Algerische Rockband Imarhan

Mit ein paar geliehenen Gitarren fing es an

Schwarz-Weiß Aufnahme der gesamten Band
Die algerische Band Imarhan © Pressefoto, City Slang Records
Von Carsten Beyer |
Das Debütalbum von Imarhan ist schneller, tanzbarer und westlicher als wir es von etablierten Tuareg-Bands kennen. Die Musiker der algerischen Rockband verkörpern eine neue Generation der Tuareg-Musik. Carsten Beyer hat sich mit Frontmann Sadam Abderahmane unterhalten.
Tamanrasset ist eine Oasenstadt im Süden Algeriens mitten in der Sahara. Fast 2000 Kilometer sind es von hier bis in die Hauptstadt Algier. Einen kleinen Flughafen gibt es in Tamanrasset, ein Krankenhaus und viele Zelte: Hier leben die Tuareg, die in den letzten 20 Jahren aus dem Bürgerkriegsland Mali geflüchtet sind, aus dem Niger und aus Libyen. Und hier haben sich auch Imarhan vor zehn Jahren gegründet, als loser Zusammenschluss von Freunden.
Mit ein paar geliehenen Gitarren sind sie damals bei Familien-Feiern aufgetreten, bei Taufen, Beschneidungen und Hochzeiten, sagt Sadam Abderahmane, Sänger und Frontmann der Band:
"Imarhan – das sind die Freunde, das ist die Familie, das sind die Menschen, um die man sich kümmert. Wir haben diesen Namen gewählt, weil wir an unsere Anfangstage erinnern wollten, aber auch weil wir das Gefühl haben, das heutzutage viele Menschen nur noch an sich denken: Es fehlt an Mitgefühl, es fehlt an Freundschaft, es fehlt an Solidarität gegenüber den Schwachen und den Armen. Wenn die Dinge irgendwann mal besser werden sollen in der Welt, muss sich das ändern."

"Wir öffnen uns gegenüber Einflüssen"

Viele der Songs auf dem Debütalbum von Imarhan klingen ganz anders als die von etablierten Tuareg-Bands wie Tinariwen, Terakaft oder Tartit. Die Algerier haben die Melancholie des Asouf, des Wüstenblues, eingetauscht gegen schnelle Gitarrenriffs und funkige Bässe.
Schneller sind sie, tanzbarer, und man hört die Einflüsse westlicher Vorbilder deutlicher heraus. Und doch, sagt Sadam Abderahmane: Wir sind und wir bleiben Tuareg:
"Wir stellen uns nicht gegen die Tradition oder die Kultur der Tuareg. Im Gegenteil: Wir schätzen sie. Sie spielt eine große Rolle in unserer Musik. Das merkt man ja auch an unseren Melodien und daran, dass wir auf Tamashek singen, in der Sprache unseres Volkes. Aber wir sind die neue Generation. Wir sind modern, wir benutzen das Internet und wir öffnen uns gegenüber Einflüssen aus dem Rest der Welt. Ich finde, das ist etwas Positives, nichts Negatives."

Jeans, verwaschene T- Shirts und Turnschuhe

Auf der Bühne tragen Imarhan nicht den Tagelmust, die traditionelle Kopfdeckung der Tuareg, und auch sonst keine landestypische Kleidung. Stattdessen Jeans, verwaschene T- Shirts und dazu Turnschuhe. Der Bassist hat sogar eine Schirm-Mütze auf mit dem Logo eines amerikanischen Basketball- Vereins. Was für die meisten westlichen Indierockbands zum Standard-Outfit gehört, ist für Imarhan ein Statement:
"Uns geht es um die Musik! Was wir anhaben, ist nicht das Entscheidende. Deshalb kleiden wir uns so wie die meisten jungen Tuareg heutzutage, in Tamanrasset und auch anderswo. Natürlich könnten wir auch in traditioneller Kleidung auf die Bühne gehen, so wie einige Tuareg-Bands, die hier in Europa populär sind. Aber wir sind ja keine Folklore-Tanzgruppe. Wir sind eine Rockband und wir machen Musik! Die sollte man sich anhören und da steckt alles drin."
In den Texten von Imarhan geht es um Themen wie Ausgrenzung, um kulturelle Identität und um das Leben im Exil, weit weg von der Heimat im Norden von Mali, wo derzeit wieder mal ein blutiger Krieg tobt. Ob er und seine Familie jemals dorthin zurückkehren können, weiß Sadam Abderahmane nicht. Er träumt von einem unabhängigen Azawad, einem eigenen Tuareg Staat in der Sahara:
"Es geht nicht nur um die Situation im Norden von Mali, oder um das, was in Tamanrasset passiert, oder wegen mir im Niger oder in Libyen. Die Tuareg müssen ihre Probleme gemeinsam angehen – das ist auch die Botschaft in unseren Songs. Nur wenn wir eine klare Botschaft senden, wird sich etwas ändern: Wenn wir der Weltgemeinschaft klar machen, dass unsere Kultur, unsere Sprache, unsere Lebensweise in Gefahr sind. Wir müssen uns organisieren, wir müssen nachdenken und dann werden wir auch etwas erreichen."

80er: Gewehre gegen Gitarren eingetauscht

In den 80er-Jahren, als die ersten Tuareg-Bands anfingen Musik zu machen, tauschten sie ihre Gewehre gegen Gitarren ein. Damals war das eine Entscheidung mit Signalwirkung für die ganze Region. Doch wenn man sich heute mit jungen Tuareg unterhält, hat man oft das Gefühl, es könnte auch mal wieder in die andere Richtung gehen: Dass die Gitarren wieder verschwinden und die Kalaschnikows zurückkommen. Sadam Abderahmane findet das fatal:
"Mit Waffen erreicht man gar nichts. Was wichtig ist, das sind die Medien, das ist Bildung, das ist eine Strategie, wie wir unsere Botschaften kommunizieren können. Mit Waffen kannst Du heutzutage vielleicht eine Schlacht gewinnen, aber niemals einen unabhängigen Staat errichten. Deshalb machen wir Musik, und wir bleiben auch dabei. Weil wir glauben, dass die Musik stärker ist als Waffen".
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