Muskel, seit dem aufrechten Gang, das Zwerchfell, und wenn das etwas komisch findet, muss es lachen. Kein Lehrer kommt dagegen an, und auch die Nationalsozialisten hatten keine Möglichkeit, gegen das Lachen anzukommen.
Das Lachen ist ja eine Waffe, und ich glaube, dass solche Waffen von der Philosophie gebraucht werden. Es ist also mehr, dass die Philosophie die Komik braucht und den Sinn für das Groteske, als dass man sagt, die Komik braucht unbedingt die Philosophie.
Gerk: Aber Komik kann ja auch ein Erkenntnisinstrument sein, oder, das will ja die Philosophie auch?
Kluge: Ja, das ist es ganz gewiss. Sehen Sie, Helge Schneider ist ein Karl-Valentin-Preisträger, und Karl Valentin – wenn Sie mich fragen, was sind große Philosophen, dann würde ich sagen, Immanuel Kant, Karl Valentin und dann kommen noch einige.
Wenn die Fußsohle klüger ist als der Kopf
Gerk: Und an der Philosophie, ist da auch was komisch?
Kluge: Wenn Sie sich falsch aufstellt. Also wenn Sie am Lehrstuhl steht und sozusagen so ein bisschen künstlich redet, dann ist Philosophie komisch, aber in Wirklichkeit ist sie doch einfach die Klugheit des Kopfes oder die Klugheit der Fußsohle. Es gab mal einen deutschen Soldaten, der hatte eine Riesenblase an der Fußsohle, konnte nicht nach Stalingrad marschieren, kam dadurch nicht um. Da war die Fußsohle klüger als sein Kopf.
Gerk: Helge Schneider, der taucht ja auch in Ihrem jüngsten Film, in "Happy Lamento" auf, den haben Sie dieses Jahr herausgebracht. Da kämpft er mit einem Lichtschlauch. Was schätzen Sie denn an ihm? Was zeichnet für Sie, durch Ihre Augen gesehen, die Komik eines Helge Schneider aus?
Kluge: Also zunächst mal Originalität und dass er jede äußerliche Pointe verweigert. Er kommt aus Mülheim, ich komme aus Halberstadt. Das sind Städte, in denen es sozusagen Kneipen gibt, in denen Menschen untereinander unbefangen reden, kein Medium kann das nachmachen. Dieser Witz aus unseren Heimatstädten, der ist das, was uns verbindet.
Gerk: Wie lange kennen Sie sich eigentlich schon, oder wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?
Kluge: Durch meinen Freund Peter Berling, der hat uns zusammengebracht, und durch Christoph Schlingensief. Christoph Schlingensief ist auch Mülheim-Oberhausen. Das sind ja zwei Städte, die einander benachbart sind. Schlingensief war ein treuer Anhänger von Helge Schneider und dem großen Filmemacher Nekes.
Im Grunde gibt es echte Oberhausener, das ist zum Beispiel Helge Schneider, Schlingensief und dieser Nekes und auch Wim Wenders, und dann gibt es unechte, zugereiste, das sind wir, die Oberhausener Gruppe seinerzeit.
Mutterwitz über Generationen hinweg im Ruhrgebiet
Gerk: Schlingensief hatte ja auch was sehr Komisches in seinen Sachen. Das scheint ein Zentrum der philosophischen Komik da zu sein in der Gegend.
Kluge: Das können Sie wohl sagen! Sehen Sie, das Ruhrgebiet ist nicht tot. Das hat einen unglaublichen Mutterwitz, und über Generationen hinweg. Das kommt von Menschen, die arbeiten. Sie haben im Allgemeinen mehr Witz als sozusagen die Oberschicht.
Gerk: Weil sie näher am Leben dran sind, oder was denken Sie, woran das liegt?
Kluge: Die Not schafft Witz. Also das heißt, wenn ich mich anstrengen muss, wenn ich maloche, wenn es schwierig ist, dann fällt mir irgendein Witz ein im Kopf. Der Kopf ist ein wunderbares Gleichgewichtsinstrument, das Gleichgewicht wiederherstellt, wenn nichts anderes hilft, durch Komik.
Gerk: Gibt es denn einen Helge-Schneider-Witz oder einen Sketch von ihm, den Sie uns erzählen können, den Sie besonders mögen, oder lässt sich seine Art von Komik gar nicht so nacherzählen?
Kluge: Ich glaube, das geht gar nicht!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.