Strippen gegen Bodyshaming
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Strippen und sich sexy fühlen, auch mit XXL-Körper: Das wollte die US-Autorin Alison Stevenson. Mit anderen Mitstreiterinnen organisierte sie "Thicc Strips", eine bodypositive Stripshow. Angst habe sie schon gehabt, ob jemand das sehen wolle, erzählt sie.
Martin Böttcher: Als in Los Angeles ansässige Autorin und Comedian arbeiten Sie sich an Themen wie "Body Positivity" zum eigenen und "Fat Acceptance" ab. Was beschäftigt Sie an diesen Themen?
Alison Stevenson: Um ehrlich zu sein, hat das bei mir mit einer persönlichen Entwicklung zu tun. Ich wollte mich besser fühlen. Es ging also erst einmal um mich. Aber natürlich sollte sich jeder gut fühlen. Ich wollte mich aber auch ausdrücken und dann hab ich gemerkt, dass sich so viele Frauen so fühlen. Viele schauen sich ja auch meine Bilder auf Instagram an. Und dann dachte ich, irgendwie geht es doch nicht nur um mich, sondern auch um andere, besonders Frauen, die eben das Gefühl haben, dass die Gesellschaft uns nicht so ausdrücken lässt wie wir das wollen, weil wir "Plus Size" sind.
Böttcher: Wir können Sie nicht sehen – wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Stevenson: Ich weiß nicht, ob ich das im Radio so sagen darf, aber als Comedian bezeichne ich mich als "Fat Slut" – fette Schlampe – und ich meine das 100 Prozent positiv.
Böttcher: "Body Positivity" wird überall im Netz gefeiert und gefordert. Im nicht-virtuellen Leben, da steht es mit der "Fat Acceptance" aber gar nicht so gut. Meist haben wir es mit "Fat Shaming" zu tun. Wie kommt es zu diesem unterschiedlichen Sichtweisen?
Stevenson: Ich glaube, es gibt mehr Sicherheit und auch Komfort im Netz. Man kann da irgendwie wählen, es gibt mehr Handlungsfreiheit. Zu sagen zum Beispiel: Das ist mein Foto und das veröffentliche ich und ich wähle aus, wer das sehen darf. Es ist einfacher, Gleichgesinnte im Netz zu finden.
Im analogen Leben ist man nicht umringt von so vielen Menschen, die ähnlich denken. Natürlich ist auch das Internet öffentlich, natürlich gibt es dort Trolle und auch "Fat Shaming". Aber im analogen Leben findet man als bodypositiver Mensch eben nicht so leicht Plus-Size-Menschen, die sich so fühlen wie man selbst.
"Ich habe mir nie vorstellen können, so etwas zu machen"
Böttcher: Dieser fehlenden Körperakzeptanz wollen Sie entgegenwirken – mit einer bodypositiven Stripshow. Oder haben Sie zumindest. Wie sind Sie darauf gekommen, auf diese Idee für diese bodypositive Stripshow?
Stevenson: Ich persönlich bin ein großer Fan der Stripkunst. Ich gehe oft in Stripclubs, habe mir aber nie vorstellen können, so etwas auch mal zu machen. Ich dachte immer, das würde mir nie erlaubt, wegen meines Körpers. Und dann habe ich Elizabeth und Linda getroffen, die Mitbegründerinnen von "Thicc Strip".
Ich hatte zwar die Idee, aber wir haben die dann gemeinsam weiterentwickelt. Weil wir dachten, es gibt so viele bodypositive Frauen, daraus können wir definitiv ein größeres Event machen, mit dem wir alle Frauen und alle Körper feiern und sagen: "Ihr dürft das machen! Das ist nicht nur für dünne Frauen! Für alle, die sich so ausdrücken wollen, ist das der Ort, das zu machen."
"Strippen ist nicht nur für den heterosexuellen Mann"
Böttcher: Aber ist ein Stripclub nicht auch ein zwiespältiger Ort, um jede Art von Körper zu feiern? Sind im Stripclub Körper nicht nur Objekte und haben gerade dort bestimmte stereotype Kriterien zu erfüllen?
Stevenson: Natürlich und das wollten wir ja auch infrage stellen. Da sind natürlich eine Menge unnötiger Stigmata rund ums Strippen und Sexarbeit im Allgemeinen, die wir ändern wollen. Strippen ist für mich eine Kunstform. Das muss nicht nur für den heterosexuellen Mann und sein Vergnügen bestimmt sein. Es ging nicht um einen Fetisch.
Die meisten Menschen, die zu unserer Show kamen, das waren auch Frauen: 60 Prozent gegenüber 40 Prozent Männern. Wir wollten zeigen, dass es beim Strippen eben mehr gibt, als das, was die Leute üblich so machen.
"Die einen wollten sich selbst was beweisen"
Böttcher: Wie sind Sie denn vorgegangen, wo haben Sie die Stripperinnen denn letztendlich her?
Stevenson: Es gab eine öffentliche Einladung. Jede konnte wirklich mitmachen. Wir hatten einen Coach, die die Grundlagen des Strippens vermitteln hat, Cera.
