Die Namen aller handelnden Personen wurden aus Rücksicht auf ihre Sicherheit geändert.
Der Durst der Iraner nach Freiheit
15:59 Minuten
Das Trinken von Alkohol ist in Iran seit der Islamischen Revolution 1979 tabu und per Gesetz untersagt. Laut der Scharia handelt es sich dabei um ein Kapitalverbrechen. Doch die Iraner wissen, wie sie trotzdem an die begehrten Spirituosen kommen.
Eine moderne Küche im Norden Teherans.
"Wozu die Cola-Flasche?"
"Die Cola-Flasche ist fest und wird nicht platzen, Bier sprudelt ja. In der Flasche entsteht Druck."
"Und hier haben wir drei Flaschen alkoholfreies Bier."
"Zuerst gießen wir das Bier in einen Topf, damit das Gas weggeht."
"Wieviel Hefe gibst du dazu?"
"Für zehn Liter braucht man jeweils einen Esslöffel Hefe."
Zugegeben, ich bin etwas aufgeregt, denn das, was wir hier mit Ramtin, einem jungen Bauunternehmer aus Teheran, machen, ist im Iran strengstens verboten.
Für die Alkoholherstellung bekommt man Peitschenhiebe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis. Selbst, wenn man es nur für den privaten Gebrauch macht. Und doch nehmen die Iraner dieses Risiko auf sich.
Fast alle trinken einen über den Durst
Heute hat mich Ramtin zu einer Party im Norden Teherans eingeladen. Hier feiern drei Generationen, auch Kinder sind dabei. Sie hüpfen und jagen sich zwischen den tanzenden und feiernden Eltern und Großeltern. Auf dem Tisch stehen Flaschen mit Bier und süßem Rotwein. Eine Flasche mit selbstgebranntem Schnaps macht die Runde. Fast alle trinken einen über den Durst. Für den Wein ist heute Mehnusch zuständig, eine 38-jährige Innenarchitektin aus Teheran. Als sie erfährt, dass ich aus Deutschland komme, rät sie mir, ihren selbstgemachten Wein unbedingt zu probieren.
"Einmal hatten wir Gäste aus England und Frankreich, wir haben ihnen Wein angeboten – sie waren sehr erstaunt. Sie haben gefragt: 'Woraus hast du den Wein gemacht?' Ich antwortete: 'Aus Pfirsich'. Vor allem dem Franzosen schmeckte das sehr. Er wollte unbedingt sehen, wie ich den Wein mache, das war sehr interessant für ihn. Wir haben bis heute Kontakt."
Mehnusch ist eine Netzwerkerin, sie hat Freunde auf der ganzen Welt. Wenn sie mal wieder Besuch aus dem Ausland bekommt, lässt sie Teheran, in dem es von Revolutionswächtern und Polizisten nur so wimmelt, hinter sich und verreist an den Persischen Golf.
"Die Insel Hormos wird seit einigen Jahren von ausländischen und iranischen Touristen belagert. Wir fahren auch gerne dahin, dort kann man leichter Alkohol trinken. Viele campen dort, vor allem junge Frauen und Männer. Es gibt viele Backpacker, vor allem im Winter. Die Dorfeinwohner verkaufen dort auch den traditionell hergestellten Schnaps. Manchmal ist der Stoff gut, manchmal schlecht. Zum Beispiel letztes Jahr haben drei Touristen auf der Insel Kisch, ich denke, es waren Deutsche, den Gift-Alkohol Methanol getrunken. Alle drei sind gestorben."
Eine Gesellschaft, in der die Regierung alles verbietet
Ich schaue zu dem Teeglas voll mit Pfirsichwein in meiner Hand. Gefährden die Menschen hier ihr Leben, nur um an den Genuss eines alkoholischen Getränkes zu kommen, oder steckt mehr dahinter?
"Hast du das Gefühl, etwas gegen das Regime zu tun, wenn du Alkohol trinkst? Oder trinkst du nur für den Spaß?"
"Ich kann nicht sagen, dass mein Alkoholkonsum gegen die Regierung gerichtet ist. Es geht um den Lebensstil. Und mitunter will die Regierung meinen Lebensstil unterbinden. Es hängt mit der Denkweise der Menschen zusammen. Ich will frei mein Leben leben. Aber ich stecke in dieser Gesellschaft, in der die Regierung alles verbietet. Diese Gesellschaft teilt meine Ansichten nicht. Aber wir haben unseren eigenen Bekanntenkreis und unsere Freunde und erfreuen uns des Lebens."
Auf der Party lerne ich Bijan kennen, einen 45-jährigen Ingenieur aus Karaj, einer Millionenstadt im Norden Teherans, etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Er bedauert, wie alle auf dieser Party, dass Alkohol im Iran illegal ist. Vor allem, weil das Klima für den Weinanbau doch ideal wäre.
"Wir würden schon unsere 80 Peitschenhiebe kriegen"
"Der Shirazer Wein ist eine in der ganzen Welt bekannte Marke. Es gibt zwei staatliche Unternehmen, die Wein nach einer alten Rezeptur produzieren: in Kashan und Shiraz. Aber der ist nur für den Export."
"Und wenn jetzt die Polizei hierherkommen würde, was droht uns dann?"
"Sollte die Polizei davon Wind bekommen, dass wir hier Alkohol trinken, dann kriegen wir schon unsere 80 Peitschenhiebe", sagt Bijan.
"Ich dachte die Strafe würde noch härter ausfallen."
"Nein, die Behörden wissen ja, dass es Abhängige gibt. Wenn sie keinen Alkohol kriegen können, gehen sie in die Apotheke und kaufen alkoholhaltiges Rasierwasser – deswegen bestraft man die Betrunkenen nicht so hart. Das Gleiche gilt für Drogen. Aber diejenigen, die Alkohol produzieren, gehen ins Gefängnis. Drogen wie Cannabis sind frei zugänglich und nicht so verpönt, weil nichts über sie im Koran steht. Doch über Wein sehr wohl: Wein ist 'nadsches' – verboten – genauso wie Schweinefleisch oder Blut. Aber über Drogen steht da nichts – vielleicht hat der Prophet selbst geraucht? Heroin ist etwas ganz anderes. Für Heroin sind die Strafen sehr hart – da droht die Todesstrafe. Das bedeutet, man wird auf jeden Fall aufgehängt. So steht es im Gesetz."
50 bis 60 Prozent der Menschen im Iran trinken Alkohol
Es gibt vier Koransuren, in denen über Alkohol, genauer gesagt über den Wein gesprochen wird. Die Anschaulichste ist wohl die Sure 5 Vers 90: "Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind ein wahrer Gräuel und Teufelswerk. Meidet es! Vielleicht wird es euch dann wohlergehen." Und doch, selbst gläubige Moslems trinken im Iran Alkohol.
"Ich denke, 50 bis 60 Prozent der Menschen im Iran trinken Alkohol. Nicht, dass sie abhängig wären, aber sie trinken von Zeit zu Zeit, wenn sie eingeladen werden. Es gibt auch welche, die praktizierende Moslems sind und jeden Tag beten, aber wenn sie an einer Feierlichkeit oder einer Hochzeit teilnehmen, bei der es Alkohol gibt, trinken sie auch. Sie denken wohl, das könne man von der Religion irgendwie trennen. Aber ich verstehe das nicht, das ist irgendwie merkwürdig."
Es soll wohl auch Iraner geben, die in der Öffentlichkeit Alkohol trinken, und Bijan verspricht mir, diese Menschen und diese Orte zu zeigen. Aber so etwas gibt es natürlich nicht in Teheran oder anderen großen Städten, da muss man schon hinaus aufs Land. So fahren wir in ein Dorf am Kaspischen Meer. Oder besser gesagt: Wir stecken stundenlang in einem Stop-and-go-Verkehr. Am späten Abend erreichen wir endlich ein abgelegenes Restaurant in den Bergen im Norden Irans.
Auch für potenzielle Spitzel ist vorgesorgt
Als wir den Raum betreten, traue ich meinen Augen nicht. Auf den traditionellen Tacht – Podesten aus Holz, die mit Teppichen bedeckt sind –, sitzen buntgemischt im Schneidersitz Frauen, Männer und Kinder. Es sind um die 40 Menschen, und doch ist es nur eine Familie, die sich hier versammelt hat. Schon das gemeinsame Beieinandersitzen in der Öffentlichkeit ist ein kleiner Skandal, wenn man bedenkt, dass im Iran selbst bei Hochzeiten Frauen und Männer getrennt feiern müssen. Auch Tabak ist in der Öffentlichkeit verboten, vor allem für Frauen. Doch die rauchen hier seelenruhig Shisha, die Männer trinken eine rötliche Flüssigkeit aus Teegläsern.
Bijan erklärt mir, das sei Schnaps, mit Coca-Cola oder Granatapfelsaft vermischt, nur für den Fall, dass sich doch ein Spitzel unter die Gäste gemischt hat. Anscheinend werden wir nicht für Spitzel gehalten, denn das Familienoberhaupt, ein stattlicher rotwangiger Mann mit Schnurrbart schickt Gläser mit seinem roten Schnaps zu uns. Doch als ich den Rotwangigen um ein Interview bitten möchte, ist Bijan dagegen – das würde die Menschen ängstigen und die Familienfeier verderben, meint er. Oder ist die Einladung zum Schnaps eine Art Spitzeltest? Mit dem Teeglas in der Hand und nach all den Erzählungen über den "giftigen" Alkohol blicke ich Bijan fragend an. Doch der winkt nur ab und leert sein Glas.
Als die Familie zu tanzen beginnt, was übrigens im Iran ebenfalls strengstens verboten ist, verlassen wir das Restaurant. Mein Glas bleibt unberührt. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, diesen Alkohol aus Eigenproduktion zu trinken. Auch wenn man mich deshalb für einen Regierungsspitzel halten sollte.
