Alkohol, Cannabis, LSD

Der Rausch als durch und durch moderne Erfahrung

Ein Mann raucht einen riesigen Joint.
Ein Mann raucht einen riesigen Joint. © picture alliance/ZUMA Press
Robert Feustel im Gespräch mit Ute Welty |
Im Mittelalter galt die Wirkung von Drogen als "teuflisch", sagt der Historiker Robert Feustel. Der moderne Mensch hingegen nutze Drogen ganz bewusst – in der Absicht das eigene Gehirn zu manipulieren und in einen Rausch zu versetzen.
Ute Welty: In dieser Woche machen wir uns auf die Suche nach dem guten Rausch. In Interviews, Berichten und Reportagen wollen wir klären, welche Formen von Rausch es gibt und warum die Sehnsucht danach so groß ist, auch wenn dem Rausch meist der Kater folgt. Der Politikwissenschaftler und Historiker Robert Feustel hat das auch getan, und er hat darüber ein Buch geschrieben: "Grenzgänge: Kulturen des Rauschs seit der Renaissance". Guten Morgen, Herr Feustel!
Robert Feustel: Guten Morgen!
Welty: Was genau sucht der Mensch im Rausch?
Feustel: Das ist wahrscheinlich genauso vielfältig, wie es Drogen und Rauschzustände gibt, das lässt sich so ganz einfach nicht sagen. Eine Geschichte, die wahrscheinlich immer wieder zu finden sein wird, ist das andere der Vernunft, das andere des nur nüchternen, einfachen, klaren Denkens – so Aussetzer, eine andere Welt erleben, das ist, glaube ich, so die Standardempfehlung zum Thema.
Welty: Wann haben Menschen angefangen, sich zu berauschen?
Feustel: Soweit man das nachvollziehen kann, haben Menschen schon immer irgendwie Stoffe zu sich genommen, die mehr machen als satt und den Durst zu stillen. Drogenerfahrung gibt es solange man sozusagen Aufzeichnungen von Menschen kennt, also könnte man eigentlich auch sagen, dass Menschen genauso lange auch schon den Rausch suchen. Ob das so ganz stimmt, weiß ich allerdings nicht, weil die Idee von Rausch ist noch recht jung, 200 Jahre etwa, also auch der Begriff ist recht jung in der Form, wie wir ihn kennen. Und dann hat Rausch auch sehr viel mit der Vorstellung von sich und der Welt, von Subjekt und Individualität zu nennen und davon, wie man sein Denken versteht. Und dann ist Rausch eine moderne Geschichte. Also es gibt eigentlich beides – einerseits die lange Geschichte, dass Menschen schon immer Drogenerfahrungen suchen, und die kurze, dass wir sozusagen auf eine bestimmte moderne Weise irgendwann anfangen, den Rausch erleben zu wollen.

"Alkohol spielt schon sehr, sehr lange eine Rolle"

Welty: Bevor wir über diese Idee des Rauches sprechen, würde mich noch interessieren, woraus bestanden denn die ersten Drogen, was waren das für Substanzen?
Feustel: Das ist ganz vielfältig. Alkohol spielt schon sehr, sehr lange eine Rolle, es gibt verschiedene Pilzsorten, die man nachweisen kann, auch Cannabis, also Hanf und Opiate sind schon sehr lange bekannt, es ist also sehr vielfältig. Die Drogenküche ist schon sehr lange sehr ausgefeilt.
Welty: Sie haben eben gesagt, die Idee des Rauches entstand vor etwa 200 Jahren. Was war denn da der Anlass, sich mit einer Idee, einem Konzept von Rausch beschäftigen zu wollen?
Feustel: Die Anlässe, sich mit dem Thema Drogenkonsum zu beschäftigen, gibt es schon länger. Rausch ist sozusagen eher … Man muss es, glaube ich, andersrum betrachten: Vor etwa 200, 250 Jahren haben Menschen angefangen oder hat sich sozusagen die Vorstellung von Menschen verschoben auf eine bestimmte Form von Individualität – wir kennen ja auch die Zeit der Aufklärung, der Mensch ist sozusagen ein eigenes Wesen, losgelöst von Gott, hat sein eigenes Gehirn, das selbstständig denkt.
Und die Modernisierung provoziert einen anderen Zugang zum Drogenkonsum und zu dem, was Drogen mit einem machen. Um es ganz kurz und salopp auszudrücken: Ich muss erst mal ein gewisses Wissen von meinem eigenen Gehirn haben, um nachvollziehen zu können, dass eine Droge mit meinem Gehirn irgendwas anstellt, dass es also nicht Gott oder Teufel ist, sondern dass es eine biochemische Wirkung ist. Das ist ein modernes Wissen, was dann eine bestimmte moderne Art von Denken provoziert, die wir Rausch nennen.
Welty: Das war im Mittelalter wohl noch anders?
Feustel: Da gibt es auch schon Drogenkonsum, das wird ganz anders sortiert und eingeordnet. Ein großer Teil des Drogenkonsums im Mittelalter wird den Hexen zugeschrieben, die sich berauscht haben, die mit verschiedenen Stoffen versucht haben, einen anderen Zustand zu erreichen, und da ist es relativ einfach zu formulieren: Da ist meistens die Droge teuflisch. Sie kommt vom Teufel, sie führt zum Teufel. Das hat alles mit Gott und dem Teufel zu tun. Also da ist der Drogenkonsum, da ist die Drogenerfahrung keine individuelle, die Halluzinationen produziert, sondern es sind bestimmte Empfehlungen, narrative Momente, Zustände, die irgendwie einsortiert werden in so einer Welt von Gott und Teufel. Das ist also relativ weit weg von dem, was wir heute unter Drogenkonsum verstehen und hat deswegen auch wenig mit dem zu tun, was wir in der Moderne als Rausch verstehen.

