"Desinfizierung der Gehirne" nach dem Krieg
Er erhielt 1911 den Friedensnobelpreis: der Österreicher Alfred Hermann Fried. Mit seiner Idee der Überwindung des nationalistischen Machtstaats zugunsten transnationaler Kooperation gab er auch der deutschen Völkerrechtslehre wichtige Impulse.
"Mein 50. Geburtstag. - Als Folie der Massenmord, der bis zum Wahnsinn gesteigerte Hass, die Ruinen zerstörter Städte, erschütterte Existenzen zu Millionen ...",
notierte Alfred Hermann Fried am 11. November 1914 in sein "Kriegstagebuch".
Alfred Fried: "Mehr als die Hälfte der Menschheit steht im Krieg. Das könnte mich eigentlich mit Zweifel erfüllen und mein bisheriges Leben, von dem ich fast die Hälfte dem Kampf für die Vorbeugung dieses Elends gewidmet habe, als verfehlt ansehen lassen (...) Die Verirrung, das Hineinfressen in den gegenseitigen Hass wächst im Kubik."
Der Beginn des Ersten Weltkriegs war für den am 11. November 1864 als Sohn einer jüdischen Familie in Wien geborenen Alfred Hermann Fried ein Schock. Trotzdem hielt der überzeugte Pazifist sein Wirken nicht für verfehlt. Vielmehr hegte er die Hoffnung, dass der furchtbare Weltenbrand die Menschheit endlich zur Vernunft bringen würde. Als Emigrant in der neutralen Schweiz traf Fried auf namhafte Kriegsgegner wie Stefan Zweig und Romain Rolland, und er hatte Zugang zu Presseorganen, die bei den kriegführenden Mächten der Zensur unterlagen.
Der kundige Buchhändler und Journalist analysierte die Kriegspropaganda. In der "Neuen Zürcher Zeitung", die zu einem Sprachrohr der Kriegsgegner wurde, äußerte er sich scharf gegen die kriegsverherrlichende "Journaille". Frieds Zorn galt jenen Intellektuellen, die zum Völkerhass aufgestachelt hatten ebenso wie den Staatsmännern und Militärführern mit ihrem, wie er schrieb, "beschränkten Hirnvorrat":
"Das Verbrechen, das sie begingen, indem sie es zum Krieg kommen ließen, ist so ungeheuer groß, dass selbst die ärgste dafür ausdenkbare Sühne zu lächerlich gering erscheint. Die Menschheit (...) wird sich nach diesem Krieg auf die kommende Aufgabe zu konzentrieren haben, alle Möglichkeiten zur Wiederholung dieses schändlichen Verbrechens zu verrammeln."
Frieds "Kriegstagebuch", 2005 wieder aufgelegt, ist ein einzigartiges Dokument - aus der Feder eines Emigranten. Als "stillen Gelehrten", der über das Wort wirken wollte, beschreiben ihn Mitstreiter. Mit einer in sich geschlossenen Theorie wollte Alfred Hermann Fried den Pazifismus vom Vorwurf des Utopismus befreien und die Friedensbewegung auf eine reale Grundlage stellen.
Zusammenarbeit mit Bertha von Suttner
Es waren die realistischen Darstellungen der Kriegsgräuel des russischen Malers Wassilij Wereschtschagin, an denen sich der Widerstand des jungen Mannes entflammt hatte. 1891 traf er in Berlin, wo er eine Verlagsbuchhandlung gegründet hatte, auf die Pazifistin und prominente Autorin des Romans "Die Waffen nieder!" Bertha von Suttner, mit der er bis zum ihrem Tod zusammenarbeitete.
Sie gründeten eine Monatszeitschrift, aus der später die renommierte "Friedens-Warte" wurde, sowie 1892 die "Deutsche Friedensgesellschaft". Mitten in einer Phase neuer Hochrüstung im kaiserlichen Deutschland fand 1899 die Erste Haager Friedenskonferenz statt. Fried trug seine Theorie des "organisatorischen Pazifismus" vor, die er im "Handbuch der Friedensbewegung" und der Schrift "Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus" weiterentwickelte:
"Wir haben stets dargelegt, dass es nicht die Aufgabe des Pazifismus ist, Einrichtungen zu schaffen, die imstande wären, alle heutigen Staatskonflikte zu lösen; seine Hauptaufgabe besteht vielmehr darin, die Staatenkonflikte so zu gestalten, dass sie durch Rechtseinrichtungen lösbar werden."
Nur durch vertraglich gesicherte zwischenstaatliche Beziehungen also und die Einrichtung von Schiedsgerichten könnten Konflikte politisch und nicht militärisch gelöst werden. Mit seiner Idee der Überwindung des nationalistischen Machtstaats zugunsten transnationaler Kooperation gab Fried auch der deutschen Völkerrechtslehre wichtige Impulse. 1911 erhielt er den Friedensnobelpreis.
Doch Fried wusste wohl, dass nicht durch Organisation allein, sondern vor allem durch Erziehung, er nannte es die "Desinfizierung der Gehirne", der Krieg überwunden werden könnte:
"Wir werden den Krieg nicht los, wenn wir die Menschheit nicht von den schreibenden, dichtenden, philosophierenden, redenden, malenden, fotografierenden Rechtfertigern und Verteidigern des Krieges befreien."
Der unbeirrbar an seiner Überzeugung festhaltende Pazifist und Friedensnobelpreisträger geriet schon bald in Vergessenheit. Isoliert und verarmt, starb er im Alter von 57 Jahren am 5. Mai 1921 in seiner Heimatstadt Wien. Erst hundert Jahre nach Verleihung des Friedensnobelpreises wurde eine Gedenktafel an seinem ehemaligen Wohnhaus angebracht.