Ali Hazelwood: "Deep End"
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Mehr als nur "Sex sells"?
05:37 Minuten
![Das Cover von "Deep End" zeigt den Titel in großen heelblauen Buchstaben und darunter die Illustration zweier einander haltender Hände. Das Cover von "Deep End" zeigt den Titel in großen heelblauen Buchstaben und darunter die Illustration zweier einander haltender Hände.](https://bilder.deutschlandfunk.de/b0/82/61/ea/b08261ea-793f-47cd-967e-2aea91ebb778/ali-hazelwood-deep-end-100-768xauto.jpg)
Ali Hazelwood
Übersetzt von Anna Julia Strüh
Deep End – Die unausweichliche Unanständigkeit von Liebe.Rütten & Loening, Berlin 2025554 Seiten
16,99 Euro
Ali Hazelwood schreibt seit 2020 einen TikTok-Bestseller nach dem anderen. In "Deep End" wagt sie sich an ein Tabuthema: BDSM und weibliche Lust. Ist das ein emanzipierter Blick auf Sexualität – oder die romantisierte Wiederholung alter Machtverhältnisse?
Ihre Dialoge lesen sich so rasant, als würde man eine gut geschriebene Netflix-Serie gucken: Ali Hazelwood schreibt ihre Romane nach einem bewährten Muster. Auch ihr neuester Roman "Deep End" unterhält bestens und zieht die Leserin – das Buch ist eindeutig für ein junges, weibliches Publikum vermarktet – in seinen Bann.
Autorin eigentlich Professorin für Neurowissenschaften
Das Rezept dafür ist so einfach wie wirkungsvoll: Ihre weiblichen Heldinnen sind stets Genies in einer männerdominierten, hochkompetitiven, akademischen Branche. Dort treffen sie auf einen männlichen Counterpart, dessen wichtigste Charakterzüge sind, dass er sehr groß und sehr attraktiv ist.
Hazelwood selbst schreibt unter einem Pseudonym, da sie in ihrem anderen Leben eigentlich US-amerikanische Professorin für kognitive Neurowissenschaften ist. Ihre wissenschaftliche Expertise fließt in ihre Romane ein, die sich in unterschiedlichen Disziplinen bewegen: Physik, NASA-Forschung, Schach – und nun in "Deep End" olympischer Wassersport.
"Sex sells" und TikTok macht den Rest
Die Protagonistin Scarlett ist eine talentierte Turmspringerin mit traumatischer Kindheit. Sie trainiert Tag und Nacht, wird bewundert – ist aber im zwischenmenschlichen Bereich unsicher und kann sich nicht vorstellen, dass Lukas, mehrmaliger Olympiasieger im Schwimmen, Interesse an ihr haben könnte. Aber während in früheren Romanen die Autorin ihren Protagonistinnen Steine wie Sexismus an Elite-Universitäten in den Weg legt, ist der zentrale Konflikt in diesem Roman ein anderer: Scarlett muss ihre Panikattacken nach einem Unfall überwinden und gleichzeitig ihre ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben ausprobieren, um ein erfülltes Sex-Leben haben zu können. Wie es der Zufall will, sucht auch Lukas jemanden, mit dem er seine Kinks ausleben kann.
Wer sich also fragt, was es mit diesen überall aus dem Boden schießenden TikTok-Regalen in Buchhandlungen auf sich hat – Ali Hazelwood ist die Königin der Plattform. Ihr erster Roman ging 2020 viral, seither wird jedes neue Buch dort besprochen und braucht kaum noch klassische Vermarktung. Ihre Romane sind durchweg Bestseller und für Verlage ein sehr gutes Geschäft. In "Deep End" wurde ihr nun freie Hand gelassen, um ein gesellschaftlich weniger akzeptiertes Thema zu behandeln: BDSM-Kinks.
Bloß gut geschriebener Porno für Frauen?
Beim Lesen stellt sich schon die Frage: Ist das ein emanzipierter Blick auf weibliche Lust oder nur ein gut geschriebener Schmuddel-Porno für Frauen? Bedient "Deep End" eine neue Form der weiblichen Lustliteratur – während junge Männer Pornografie im Internet schauen, konsumieren junge Frauen Hazelwoods Dialoge? Oder reproduziert das im Zweifel doch nur patriarchale Gewaltfantasien?
Scarlett freut sich über jeden blauen Fleck, den sie beim Sex mit Lukas davonträgt, doch diese Darstellung wirft Fragen auf: Wo verläuft die Grenze zwischen gewollter Hingabe und problematischer Romantisierung? Wie unterscheiden sich solche Spuren von denen, die durch Gewalt entstehen? Die Parallelen sind zumindest irritierend.
Gleichzeitig wird bei diesem Powerplay immer wieder Konsens eingefordert, aus einem Ja kann auch zu jeder Zeit ein Nein werden, Machtverhältnisse werden reflektiert. Hazelwood greift damit eine gesellschaftliche Debatte auf, die auch der aktuelle Film "Babygirl" mit Nicole Kidman behandelt: Wie sind Unterwerfungsfantasien aus feministischer Perspektive zu bewerten?
Vielleicht ist diese Wertung letztlich zweitranging, in ihrem neuen Roman testet Ali Hazelwood die Grenzen des sexuellen Diskurses aus und ob das nun sexuelle Emanzipation ist, gute erotische Literatur oder eben doch nur die natürliche Weiterentwicklung von Fifty Shades of Grey müssen die Lesenden am Ende selbst entscheiden.