Patsy l'Amour laLove (Hg.): "Beißreflexe"
Querverlag Berlin 2017
269 Seiten, 16,90 Euro
Überfälliger Streit der Über-Frauen
Die amerikanische Philosophin Judith Butler und die deutsche Feministin Alice Schwarzer liefern sich derzeit eine Feuilletondebatte. Dabei geht es auch um die Deutungshoheit zwischen Feminismus und Gender-Wissenschaften. Franziska Walser fasst die Argumente zusammen.
"Es passiert mir oft im Leben, dass ich anfange mich intellektuell zu langweilen", sagt Alice Schwarzer. "Und dann wähle ich mir manchmal ein Thema - aus Sport, aus Spaß am Widerspruch und Danebengehen. Von dem ich weiß: Jetzt gibt's aber Geheule."
Eigentlich eigenartig, dass diese beiden kampferprobten Frauen nicht schon früher aneinander geraten sind: Alice Schwarzer, deren Prominenz nicht zuletzt davon lebt, dass sie sich immer wieder prominente Gegner wie Jörg Kachelmann oder Charlotte Roche gesucht hat. Und Judith Butler, die mit ihren Thesen – vor allem außerhalb ihrer Bücher - immer wieder provoziert.
So ging er los. Der überfällige Streit der Über-Frauen:
Es geht um die Frage, ob man aus feministischer Perspektive den Islam kritisieren kann. Ja, sagt Alice Schwarzer ganz pragmatisch, weil Frauenrecht, Menschenrecht ist. Und das gilt universell.
Judith Butler – Philosophin des Poststrukturalismus – würde das eher theoretisch beantworten: Die Andersheit des Anderen kann eigentlich kein Außenstehender beurteilen.
Und so reden die beiden eigentlich von Anfang an aneinander vorbei.
Darf man aus feministischer Perspektive den Islam kritisieren?
Das Buch "Beißreflexe" vertieft den Graben noch und verkürzt Butler-Zitate auf schmissige Pointen: Sie rechtfertige die Burka als "Übung in Bescheidenheit und Stolz".
Das Originalzitat aus Judith Butlers' Aufsatz "Krieg und Affekt" geht so:
"Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist."
Details? Geschenkt. Stattdessen werden die Knöpfe der Erregung gedrückt: Burka, die Kölner Silvesternacht, Gender als "Pseudo-Wissenschaft". Rassismus-Vorwürfe gegen Emma.
Prompt fühlt sich Alice Schwarzer als Gründerin und Herausgeberin der Emma persönlich getroffen – auch wenn sie den strittigen Text aus "Beißreflexe" nicht mal in Auftrag gegeben, sondern nur nachgedruckt hat: "Der Ekel steigt. Der Ekel vor gewissen Anderen steigt."
Eine Polemik gegen die Gender Studies
Unter der Überschrift "Der Sargnagel des Feminismus" hämmert Vojin Saša Vukadinović – selbst ehemaliger Student der Gender-Wissenschaften – die eigene Disziplin in Grund und Boden. Der "GenderClan" führe einen einzigen "Judith-Butler-Monolog":
"Und der verhält sich – wie die Vordenkerin – bemerkenswert still, wenn es um die Entwürdigung, Misshandlung und Entrechtung von Frauen weltweit geht."
Um die Rechte der Frauen geht es auch dem Autor nur am Rande. Der Text ist vor allem eine Polemik gegen das Fach an sich und seine Lehrmeister – hier bitte ein Sternchen einfügen – Innen. Zum Beispiel Sabine Hark, die sich in der "Zeit" mit Rückendeckung von Judith Butler verteidigt:
"Diese Akademikerinnen stehen exemplarisch dafür, dass Gender Studies heute über weite Strecken eine Mischung aus Ressentiment, Gruppentherapie und antiimperialistischer Ideologie sind."
Sind Gender Studies verantwortlich für den Aufstieg Trumps?
Im Vergleich dazu kommt Judith Butler noch ganz gut weg. Warum also steigt sie mit in den Debattenring?
Weil die Polemik in der "Emma" einen wunden Punkt trifft: Die Gender-Wissenschaft – die die Philosophin mit ihren Thesen vom sozial konstruierten Geschlecht zu einem Exportschlager gemacht hat - wird in Amerika für den Aufstieg von Donald Trump verantwortlich gemacht. Weil sie über dem Kampf für Minderheiten die Mehrheit vergessen hat.
In den USA kursiert ein satirisches YouTube-Video, in dem sich ein Trump-Wähler durch komplizierte Textstellen aus dem Werk von Judith Butler quält.
In dem Interview in der aktuellen Ausgabe der "Zeit" spricht Butler von einer "breiten Front des Antiintellektualismus". Den Emma- und "Beißreflexe"-Autor Vojin Saša Vukadinović stellt sie mit seiner "Grammatik der Härte" und der "schieren Freude an der Zerstörung" in eine Linie mit Donald Trump.
Das wäre freilich ein größerer Debattengegner gewesen als ein unbekannter Gender-Student, der in einem Kleinstverlag eine Fehde gegen sein Fach führt.
Das ist Judith Butler vermutlich auch bewusst. Deshalb wendet sie sich – selbst verallgemeinernd - gegen Alice Schwarzer, um die wiederum an deren wundem Punkt zu treffen.
"Welchen Feminismus Emma auch immer vor Augen hat: Es scheint ein Feminismus zu sein, der kein Problem mit Rassismus hat."
Spätestens seit den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht hat der Feminismus im Lager der Rechten mehr Unterstützer, als ihm lieb sein kann. Alice Schwarzer hat sich davon oft distanziert.
Aneinander vorbei schnappen
Auch Judith Butler hat sich immer dagegen gewehrt, eine Minderheit gegen die andere auszuspielen
"Wie können wir einen nicht-rassistischen, anti-sexistischen Diskurs führen, der zugleich ein nicht-sexistischer, anti-rassistischer Diskurs ist?"
So weit liegen sie also gar nicht auseinander – die vermeintlichen Gegnerinnen.
Im Übrigen kämpfen beide Frauen darum, nicht für alle Irr- und Umwege ihrer Anhängerschaft persönlich haftbar zu sein. "Ich hätte mich früher aus dem klebrigen Wir lösen müssen... Wenn ich schon lese: Alice Schwarzer die Stimme der Frauenbewegung. Dann könnte ich schon kotzen", sagt Alice Schwarzer.
"Anscheinend ist Alice Schwarzer nicht interessiert an einer sorgsamen wissenschaftlichen Lektüre meiner Arbeit. Was sie über mich schreibt, gleicht einer Karikatur."
Alice Schwarzer bleibt eine Frau der Praxis und Judith Butler bleibt eine radikale Theoretikerin. Beide versuchen von ihrer Seite die drängenden Geschlechterfragen zu lösen. Aber ihre Beißreflexe schnappen wirkungslos aneinander vorbei.