Da ging es jetzt nicht nur um die reine Choreografie, aber die hat uns angeleitet. Und dann haben wir geguckt, was wir machen wollen. Wir waren dann innerhalb von ein paar Monaten wirklich eine ganz gute Gruppe, haben uns regelmäßig getroffen. Und die Frauen hatten alle unterschiedliche Gründe dabei zu sein: Die einen wollten sich selbst was beweisen, weil das so angsteinflößend ist, aber eben doch etwas einem drin ist, das sagt: Du musst das machen. Das war bei vielen so.
Viele wollten aber auch andere Frauen inspirieren, und das ist auch definitiv passiert. Wir arbeiten gerade an unserer zweiten Show und wir haben schon wieder eine komplett neue Gruppe an Tänzerinnen zusammen, die sagen: "Wir waren bei der ersten Show dabei und wollen das jetzt auch machen." Das wird jetzt ein Trend, dass Frauen sich auf diese Art sehen und das weitermachen wollen!
Die sexuelle Seite an sich selbst akzeptieren
Böttcher: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das trotzdem eine relativ freie Art des Striptease? Die einzelnen Stripperinnen können letztendlich machen, was sie wollen und selbst entscheiden: Was ziehe ich an beziehungsweise wie weit ziehe ich mich aus. Geht das auch so weit, dass jeder seine eigene Musik gewählt hat?
Stevenson: Genau, jede konnte selbst entscheiden, was sie machen will: Ihre Musik wählen, ihren Style, ob sie nackt sein möchte oder eben nicht ganz nackt. Es ging mehr darum, ein Ereignis zu kreieren, wo wir alle zusammenkommen. Alle einzuladen, die sexuelle Seite an sich selbst zu akzeptieren. Es musste nicht das eine Ding sein, um sagen zu können: Du bist eine richtig gute Stripperin!
Böttcher: "Body Positivity" ist ja etwas ganz anderes als ein Fetisch für Übergewichtige. Wie verhindert man denn, dass sich bei so einer Stripshow so etwas überlagert?
Stevenson: Wir konnten das natürlich nicht zu 100 Prozent garantieren, aber so wie wir das promoted haben und darüber geschrieben haben, war schon sehr klar, dass das eine feministische Stripshow wird, in der wir keinen Fetische bedienen. Alle sollten hier mitmachen dürfen und die Tatsache, dass wir so viel Unterstützung von der Presse hatten, die hat auch geholfen, dass die Botschaft wirklich rüberkam: ein bodypositives Ereignis zu schaffen.
"Wir hatten schon Angst"
Böttcher: Und hat das dann auch geklappt mit dem Publikum? War da auch das Publikum, das sie sich gewünscht hätten?
Stevenson: In jedem Fall. Das war ja im Dezember das erste Mal, dass wir das gemacht haben. Und wir wussten überhaupt nicht, ob überhaupt jemand kommen würde. "Wollen die Leute so etwas sehen", haben wir uns gefragt. "Sind wir vielleicht die Einzigen?" Wir hatten schon Angst.
Aber als die Tickets online in den Verkauf gingen, waren wir innerhalb einer Woche ausverkauft. Und da haben wir gemerkt: Wir sind nicht verrückt. Viele Leute haben echtes Interesse daran. Die ganze bodypositive Szene, Menschen von überall her, auch viele Männer. Unsere Botschaft: Das ist nicht für jemand Spezifischen, sondern für uns alle. Die ist angekommen.
Böttcher: Können Sie sich erinnern, wie sie sich gefühlt haben und wissen Sie, wie sich die anderen Frauen gefühlt haben?
Stevenson: Es war so aufregend. Es ging alles so schnell. Ich erinnere mich, dass ich mich nach der Performance so erleichtert und glücklich gefühlt habe. Ich meine, als eine der Organisatorinnen: Da war so viel zu tun, dass das stattfinden konnte, und wenn man dann sieht, was dabei herauskommt, und die ganzen Leute zu sehen, die Frauen und das Publikum, die zum Teil in Tränen ausgebrochen sind, weil das so überwältigend war.
"Ich habe das Gefühl, dass wir was erreicht haben"
Ich glaube, eine Menge Frauen und Tänzerinnen haben das so empfunden wie ich. Jedenfalls haben die in den sozialen Medien auch gepostet wie glücklich sie das gemacht hat. Ich hatte schon das Gefühl, dass wir damit was erreicht haben.
Böttcher: Das nennt man dann wohl einen Erfolg auf ganzer Linie. Vielleicht können Sie noch einmal kurz erläutern: Wie geht es jetzt weiter? Wann ist die nächste "Thicc Strip Show"? Und ja, sie hatten einen Workshop erwähnt.
Stevenson: Die nächste Show ist am 18. Mai. Wie haben wieder einen Strip-Workshop ins Leben gerufen, damit sich auch viele Leute engagieren können. Das ist ein sehr inklusiver Workshop, wo alle diese Bewegungen unterrichtet werden. Aber es ist auch auf jeden Fall mehr, als nur diese Tanzschritte lernen.
Wir reden ganz viel über unsere Körper und was das bedeutet und was uns vielleicht auch blockiert und woran wir noch arbeiten müssen, emotional und physisch. Es ist so eine Körper-Geist-Klasse, wenn man so will. Und jetzt konzentrieren wir uns auf die zweite Show, die hoffentlich noch besser wird als die letzte.