Alkohol

Wie Trinkern die Lust am Rausch vergeht

Ein Mann hält ein Kölsch-Glas in der Hand.
Reduziertes Trinken für Alkoholiker - kann das gut gehen? © Patrik Stollarz / AFP
Moderation: André Hatting · 05.09.2014
Ein neues Medikament hilft Alkoholkranken, ihre Trinkmenge deutlich zu reduzieren. Suchtforscher Karl Mann lobt das Präparat - erklärt aber auch, welches neue Risiko entsteht.
André Hatting: 6:48 Uhr ist es jetzt, und damit höchste Zeit für das erste Schnäpschen – das klingt jetzt für Sie vielleicht wie ein schlechter Witz. Für einen Alkoholiker ist das bittere Realität. In Deutschland gelten 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig, 74.000 sterben pro Jahr an den Folgen dieser Krankheit. Das entspricht der Einwohnerzahl von ganz Marburg. Das einzige Mittel dagegen: völlige Abstinenz. Kein Glas mehr, ja nicht einmal mehr die berühmte Weinbrandpraline – alles tabu. Jetzt aber gibt es einen neuen Ansatz in der Alkoholtherapie, das reduzierte Trinken. Und damit kennt sich der Suchtforscher Karl Mann vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit aus. Guten Morgen, Herr Mann!
Karl Mann: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Wie genau funktioniert diese Therapie?
Mann: Wir geben ein Medikament, was auf die körpereigenen Opiate im Gehirn wirkt, und was die belohnenden Wirkungen von Alkohol, also das, was wir so toll finden, wenn wir Alkohol trinken, deutlich reduziert, sodass, wenn ich dieses Mittel nehme, die Überlegung oder der Wunsch oder dieses Craving, weiter zu trinken, deutlich reduziert wird. Das ist in mehreren Studien geprüft worden, und es funktioniert relativ gut.
Hatting: Das erstaunt mich jetzt ein bisschen, denn ich habe auch immer gedacht, dass Alkoholsucht auch eine körperliche Krankheit ist, also nicht nur was zu tun hat mit dem Belohnungsfaktor.
Mann: Na ja, das spielt sich ja auf der körperlichen Ebene ab letzten Endes, wobei die wirklich gar nicht so ohne Weiteres zu trennen ist. Auch das, was wir als Gedanken, Gefühle, als Wunsch, zum Beispiel Alkohol zu trinken, erleben, hat ja eine Entsprechung im Gehirn durch verschiedene Veränderungen, zum Beispiel eben in diesen endogenen Opioid-Systemen des Gehirns und in verschiedenen anderen Botenstoffsystemen des Gehirns. Insofern ist das schon auf der körperlichen Ebene installiert, letzten Endes.
Hatting: Das heißt also, wenn ich das im Gehirn ausschalte, diesen Wunsch, dann verlangt auch mein Körper nicht mehr nach Alkohol?
Mann: Genau. Das Gehirn zählen wir ja zum Körper dazu.
Hatting: Seit wann wird das jetzt eingesetzt, diese neue Form von Therapie?
Mann: Das ist vor anderthalb Jahren schon von der europäischen Behörde zugelassen worden und funktioniert schon, ist schon zugänglich in verschiedenen Ländern, und seit 1. Oktober jetzt auch in Deutschland.
Hatting: Seit 1. September, nehme ich an?
Mann: Ja, 1. September, genau.
Null Promille - bis zu 90 Prozent halten nicht durch
Hatting: Sie haben es schon angesprochen, es wird bei mehreren getestet. Was wissen Sie über die Erfolgsquote? Funktioniert das bei allen gleich gut?
Mann: Das funktioniert nicht bei allen gleich gut. Das gilt aber für sämtliche Therapien. Es gibt keine einzige Therapie in der gesamten Medizin, die für alle gleich gut wirkt. Insofern ist eine wichtige Frage, die Sie anschneiden, für wen wirkt es denn nun besonders gut? Und da gibt es relativ gute Daten aus verschiedenen Studien in Europa, an denen wir auch mitgewirkt haben, die zeigen, dass diejenigen, die zum Hausarzt kommen zum Beispiel, und der Hausarzt sagt denen, jetzt haben wir hier ein Alkoholproblem, und der Betreffende sieht das auch so und versucht dann schon von sich aus, wirklich abstinent zu sein, dass das der beste Weg ist. Also nach wie vor ist Abstinenz das beste Therapieziel. Aber es gibt 80 bis 90 Prozent, die über diesen Weg nicht erreicht werden in Deutschland, von denen, die Sie vorhin genannt haben.
