Über Facehugger und Chestburster
Mit "Alien" begründete Ridley Scott 1979 einen Mythos des intelligenten Science-Fiction-Kinos. Seitdem gab es zahlreiche Fortsetzungen, realisiert von verschiedenen Regisseuren. Jetzt hat Scott wieder selbst einen neuen Teil gedreht. Wie fügt der sich ein in die Alien-Reihe?
Susanne Burg: Ridley Scotts Spielfilm "Alien" von 1979 ist eine der bekanntesten Science-Fiction-Reihen der Filmgeschichte. Es gibt Sequels, Prequels und Spin-offs, das "Alien"-Wesen scheint nicht totzukriegen zu sein. Und so kommt der nächste Film am Donnerstag in die deutschen Kinos: "Alien. Covenant" heißt er und wurde wieder von Ridley Scott gedreht. Mein "Vollbild"-Kollege Patrick Wellinski hat den neuen Film gesehen und sich noch mal intensiver mit dem ganzen Kosmos der "Alien"-Filme auseinandergesetzt. Hallo, Patrick!
Patrick Wellinski: Hallo!
Burg: Ja, man kann schon leicht den Überblick verlieren. Der letzte Film "Prometheus" sollte ja nur eine Art Variation des "Alien"-Themas sein, so Ridley Scott. Jetzt heißt dieser Film aber "Alien: Covenant", also doch wieder der richtige Bezug zu Alien. Wie reiht sich dieser Film denn ein in diese "Alien"-Reihe?
Beziehungsstatus: Kompliziert
Wellinski: Das ist weiterhin sehr schwer zu sagen, weil eben Ridley Scott, aber auch seine Autoren und seine Produzenten sich permanent widersprechen. Dann werden Dinge behauptet, das ist ein Vorläufer, dann ist es wieder kein Vorläufer drei Wochen später. Und über diesen Eiertanz gibt es auch schon ganze Artikel. Und Scott hat "Prometheus" damals wirklich eher als Variation begriffen, etwas, das aber sein Drehbuchautor Damon Lindelof, der schon für "Lost" zuständig war, für diese Fernsehserie, eben nicht so gesehen hat. Und dann hat er das "Alien" eben doch wieder reingebracht, sodass Lindelof jetzt für diesen Film nicht mehr zuständig ist, aber man hat noch diese ganzen Logiklöcher aus dem ersten Teil, die man stopfen muss. Und so hieß dieses Projekt erst "Prometheus 2", dann "Alien: Lost Paradise" und jetzt eben "Alien: Covenant". Und diese Wende zeigt, dass man sich jetzt wirklich irgendwie darauf geeinigt hat, dann doch alles, was mit "Prometheus" anfing, als Vorläufer zu "Alien" aus dem Jahr 1979 zu konzipieren. Ergo: Das ist jetzt der zweite Teil der Vorgeschichte der "Alien"-Reihe.
Burg: Okay, trotzdem noch kompliziert.
Wellinski: Ja.
Burg: Tatsache ist ja auch, dass im letzten Film "Prometheus" fast das gesamte Ensemble umgekommen ist. Das bedeutet, dass man hier wieder einen Film mit einer neuen Besetzung anfangen muss. Ist das nicht auch ein erzählökonomisches Problem, immer wieder neue Figuren einzuführen?