"LSD hat keine nachweisbare Suchtwirkung"

Welty: Wer Rausch sagt, der denkt ja die Begriffe Droge und Sucht meist gleich mit, auch in einem Wort wie Rauschgift, was heute aber fast schon altmodisch wirkt. Inwieweit sagen Sie, dass diese Verknüpfung die Zusammenhänge vielleicht verkürzt, unter Umständen sogar unzulässig verkürzt?
Feustel: Auf jeden Fall würde ich es so beschreiben, dass es grundsätzlich verkürzt ist. Das Wort Rauschgift taucht erst am Ende des 19. Jahrhunderts auf, das gibt es vorher so gar nicht. Auch das Wort Gift hat eine doppelte Bedeutung – "gift" ist ja auch ein Geschenk, im Englischen hört man das noch und im Deutschen auch an der Mitgift. Dass sozusagen Drogen als Gift verstanden werden, ist eine sehr junge Erfahrung, da muss man sehr vorsichtig sein, weil das ist eine Verknüpfung, die sozusagen schon mit so einer Problematisierung von Drogen zu tun hat, mit so einer bestimmten Form von staatlichem Eingreifen in individuelles Handeln, also der macht was, der darf was machen.
Das Thema Sucht ist ähnlich jung wie das Thema Rausch und wird aus meiner Sicht unlauter zusammengebunden mit dem Thema Drogen und Rausch, weil viele von den Drogen, um die es gibt, oder zumindest einige, gar keine Rauschwirkung entwickeln, die auch keine Suchtwirkung entwickeln können so ohne Weiteres. Da muss man sehr genau hinschauen, um welche Drogen es geht, und die Moderne ist leider davon geprägt, viel zu einfach und viel zu schnell Drogen und Rausch mit dem Thema Sucht zu verknüpfen.
LSD zum Beispiel, eine sehr bekannte Droge, hat keine nachweisbare Suchtwirkung. Es wäre auch absurd, sich mit LSD einer Sucht hingeben zu wollen. Da wird sozusagen aus so einer Verbesserung des Lebens – man nennt es in der Theorie Biopolitik … Aus einem Aspekt heraus, dass der Staat, dass staatliche Strukturen in das Leben der Menschen mehr eingreifen wollen als früher, werden Themen verknüpft, die gar nicht unbedingt zusammengehören.
Welty: Hat der Rausch inzwischen ein Imageproblem, denn gemeinhin wird er ja eher verteufelt und als Kontrollverlust gebrandmarkt.
Feustel: Würde ich schon sagen, ja. Es gibt sozusagen so eine negative Konnotation zu dem, was man Rausch nennt, aber gleichzeitig gibt es ja ständig eine Feier des Rauschs, die aber vor allem in der Moderne, in der Gegenwart auch in Deutschland eher mit dem Alkohol verknüpft ist. Der Alkoholrausch gehört irgendwie dazu, man nennt das entkulturiert, also er ist normaler Bestandteil des alltäglichen Gehabes, und da gibt es weniger Widerstände gegen Rauschformen. Da gibt es ein sehr eingleisiges Denken: Der eine Rausch ist gut, der andere Rausch ist böse, oder der eine Rausch ist zumindest ertragbar in einer Gesellschaft. Insofern würde ich sagen, es gibt eine starke wahrnehmbare Ambivalenz im Kontext oder im Zusammenhang zum Rausch.

LSD und Gras haben eine linke Gegenkultur kriminalisiert

Welty: Woran liegt das, dass die eine Rauschform so sanktioniert wird und die andere Rauschform eben komplett abgelehnt wird und auch meist illegal ist?
Feustel: Das hat viele Faktoren, die vor allem im 20. Jahrhundert zu beobachten sind, da muss man genau hinschauen, um welche Droge es geht. Bei Hanf gibt es eine lange Geschichte, auch der Papierproduktion. Da gibt es Argumentationen, dass es bestimmte Interessengruppen gibt, die großes Interesse daran haben, Hanf aus dem alltäglichen Gebrauch herauszuhalten. Das andere ist dann schon eine sehr starke funktionale Differenzierung der Gesellschaft, mit hohen Ansprüchen an Menschen, die eine bestimmte Rolle erfüllen sollen in ihrem Leben. Das Verbot von Drogen und der schlechte Name, den viele Drogen haben, hat mit sehr vielen Entwicklungen zu tun. Da müsste man noch 68 erwähnen – in dem Zusammenhang haben Drogen, haben LSD und Gras vor allem die Rolle gespielt, eine linke Gegenkultur zu kriminalisieren. Und aus solchen Entwicklungen entsteht dann Eigendynamik mit der Zeit, die dazu führen, dass die Leute ein ganz schräges, eigenwilliges Wissen über die Bösartigkeit von Drogen entwickeln, was sich dann so festsetzt und nur sehr schwer aufzubrechen ist.
Welty: Robert Feustel, über den Rausch reden wir hier. Im Deutschlandfunk Kultur machen wir uns in dieser Woche auf die Suche nach dem guten Rausch. Herr Feustel, haben Sie Dank für das Gespräch!
Feustel: Vielen Dank!
Welty: Und "Grenzgänge", das Buch von Robert Feustel, ist im Fink-Verlag erschienen, 335 Seiten kosten knapp 43 Euro. Heute Nachmittag, nach 17 Uhr, geht es dann in "Studio 9" um den Rausch ohne Hilfsmittel, um Atmen, Tanzen, Meditieren als die neuen Drogen. Und in der DLF-Audiothek finden Sie dann auch dieses Interview zum Nachhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema