Warum sollten wir Jazz hören?
Der Free-Jazzer, Pianist und Komponist Alexander von Schlippenbach hat als Musiker praktisch alles erreicht. Vor dem 50. Jazzfest Berlin kramt der 76-Jährige in seinen Erinnerungen - und erinnert sich an prägende Konzerte und heimliche Radionächte.
Jazz habe ihn schon als Kind fasziniert, erzählt der Avantgarde-Komponist. Er spielt Klavier seit er acht Jahre alt ist, hat den europäischen Freejazz maßgeblich geprägt und auf seinen Tourneen in die ganze Welt getragen. Studiert hat er in den 1960er-Jahren in Köln beim Avantgarde-Komponisten Bernd Alois Zimmermann. Er fand einen Weg, Arnold Schönbergs Zwölftonmusik in den Jazz einfließen zu lassen.
"Jazz ist Musik für Leib und Seele", sagt von Schlippenbach. Das habe er schon als Kind so empfunden. Prägend sei für ihn im US-Soldatensender AFN die Sendung "Voice of American Jazz hour" gewesen, die er als Jugendlicher heimlich praktisch jede Nacht gehört habe: "Manchmal habe ich mir den Wecker gestellt", erzählt von Schlippenbach, für den die Jazzer "die Wühlmäuse unter den Musikern" sind.
Mit Freude erinnert sich der Alt-Meister an das denkwürdige Konzert in der Berliner Philharmonie während des Jazz-Festes 1966: "Das Publikum war aufgeregt-begeistert, aber es gab auch Buhrufe, es waren extrem unterschiedliche Reaktionen." In der Presse sei später von einem "musikalischen Hexenkessel" die Rede gewesen: "Das war natürlich für uns ein gutes Sprungbrett."
Freejazz heißt: Neue Klänge, wenig traditionelle Harmonien, Rhythmen in Auflösung, Improvisation - kurz: Ein "freier Puls". Jeder Art von Musik hat es am Anfang schwer gehabt, vom Hörer akzeptiert zu werden. "Die stilistischen Veränderungen im Jazz haben sich aber eigentlich immer durchgesetzt." Inzwischen habe man sich an die neuen Klänge gewöhnt: "Man kann heutzutage kaum noch jemanden mit Musik erschrecken." Oder vielleicht doch? Alexander von Schlippenbach könnte es mit seinem Auftritt beim diesjährigen 50. Jazzfest Berlin ja noch mal versuchen.
Warum sollten wir Jazz hören? Was macht den europäischen Freejazz aus - gerade auch in Abgrenzung zum amerikanischen? Und erinnert er sich eigentlich an sein erstes prägendes Live-Erlebnis? Darüber und über andere Fragen sprach Ulrike Timm mit Alexander von Schlippenbach.