Wieder zu Hause bei Ramtin in Teheran traue ich mich nicht, offen zu fragen, ob man nun das Bier, das wir herstellen, bedenkenlos trinken könne.
"Ist es dir schon passiert, dass die ganze Bierproduktion schlecht geworden ist?"
"Na klar, sehr oft! Erst beim vierten, fünften Mal war das Ergebnis annehmbar. Am Anfang wurde das ganze Bier sauer, der Alkoholinhalt war zu gering, die Gefäße, die ich benutzt hatte, waren ungeeignet. Auch das alkoholfreie Bier, das ich für die Produktion kaufte, hatte keine gute Qualität. Die Ergebnisse waren miserabel."
"Deine Freundin Mehnusch stellt ja Wodka aus Datteln her. Hast du den getrunken oder hattest du Angst?"
"Ich habe sehr viel davon getrunken, immer wenn wir eingeladen wurden. Und das auch nicht ohne Konsequenzen – der Kopf hat schon mal wehgetan. Aber sie hat schon die nötige Erfahrung und stellt keinen giftigen Alkohol her. Methanol ist reines Gift. Aber es gibt auch Menschen, die aus Geldgier Wasser unter den Alkohol mischen. Und auch der Alkohol, der auf dem Bazar verkauft wird, ist oft Methanol. Den kann man von Ethanol überhaupt nicht unterscheiden – der Geruch, die Farbe und auch der Geschmack sind gleich. Wenn die Menschen das trinken, sterben sie. Manchmal wissen auch die Hersteller selbst nicht, dass sie pures Gift zusammenbrauen. Diejenigen, die den Alkohol herstellen, wissen es nicht, und diejenigen, die ihn trinken, wissen es auch nicht."
Verbot für Alkohol, Musik, Tanz und Witze
Ramtin und ich sitzen in seinem Wohnzimmer mit zwei Gläsern gefüllt mit selbstgemachtem Bier. Es hat etwas Feierliches und ich kann es nicht leugnen – ich bin ein wenig stolz darauf, ein eigenes Bier hergestellt zu haben. Doch werde ich mich überwinden können, das Gebräu auch zu trinken?
"Der Geruch ist komisch, riecht wie Früchte oder so was."
"Das, was du riechst, ist der Hopfen. Dieser Geschmack ist auch nicht schlecht, er ist ein bisschen sauer, ein bisschen, aber okay, es ist besser als nichts. Natürlich kein Vergleich mit dem Bier, das industriell in Europa hergestellt wird, aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, ist es okay."
Plötzlich lächelt Ramtin ein wehmütiges Lächeln:
"Im Iran sind viele Sachen verboten. Alles, was den Menschen ein gutes Gefühl gibt, ist verboten. Alkohol ist eine Sache davon, aber auch Musik oder Tanz, oder Witze und das Lachen. Oder auch Partys und das Feiern, sehr viele Sachen, alles."
"Auch der Strand", werfe ich ein. Ich bin recht oft im Iran und kann genau nachempfinden, was all diese Entbehrungen bedeuten.
Millionen Iraner leben im Ausland
Mir ist, als ob Ramtin für eine ganze Generation im Iran spräche.
"Ja. Ja! Die Machthaber sagen – es ist doch nicht verboten. Wie, es ist nicht verboten? Ich darf zu einem Strand gehen und meine Frau zu einem anderen. An dem sie große Zelte aufgebaut und alles eingezäunt haben. Ich darf auch nicht mit meiner Frau in ein Schwimmbad gehen, oder in ein Freizeitbad. Im Islam ist alles, was Vergnügen bereitet, verboten. Immer gibt es diese Angst, dass sie uns vielleicht jetzt schnappen. Verstehst du? Wenn wir feiern, kann es jede Sekunde passieren, dass sie reinstürmen. Oder wenn ich Alkohol getrunken habe und durch die Straße gehe, kann mich in jedem Moment jemand anhalten und sagen: 'Puste mich an – ich will überprüfen, ob du Alkohol getrunken hast'.
Ich weiß wirklich nicht warum, ich verstehe es nicht. Aus welchem Grund machen sie das? Das weiß ich wirklich nicht. Oh Mann, wieso muss es so laufen? Aber die Macht ist gerade in ihren Händen. Wenn ich es mir nur leisten kann, gehe ich fort von hier. Viele Iraner sind schon weg. Zwischen fünf und sechs Millionen leben im Ausland. Es gibt viele Länder, die gerade mal so viel Bevölkerung haben. Die Menschen gehen weg, keiner bleibt."
Es ist nicht der Durst nach Alkohol, sondern der Durst nach Freiheit, der Ramtin und viele andere junge Menschen im Iran plagt. Ich schaue zu dem Glas in meiner Hand und – koste es, was es wolle – nehme einen kräftigen Schluck davon.