Alina Pogostkina, Violine
Radio-Sinfonieorchester Prag
Alexander Liebreich, Leitung
Romantische Lieblingsstücke in Prag
Musikalische Turbulenzen aller Arten, jahrelang gereifte Virtuosität und böhmische Sinfonik: das präsentiert das Prager Radio-Sinfonieorchester mit seinem neuen Chefdirigenten Alexander Liebreich.
Von wegen Stille Nacht: Gioacchino Rossini dürfte in den Weihnachtstagen 1815/16 kaum zum genussvollen Verzehr getrüffelter Truthähne gekommen sein. Vielmehr wird der 23 Jahre alte Komponist einige turbulente Wochen erlebt haben, die nur noch von den szenischen Turbulenzen seiner komischen Oper "Il barbiere di Siviglia" ("Der Barbier von Sevilla") überboten werden konnten.
Partitur im Prestissimo
Wenige Tage vor Weihnachten erhielt Rossini den Kompositionsauftrag eines römischen Theaters, Mitte Januar begann sein Librettist mit der Arbeit – das Problem war nur, dass schon im Februar die Uraufführung anstand. Dass in der Zwischenzeit auch noch der Auftraggeber starb, machte die Sache nicht leichter.
In etwa drei Wochen zimmerte Rossini das zusammen, was als eine der brillantesten komischen Opern in die Geschichte eingehen sollte – und wer wollte es ihm verdenken, dass er hier und da bei sich selbst abschrieb, wo doch schon die Ouvertüre ein so unwiderstehliches Feuerwerk entfesselt.
Winterliches Virtuosenwerk
Was bei Rossini Wochen waren, das sind in der Entstehungsgeschichte von Mendelssohns Violinkonzert Jahre. Schon 1838 kündigte Felix Mendelssohn Bartholdy dem Geiger Ferdinand David an, ihm ein Konzert "für nächsten Winter" auf den Leib schreiben zu wollen.
Sein unkonventionelles, formal freies und mit einem überraschenden Geigenthema anhebendes Werk schloss er aber erst 1844 ab, und nochmals verging ein Jahr, bis David die Uraufführung im Leipziger Gewandhaus spielen sollte. Ein Klassiker des Repertoires ist diese bittersüße Musik ebenso geworden, wie es Rossinis Oper in ihrer Gattung wurde.
Böhmischer Brahms
Szenenwechsel. Prag im späten 19. Jahrhundert: Die "Slawischen Tänze" haben Antonín Dvořák großen Erfolg gebracht, er kämpft für die Eigenständigkeit der tschechischen Kultur im Habsburgerreich, will aber nicht auf das Slawische festgelegt werden. Fünf Sinfonien hat er bereits komponiert; mit der sechsten knüpft er an sein Vorbild Johannes Brahms an, ohne seine böhmischen Wurzeln zu verleugnen.
Die Sechste wird die Erste sein
Tschechische Herzen schlagen beim langsamen Satz von Dvořáks Sechster höher, denn das ist, wie es der Dirigent Vaclav Talich einmal formulierte, "unsere Weihnachtssinfonie". Die Uraufführung in Prag wird bejubelt, und auch in Wien gibt es begeisterte Reaktionen. Der Simrock-Verlag empfindet das Werk als so grundsätzlich, dass er es als Dvořáks Sinfonie Nr. 1 druckt, womit ein jahrzehntelanges Verwirrspiel um die Nummerierung seiner insgesamt neun Sinfonien beginnt.
Mit diesem festlichen und lebhaften Programm präsentiert sich das Prager Radio-Sinfonieorchester zuletzt; Solistin ist die deutsch-russische Geigerin Alina Pogostkina, und am Pult steht mit Alexander Liebreich der neue Chefdirigent des Ensembles, der sich als Leiter des Münchner Kammerorchesters einen Namen gemacht und zuletzt das Polnische Nationale Rundfunkorchester geleitet hat. (OW)
Aufzeichnung des Konzertes vom 17. Dezember 2018 im Rudolfinum Prag
Gioacchino Rossini
Ouvertüre zum Melodramma buffo "Il barbiere di Siviglia"
Ouvertüre zum Melodramma buffo "Il barbiere di Siviglia"
Felix Mendelssohn Bartholdy
Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64
Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60
Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60