Ich gehe in ein Leben des Kampfes um Brot - aber guten Mutes in froher Zuversicht - völlig ungebrochen in geistiger und sittlicher Kraft, in meinem Wertgefühl, das nicht von außen beeinträchtigt werden kann. Das Eine, wozu meine Kraft nicht reicht, ist zum persönlichen Abschiednehmen.
150. Geburtstag von Alice Salomon
Alice Salomon 1929 in Berlin: Acht Jahre später zwangen die Nationalsozialisten sie zur Emigration. © picture alliance / dpa / Imagno / Austrian Archives
Die Frau, die die Soziale Arbeit erfand
07:50 Minuten
Alice Salomon war eine Pionierin auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit und setzte sich für Frauenrechte ein. Vor 150 Jahren wurde sie in Berlin geboren. Viele Missstände, gegen die sie kämpfte, gibt es noch immer.
Sie war intelligent, gebildet, meinungsstark, tatkräftig und sozial außergewöhnlich engagiert: Vor 150 Jahren wurde Alice Salomon am 19. April 1872 in eine bildungsbürgerliche jüdische Familie hineingeboren, als viertes von acht Kindern. Zusammen mit ihrer älteren Schwester besuchte sie eine christliche Schule in Berlin und konvertierte 1914 zum Protestantismus.
Wie vielen Mädchen aus begüterten Familien war es ihr nicht erlaubt, eine Ausbildung zu absolvieren, obwohl sie gerne Lehrerin geworden wäre. In ihren Lebenserinnerungen hat Salomon ihre Jugend als nutzlose Zeit beschrieben. Schon als Jugendliche will sie etwas erreichen und kein, wie sie es nennt, "Pflanzendasein" führen.
Ein Studium ohne Abitur
Später wird sie sagen, dass ihr Leben erst mit 21 Jahren angefangen hat. Damals tritt sie Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit bei, bald darauf auch dem Bund Deutscher Frauenvereine, wird stellvertretende Vorsitzende. Obwohl sie kein Abitur hat, darf sie in Berlin Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie studieren.
Nebenbei sammelt Salomon erste Erfahrungen in praktischer sozialer Arbeit, hilft etwa in einem Mädchenhort, in dem die Kinder von verwitweten oder "eheverlassenen" Frauen untergebracht sind. Hinzu kommen Hausbesuche bei Menschen, die einen Antrag auf Unterstützung bei einer Wohlfahrtskommission gestellt haben.
Durch diese ersten Kontakte mit der Armut verändert sich ihr Leben radikal. "Ich rebellierte gegen die Ungerechtigkeit und die Ungleichheit der Chancen. Ich wollte zuhause die Bilder von den Wänden nehmen, die Teppiche vom Fußboden, ich wollte die einfachste Kleidung tragen und kein Geld dafür ausgeben", schreibt sie später.
Zugewandt und positiv
1908 gründet sie die Soziale Frauenschule in Berlin. Inzwischen heißt diese Alice Salomon Hochschule (ASH). Die Namensgeberin sei ein großes Vorbild, betont ASH-Rektorin Bettina Völter. Salomon habe den Grundstein für die Professionalisierung und Akademisierung der Sozialen Arbeit gelegt und für eine bessere Ausstattung und Bezahlung gekämpft.
Alice Salomon hatte ein zugewandtes, positives Menschenbild: "Setzt einen Menschen in die Lage, ganz er selbst zu sein - und sein Erfolg ist so gut wie sicher." Völter will sie dennoch nicht als "Idealistin" bezeichnen. Das klinge nicht sehr praxisorientiert, meint die Rektorin.
Völter beschreibt die Pionierin vor allem als Macherin. Salomon habe real viel bewegt und sei eine sehr emanzipierte Frau gewesen, die sich für Frauenrechte stark gemacht und die internationale Vernetzung vorangetrieben habe: "Sie hat etwas in der Welt konkret verändert."
Und dennoch existieren viele Probleme, mit denen Salomon rang, auch heute noch. Die sogenannte Care-Arbeit wird immer noch überwiegend von Frauen verrichtet, Pflegejobs müssten besser bezahlt werden. In ihrer Promotion beschäftigte sich Salomon mit der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit. Und das 1906. Leider sei das Thema noch immer von "erschreckender Aktualität", sagt Völter.
Verhöre durch die Gestapo
1932, zu ihrem 60. Geburtstag, erhielt Salomon vom Preußischen Staatsministerium die Silberne Staatsmedaille, die Berliner Universität verlieh ihr die Ehrendoktorwürde. Doch die öffentliche Wertschätzung fand durch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 ein abruptes Ende.
1937 wurde die inzwischen 65-Jährige nach Verhören durch die Gestapo zur Emigration nach New York gezwungen.
An ihren beruflichen Erfolg konnte Salomon in den USA nicht mehr anknüpfen. Nur wenige Menschen kamen 1948 zu ihrer Beerdigung.
(ahe/KNA)