Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
C. Bertelsmann Verlag, München 2016
560 Seiten, 24,99 Euro
Wie Humboldt den Naturschutz inspirierte
Die preisgekrönte Biografie "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur" der Journalistin Andrea Wulf präsentiert einen äußerst modernen Forscher. Das nun auf Deutsch erschienene Buch zeigt, was alles Humboldt angestoßen hat - bis hin zur Naturschutzbewegung.
Alexander von Humboldt ist allseits bekannt – als Namensgeber für zahlreiche Gymnasien, für die gleichnamige Universität, den gleichnamigen Strom und das "Mare Humboldtianum" auf dem Mars. Aber hinter all dem ist der Mensch Alexander von Humboldt längst verschwunden. Genau das soll jetzt anders werden: Mit der preisgekrönten und hochgelobten Biografie der Historikerin Andrea Wulf kann man Alexander von Humboldt als ausgesprochen modernen Forscher kennen lernen, dessen Ideen bis heute nach- und weiterwirken, etwa in der Diskussion um den Klimawandel, der Nachhaltigkeit und der Ökologie.
Andrea Wulf ist tief eingetaucht in das Leben und die Forschung des Universalgelehrten und Weltreisenden. Sie eröffnet ihr Buch mit Humboldts Aufstieg auf den höchsten Berg in Ecuador, dem Chimborazo. Auf dieser Bergtour beobachtete Humboldt, wie sich die Pflanzengesellschaften während des Aufstiegs verändern, er registrierte Ähnlichkeiten mit der europäischen Vegetation und der Verbreitung der Arten von den Tropen bis hinauf in den hohen Norden. Damals entwickelt er ein neues Bild der Natur, in dem vom Kleinsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist. Ein Bild, das sowohl mit dem Verstand als auch mit dem Herzen erfasst werden muss.
Hier spüre man, so die Autorin, den Einfluss Goethes, mit dem Humboldt eine jahrzehntelange Freundschaft verband. Fast fünf Jahre bereiste Alexander von Humboldt Südamerika und trug dabei nicht nur unzählige Daten zusammen, sondern registrierte auch, welche Zerstörung die unbeschränkte Nutzung der Naturschätze bewirkt und welche Gräuel mit der Sklaverei verbunden sind.
Lebens- und kluge Ideengeschichte
Zurück in Europa wurde Humboldt für seine lebendigen Schilderungen begeistert gefeiert - von Wissenschaftlern ebenso wie von Fürsten und Bildungsbürgern. Was ihm dabei half, ein weites Netzwerk zu knüpfen. Und das, obwohl er kein Blatt vor den Mund nahm und die politischen wie wirtschaftlichen Umstände in den Kolonien kritisierte. Wenn auch nicht immer allzu laut, denn um seine Expedition, die teure Produktion seiner Bücher und seine Unterstützung für junge Forscher zu finanzieren, nahm er eine Stelle am preußischen Hof an. Trotzdem stand er mehrfach am Rande des Bankrotts.
In "Die Vermessung der Welt" hat Daniel Kehlmann vor gut zehn Jahren Humboldt im Roman wieder auferstehen lassen. Andrea Wulfs großer Verdienst ist nun, dass sie nicht nur eine Lebens-, sondern auch eine kluge Ideengeschichte geschrieben hat. Denn durch viele seiner Freundschaften und über seine immense Korrespondenz hat Alexander von Humboldt vieles angestoßen: Mit dem Unabhängigkeitskämpfer Simon Bolivar diskutierte er die Kolonialherrschaft und motivierte ihn so, sich in seiner Heimat gegen die Spanier zu wenden. Charles Darwin wurde durch Humboldts Reiseberichte zu seiner eigenen Fahrt mit der "Beagle" ermuntert und er inspirierte maßgeblich die Gründer der amerikanischen Naturschutzbewegung.
Auch wenn man an zahlreichen Stellen merkt, dass Andrea Wulf ihr Buch in erster Linie für den englischsprachigen Raum geschrieben hat, ist es dennoch ein wunderbarer Einstieg in Humboldt Leben und Wirken. Zudem ist es klug und anschaulich geschrieben. Und mehr noch: Wulfs Buch macht deutlich, wie wichtig es auch als Wissenschaftler ist, mit dem Herz und nicht nur mit dem Verstand zu forschen.