"Er war nicht für die Wiedervereinigung"
Mit den Verhandlungen über die Ostverträge habe Egon Bahr eine große Leistung vollbracht, sagt der Publizist Alfred Grosser. Doch zugleich habe er Europa vernachlässigt – und sich manch einer Illusion hingegeben.
Zu den Weggefährten des verstorbenen SPD-Politikers Egon Bahr gehörte auch der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser. Immer wieder haben sie im Laufe der Jahre miteinander diskutiert – und waren dabei häufig geteilter Meinung. Im Rückblick zieht Grosser ein kritisches Fazit von Bahrs Politik. Dieser habe mit den Verhandlungen über die Ostverträge zwar eine "große Leistung" vollbracht, andererseits aber das Verhältnis zu Frankreich vernachlässigt und sich insgesamt zu wenig um Europa gekümmert.
"Er war für zwei deutsche Staaten, die vereinigt sind"
Zu Bahrs Sicht auf die deutsche Teilung sagte Grosser im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur: "Er war nicht für die Wiedervereinigung. Er war für zwei deutsche Staaten, die vereinigt sind und die nicht in Europa eingebunden sind, sondern irgendwie an ein Europa, das übrigens in seinen Augen gar nicht bestand, angebunden sind. Diese Einbindung in Europa war ihm zuwider."
Unter dem Motto "Wandel durch Annäherung" habe sich Bahr – ebenso wie sein Parteifreund Erhard Eppler – einer "großen Illusion" hingegeben, so Grosser. "Das war, dass der Osten näher kommt und nicht so bleibt, wie er ist, das heißt: eine harte Diktatur."