Die Figuren sind nicht lange am Leben
Wellinski: Ja, ja, das ist ein Problem. Vor allem auch, weil man eben noch diese Logiklöcher dieses Vorgängerfilms, von dem man sich am liebsten trennen wollen würde, hatte ich das Gefühl, lösen muss. Deshalb macht der Film relativ schnell klar: Identifiziert euch nicht so schnell mit den Figuren, die ihr hier gezeigt bekommt, denn sie sind eh nicht lange am Leben. Der Film setzt ungefähr zehn Jahre nach "Prometheus" ein, wir lernen die Crew der "Covenant" kennen, das ist ein großes Raumschiff, das endlich nach einer langen Zeit sich einem habitablen Planeten nähert, den sie bevölkern sollen, es gibt menschliche Embryonen an Bord, es gibt auch viele potenzielle Siedler und eben diese Crew, die sehr unsanft geweckt wird, weil ein Stern in der Nähe explodiert ist, dann gehen die Sonnensegel kaputt, es muss alles repariert werden, dabei stirbt schon der Kapitän, bei dieser Nummer. Und dann bekommen sie Signale aus der Richtung eines Planeten, die sind irritierend, diesen Planeten hatten sie gar nicht auf der Karte und plötzlich beschließen sie: Na, wenn das viel näher ist als der eigentliche Planet, den wir bevölkern sollen, fahren wir doch dahin! Was sich als großer Fehler herausstellt, denn dort sind diese Aliens. Und das ist quasi jetzt der Inhalt, viel mehr darf ich nicht erzählen, weil, da würde ich viel zu viel verraten. Aber das ist so die Ausgangslage.
Burg: Okay, dann bleiben wir vielleicht beim Figurenpersonal. Ridley Scott hat ja gemeinsam mit dem Schweizer Künstler H. R. Giger unvergessliche Aliens und Wesen erschaffen, also das Alien selber und auch alle kleinen fiesen Gestalten drum herum. Gibt es denn jetzt hier neue Dinge, neue Wesen, die diese Filmwelt bereichern?
Ein kalkuliertes Wiedersehen mit bekannten Effekten
Wellinski: Nein. Also, im Prinzip ist das ein kalkuliertes Wiedersehen. Es gibt die Alienmutter, es gibt die Chestbursters, die aus dem Brustkasten der Leute springen, es gibt die Facehuggers, also diese Wesen, die so an Skorpione erinnern und die sich dann am Gesicht festsaugen. Dieses Wiedersehen ist Fan-Service, man kann förmlich die Fans im Kino hören, wie sie genau diese Szenen genau auch so inszeniert sehen wollen. Mich hat das ehrlich gesagt bis jetzt noch sehr zwiespältig hinterlassen. Einerseits sage ich: Schade, dass das dann doch immer das Gleiche ist und genauso inszeniert ist. Andererseits, wenn du dich zum Beispiel an Jar Jar Binks aus "Star Wars" erinnerst, kann man mit Neuerfindungen auch ziemlich viel kaputt machen. Was mich dann aber doch sehr interessiert an diesem Vorläuferfilm, das ist diese Offenheit – und ich glaube, die kommt von Ridley Scott, der hat ja auch den "Marsianer" vor zwei Jahren gedreht – zu sehr neuen Ideen, die auch die Wissenschaft zurzeit beschäftigen. Also zum Beispiel die Panspermie, das ist die Hypothese, dass das Leben auf unserer Erde eben aus dem Weltall kam. Oder hier ist ganz essenziell der Transhumanismus, also, ob wir quasi durch das Verschmelzen von Menschen und Technik zu einer neuen Zivilisation kommen. Und deshalb steht hier im Mittelpunkt Michael Fassbender in einer Doppelrolle: Er spielt zwei Androiden, die sich begegnen. Und anhand dieser Linien finde ich diesen Film dann doch sehr interessant. Da verzeihe ich ihm schon, dass diese eigentlichen Action-Elemente und die Alien-Wesen doch immer wieder die gleichen sind.
Burg: Wir reden jetzt hier von Ridley Scott und seinem Kosmos. Aber es gab ja auch noch etliche andere Regisseure, die bei den Fortsetzungen des Films von 1979 mitgemischt haben, Regiegrößen wie James Cameron, David Fincher und Jean-Pierre Jeunet. Wie sehr ist dieser "Alien"-Kosmos denn jetzt eigentlich ein Ridley-Scott-Kosmos?
