Alice Schwarzers neue Biografie

Nach wie vor streitbar

08:34 Minuten
Porträt von Alice Schwarzer im Juli 2019.
Die Journalistin und Feministin Alice Schwarzer © laif / Dominik Asbach
Moderation: Stephan Karkowsky |
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Mit "Lebenswerk" hat Alice Schwarzer den zweiten Teil ihrer Biografie vorgelegt. Darin packt sie große Themen wie Prostitution, Gewalt und Islamismus an. In unserem Interview zeigt sie auch, wieviel Kampfgeist nach wie vor in ihr steckt.
Stephan Karkowsky: In ihrer Autobiografie "Lebenslauf" erzählt Alice Schwarzer von ihren ersten 35 Lebensjahren bis zur Gründung von "Emma" im Jahr 1977. Heute kommt der zweite Teil in die Buchläden. Er trägt den Titel "Lebenswerk" und behandelt ihre großen Erfolge für den Feminismus.
Wenn Sie zurückblicken, auf was sind Sie stolz? Was haben Sie ganz konkret erreicht für die Rechte der Frauen?
Schwarzer: Ich bin stolz darauf, dass ich durch mein Vorangehen vielen Frauen Mut gemacht habe – und auch so manchem Mann – und das auch immer noch tue. Das ist etwas, worauf ich stolz bin.
Karkowsky: Es ist ja nicht so, dass die Öffentlichkeit wenig von Ihnen weiß. Da gab es 1998 schon die kritische Schwarzer-Biografie von Bascha Mika. Es gibt Ihre eigenen sehr persönlichen Bücher und es gab in letzter Zeit auch Ihre öffentlichen Interventionen zur Kölner Silvesternacht oder zum Kachelmann-Prozess. Warum jetzt noch mal ein neuer Band mit dem Titel "Lebenswerk", was fehlte zum kompletten Bild?
Schwarzer: Noch mal ist gut, Herr Karkowsky. In "Lebenslauf" ging es vorwiegend um mich persönlich, also wer bin ich, was hat mich geprägt - meine Kindheit, Jugend, mein Aufbruch in die Welt.
Jetzt geht es um die großen Themen des Feminismus und um den Missbrauch von Kindern, um die Gewalt in Beziehungen, um den politischen Islam, kurzum: um die Forderung, dass Frauen die Hälfte der Welt bekommen und Männer die Hälfte des Hauses übernehmen.
Das beschreibe ich in Sachkapiteln, ab Mitte der 70er-Jahre. Und ich bin selber überrascht gewesen, wie früh ich – und vor allem mit "Emma" – bereits die Probleme thematisiert habe, die jetzt überwiegend hochaktuell sind.

Reue nur in einem einzigen Fall

Karkowsky: Sie erzählen Ihr Leben sehr selbstbewusst als Erfolgsgeschichte. Ein einziges Mal nur liest man, dass Sie etwas bereuen: Ein paar Millionen Euro hatten Sie in einer Schweizer Bank deponiert und dem Finanzamt verschwiegen, das schrieb Hans Leyendecker damals in der "Süddeutschen".
Schwarzer: Seien Sie mal vorsichtig mit Zahlen, Herr Kollege.
Karkowsky: Ich zitiere aus der "Süddeutschen".
Schwarzer: Das ist jetzt auch wieder sieben Jahre her, und ich habe Zinsen eines Kontos nicht versteuert - wir können gerne immer wieder darüber reden.
Karkowsky: Seitdem sind Sie vorbestraft, ist das richtig?
Schwarzer: Nein, das bin ich nicht.
Karkowsky: So stand es damals in der Presse.
Schwarzer: Es steht viel in der Presse.
Karkowsky: Deshalb spreche ich ja mit Ihnen. Ist das wirklich das Einzige in Ihrem Leben, was Sie bereuen? Ich habe in Ihrem Buch wirklich nichts Anderes gefunden.
Schwarzer: Wollen Sie über all das reden, was ich bereue? Das ist nicht so wahnsinnig interessant. Wollen wir nicht vielmehr über diese spannenden Inhalte reden, die sich in diesen 400 Seiten von "Lebenswerk" finden?
Karkowsky: Gerne, zum Beispiel über den Kachelmann-Prozess. Das war ja eine Zeit, wo selbst Schwarzer-Fans hin und wieder ins Zweifeln kamen, als Sie "Bild"-Kolumnistin wurden und den Prozess kommentierten, in dem Kachelmann fälschlicherweise einer Vergewaltigung beschuldigt und dann freigesprochen wurde. Im Buch erklären Sie auch, warum Sie das gemacht haben – Sie sagen, weil Sie gefragt worden sind.

