Alida Bremer: "Träume und Kulissen"
Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2021
366 Seiten, 24 Euro
Eine Leiche und Liebe in schwierigen Zeiten
05:36 Minuten
"Träume und Kulissen" von Alida Bremer spielt 1936 – als Jugoslawien noch jung ist und die deftige Küche Österreich-Ungarns noch nicht fern. Doch dass in Europa ein Sturm aufzieht, deutet sich in dem atmosphärisch dichten Roman schon an.
Selbstverständlich, Fischgerichte gibt es im kroatischen Split allerorten, schließlich liegt die Stadt an der Adria. Aber auch Italien ist nicht weit, aus Apulien bringen die Händler Feigenmarmelade oder auch Pferdesalami in Pfefferkruste mit.
Im Norden wiederum liegen Österreich und Ungarn, und wenn zwei Kriminalbeamten der Sinn nach einem stärkenden Gabelfrühstück steht, dann sieht das so aus: "Auf der rot-weiß-karierten Tischdecke baute der Wirt zwischen den beiden Herren eine Landschaft aus Brotbergen mit goldenen Krusten, tiefen Seen aus dunkelbrauner Gulaschsoße mit Inseln aus Fleischwürfeln und einem Gestade aus beigefarbenen njoki auf. Vermischt mit frischem Wasser, leuchtete der Wein in der Karaffe indigofarben. Mario Bulat und Dinko Despot beugten ihre Köpfe über die dampfenden Teller."
Liebe zur Heimatstadt auf jeder Seite zu spüren
So verlockend bietet sich das kulinarische Panorama laut Alida Bremer zumindest im Jahr 1936 dar, als das Königreich Jugoslawien noch jung und die österreichisch-ungarische Hegemonie mit ihrer deftigen Küche noch nicht allzu fern ist. Bremer schwelgt in den Möglichkeiten, die sich dem interessierten Gaumen damals boten, aber auch wenn die Liebe zu ihrer Heimatstadt auf jeder Seite ihres neuen Buches "Träume und Kulissen" zu spüren ist, hat Bremer doch einen Roman geschrieben und keinen Reiseführer im historischen Gewand. Nur ist es eben ein Roman, der ganz aufs Atmosphärische setzt.
Nicht nur das Essen, auch das Licht und die Luft, die nächtlichen Sterne und die Lage der Stadt, die wie eine geöffnete Muschel zum Meer hin sich öffnet, spielen in "Träume und Kulissen" eine ebenso große Rolle wie die handelnden oder nicht handelnden Personen. Abwarten nämlich lautet das Motto der Hauptfigur des Romans, des gulaschliebenden Kommissars Mario Bulat, abwarten, bis jemand einen Fehler macht.
Schleuser versuchen ihr Geschäft zu machen
In der komplizierten Gemengelage, die Split im Juli 1936 auszeichnet, vielleicht die einzige Möglichkeit, um überhaupt voranzukommen: abwarten und beobachten. Das tut, nachdem eine Leiche gleich zu Beginn auf einer Schubkarre durch die Stadt bugsiert wurde, der Leser gemeinsam mit dem Kommissar.
Er beobachtet, wie sich die Wege von deutschen Kommunisten, italienischen Faschisten und kroatischen Flüchtlingshelfern in der Stadt kreuzen. Wie Schleuser versuchen, ihr Geschäft zu machen, wie Geheimpolizisten einer allein politischen Agenda folgen und wie es in Sachen Liebe in diesen schwierigen Zeiten allerorten knirscht: Ob es die alte Industriellenfamilie ist, die den neureichen Reeder nicht als Schwiegersohn akzeptieren will, ob es der deutsche Kameramann ist, der seine kroatische Geliebte niemals wiedersehen wird, oder sei es der Kommissar selbst, dessen Freundin keine Zukunft in Split sieht und lieber nach Paris gehen möchte.
Der Sturm, der in Europa aufzieht, ist zu spüren
Mag "Träume und Kulissen" auch auf den ersten Blick wirken wie ein Ferienkrimi, einer von jener Sorte, der eine bestimmte Urlaubsregion zum Schauplatz hat, so geht es Bremer in ihrem leicht zu lesenden und doch feingewirkten Roman offensichtlich um mehr.
Zwar ist Split nur eine Provinzstadt. Weder werden hier wichtige Entscheidungen getroffen, noch legen die großen Schiffe nach Amerika hier ab. Selbst die Nazis, die sich auf seinen Straßen herumtreiben, um harmlose Filme zu drehen, sind nur zweite Liga. Aber auch in Split, und das ist die dunkle Note in diesem Gericht, ist der Sturm zu spüren, der in Europa aufzieht, ein Sturm, der so gewaltig ist, dass ein kleiner kroatischer Kommissar ihn mit Abwarten und Gulaschessen nicht aufhalten, ja ihn nicht einmal überschauen kann.