Wellinski: Ja, er ist sehr durchlässig. Ich glaube, er würde gerne sagen: Das ist mein Kosmos. Und das Interessante ist: Die Filmgeschichte ist ja wirklich nicht zuverlässig. Wie schon jetzt diese Interviews, die diese Teile einordnen sollen, ist die Frage, warum er eigentlich damals in den 80er-Jahren nicht selbst diese Fortsetzung gedreht hat. Es gibt keine Antwort darauf. Also, wenn man Interviews aus den 80ern von ihm liest, heißt es: Ja, ich wollte eigentlich "Dune" drehen, dann hatte ich noch ein anderes Projekt, war doch ganz gut, was da James Cameron gemacht hat. Jetzt sagt er: Es war furchtbar, ein Fehler, das den anderen zu überlassen, weil gerade James Cameron ja jemand war, der dieses "Alien" dann zum Beispiel mit dem "Predator" gemischt hat. Also, er hat da nur Spin-offs geschaffen, die "Alien"-Figur an sich ist ja jetzt popkulturell, das ist ja nicht mal ein Wesen im Film, sie trägt nichts Dramaturgisches mehr, jetzt ist das doch nur dieses Wesen, auf die alle warten wie in so einem Vergnügungspark oder eben Disneyland, wo du eben die Figuren siehst, die du sehen willst. Und ich glaube, dass jetzt mit "Prometheus", obwohl er es ja nicht wollte, er sich irgendwie gezwungen sieht, da etwas zu retten, was aus seiner Sicht dann doch – so ein großes Ego hat er schon, er war ja auch schon zu Gast bei uns in der Sendung – wahrscheinlich kaputt gemacht worden ist.
Alienfilme sind keine seelenlose Unterhaltung
Burg: Der andere Punkt, der die "Alien"-Filme heraushebt, ist ja die Tatsache, dass immer so eine starke Frau im Mittelpunkt steht, Sigourney Weaver als Ripley, sie gilt als erste weibliche Actionheldin, auch sonst ist "Alien" voll mit frauenspezifischen Themen. Ist das auch hier wieder so?
Wellinski: Es ist hier so, und das, glaube ich, hebt dann diese Reihe wirklich heraus. Das ist jetzt wirklich keine seelenlose, dumme Unterhaltung, auch wenn man das vielleicht im ersten Moment, wenn man sich den Trailer ansieht, behaupten könnte. Ich glaube, es gibt keine Filmreihe in der Filmgeschichte, die den psychologischen Sinn ihrer Geschichte so konsequent durcherzählt wie "Alien". Also, das große Motiv ist ja die Angst des Mannes vor dieser Gebärfreudigkeit der Frau. Und das exerziert der Film alles eben aus der Sicht einer Frau, dass der Mann eben passiv im Kino sitzt und sich das ansieht. Die Reproduktionsfähigkeit spielt hier immer mit, es geht ganz viel um Befruchtung, es geht ja hin bis zur Durchtrennung der Nabelschnur und Geburt. Also, immer wenn diese Aliens wieder neu entstehen, da sind ja immer diese Zyklen, die neu inszeniert werden. Es ging dann ja auch später bei David Fincher um Mutter-Tochter-Verhältnisse, um diesen Prototyp der rachsüchtigen Mutter ja auch, dafür steht ja auch dieses "Alien"-Wesen. Und das ist hier eben alles immer noch da. Das sind wunderschöne Zirkel, schöne Kreisbewegungen, die in dem Film immer drin sind. Und eben auch hier, und das zeichnet diese Reihe bis heute aus. Wenn man nicht fies ist, aber wenn man ganz konsequent ist, müsste man sagen: "Alien" ist ja auch ein sehr konsequenter Film zum Muttertag!
Burg: Wollte ich gerade sagen! Denn zum Muttertag kommen wir noch am Ende der Sendung. Erst mal Patrick Wellinski über die diversen "Alien"-Filme, der neuste Teil dieser losen "Alien"-Reihe, "Alien. Covenant", ist ab Donnerstag in den Kinos zu sehen. Vielen Dank, Patrick!
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