Kommentierung des Kachelmann-Prozesses

Schwarzer: Ob er fälschlich beschuldigt wurde, das wissen wir nicht. Kachelmann wurde freigesprochen aus Zweifeln an seiner Schuld, und es ist richtig, dass man in so einem Fall freigesprochen wird.
Die Kommentierung habe ich gemacht, um der anklagenden Frau eine Stimme zu geben. Wir haben eine Justiz - unabhängig von Kachelmann und seiner persönlichen Schuld oder Unschuld - die sehr täteraffin ist und die die Opferkinder wie -frauen, also die Opfer von Sexualgewalt, gerne vergisst.
So war das auch in diesem Fall, als große linksliberale Medien wie "Spiegel" und "Zeit" vier Monate vor Beginn des Prozesses Partei für Kachelmann ergriffen haben und schrieben, die Frau lügt, der Mann ist unschuldig.
Dann gab es einen achtmonatigen Prozess, und am Ende sagte der Richter das, was auch ich gesagt habe: Wir wissen es nicht, wir konnten die Wahrheit nicht herausfinden. Und er sagte bei der Urteilsverkündung, es kann sein, dass Kachelmann unschuldig ist, es kann aber auch sein, dass er lügt und die Frau sein Opfer war.

"Skandalöser Umgang" der Leitmedien mit Sexualgewalt

In der "Bild" habe ich geschrieben, weil mich sonst niemand wollte. Und ich habe natürlich in "Emma" geschrieben, da steht sowieso am meisten drin und immer auch das Differenzierteste. Die sogenannten Leitmedien haben damals eine skandalöse Position bezogen, jenseits jeden Wissens und jeder Rechtsprechung.
Es ging mir dabei weniger um die Person von Kachelmann, es ging mir grundsätzlich um den Umgang der Justiz und der Medien mit der Sexualgewalt, bei der Frauen und Kinder Opfer sind und bei der die Täter in der Regel stärker sind, auch mehr Geld haben und dann nur freigesprochen werden können.
Das geht nur, wenn man die Schuld den Opfern gibt, wenn man die Opfer unglaubwürdig macht. Und da ist es einfach nötig, dass wir uns endlich der Opfer oder mutmaßlichen Opfer – wie im Fall Kachelmann, da wissen wir es nicht –, dass wir uns derer annehmen.
Karkowsky: Was Sie im Buch natürlich nicht erwähnen, ist, dass die Ex-Freundin Kachelmanns von einem Zivilgericht verurteilt wurde, weil sie Kachelmann "vorsätzlich wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt habe". Claudia D. habe in der Absicht gelogen, Kachelmann ins Gefängnis zu bringen, sagt das Gericht. Warum lassen Sie das aus?
Schwarzer: Herr Karkowsky, Sie sind bemerkenswert voreingenommen, aber es macht Spaß, mit Ihnen zu reden.
Karkowsky: Danke schön!
Schwarzer: Ich erwähne das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Kachelmann nach diesem Urteil, wo gesagt worden ist, man habe die Wahrheit nicht finden können, behaupten kann, die Frau lüge. (*)

Politische Differenzen mit jungen Feministinnen

Karkowsky: Frau Schwarzer, mittlerweile sind es ja nicht mehr nur die Medien oder die Machos, die alten weißen Männer, die mit Ihnen streiten, es sind auch jüngere, radikalere Feministinnen wie Margarete Stokowski, die Sie auch zitieren in Ihrem Buch und die Sie als Rassistin beschimpft. Wie stehen Sie zu diesem neuen Feminismus, der sich offenbar von älteren Feministinnen nichts mehr vorschreiben lassen möchte?
Schwarzer: Sie meinen, meine Generation hat irgendwas vorgeschrieben? So früh am Morgen so viele Klischees auf einmal ... Meiner Meinung nach ist das keine Frage von Generationen. Es gibt auch in meiner Generation Frauen, die mich kritisieren oder etwas Anderes denken. Und es gibt bei den jungen Frauen, auch Frauen, die so denken wie wir. "Emma" zum Beispiel hat die jüngsten Leserinnen aller Frauenzeitschriften, jede Dritte ist unter 30.
Mit Frauen wie Frau Stokowski geht es einfach um politische Differenzen. Es ist bekannt, dass ich ein kritisches Verhältnis zu der Akzeptanz von Prostitution habe und dass ich für die Hilfe zum Ausstieg von Frauen aus der Prostitution bin ebenso wie für den Kampf gegen Menschenhändler und Zuhälter.
Es ist bekannt, dass ich nicht den Islam – das ist ein Glaube, das ist überhaupt nicht mein Thema –, sondern den politischen Islam kritisiere, der Scharia statt Rechtsstaat propagiert, die Verhüllung von Frauen, weil ihr Haar und ihr Kopf sündig sind. Auch das kritisiere ich. Stokowski – wobei das auswechselbar ist, ich meine sie gar nicht persönlich – ist in diesen Fragen "pro". Diese Art von jungen Frauen sind pro Prostitution, pro Kopftuch - da ergeben sich eben politische Differenzen, und die haben mit dem Alter überhaupt nichts zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben aus rechtlichen Gründen einen Satz von Frau Schwarzer entfernt.
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