Hatting: 80 bis 90 Prozent?
Mann: Genau. Also, wir erreichen im Moment mit unserem Therapieangebot nur um die zehn bis vielleicht 15 Prozent. Und das hat unter anderem damit zu tun, dass viele abgeschreckt werden von dieser Forderung, die Sie ja schon genannt hatten, jetzt lebenslange Abstinenz zu üben. Und wenn wir also jetzt beim Hausarzt sind und einen Versuch gemacht haben über zwei Wochen, ob es gelingt, auf Null zu kommen, abstinent zu sein, wenn das misslingt, dann wäre dieser Mensch ein Kandidat für diese neue Therapie mit dem reduzierten Trinken und diesem Medikament.
Hatting: Sie haben es gerade schon gesagt, die Hausärzte ziehen da mit. Wie ist das mit den Suchthilfen? Sind die auch alle davon überzeugt, oder gibt es da auch Leute, die skeptisch sind?
Mann: Nein, es gibt natürlich auch Leute, die skeptisch sind, und Skepsis gehört natürlich auch zu unserem Geschäft als Wissenschaftler. Man muss immer skeptisch sein und kritisch sein. Und es gibt natürlich auch die Gefahr, die ich auch sehe, dass Leute, die schon seit fünf Jahren oder seit zehn Jahren trocken sind und ehemals Alkoholiker waren, dass die jetzt verführt werden könnten, das ist so ein bisschen die Angst, es jetzt doch mal wieder zu versuchen, weil diese Versuchung ist natürlich immer relativ stark da. Das darf natürlich und soll nicht passieren. Nur ist die Frage, ob wir deswegen, damit das verhindert wird, eben diesen anderen 70 Prozent eine möglicherweise lebensrettende Maßnahme vorenthalten sollen.
Hatting: Sie haben gerade schon gesagt, das beste Ziel am Ende wäre nach wie vor die völlige Abstinenz, die wäre auch gesundheitlich optimal. Ist denn dieser Ansatz, wenn man das versucht mit dem reduzierten Trinken, möglicherweise eine Hilfe, dass man es dann von dort, dass der Schritt von dort kürzer ist, kleiner ist dann zur völligen Abstinenz?
Mann: Ganz genau. So würde ich es selbst auch sehen, und so propagieren wir das letzten Endes auch. Es ist ein Einstieg in den Ausstieg sozusagen.
Hatting: Und sind diese Erkenntnisse, die Sie jetzt bei Alkoholsucht haben und diese Therapieform, die Sie da anwenden, auch übertragbar auf andere Süchte, zum Beispiel Nikotin?
Für Raucher ist der neue Ansatz nicht geeignet
Mann: Wir haben vor 20 Jahren so eine Diskussion schon gehabt, damals mit der Substitutionsbehandlung von Heroinabhängigen. Das Ganze läuft unter dem Thema Schadensminimierung. Diese ist beim Alkoholabhängigen bisher nicht angekommen, und es ist das erste Mal, dass wir diesen Ansatz jetzt wirklich flächendeckend anbieten können, Schadensminimierung. Bei den Heroinabhängigen wissen wir heute, dass das mit Abstand die erfolgreichste Behandlung überhaupt ist, und 50 Prozent aller Heroinabhängigen in Deutschland werden so behandelt, erfolgreich. Natürlich nicht immer mit hundertprozentigem Erfolg.
Was das Rauchen betrifft, noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen, sieht es ein bisschen anders aus, denn da haben wir – natürlich ist es auch besser, man raucht weniger, als man raucht mehr. Aber da sind die Daten, die wir bisher zu diesem Thema haben, nicht so überzeugend wie beim Alkohol oder wie beim Heroin. Insofern würden wir bei Tabakabhängigkeit diesen Schritt im Moment noch nicht sehen.
Hatting: Der Suchtforscher Karl Mann vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit über das reduzierte Trinken als neue Therapie für Alkoholiker. Vielen Dank für das Gespräch!
Mann: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.