Wer nicht trinkt, braucht eine Ausrede
05:28 Minuten
Das Bier am Abend, der Sekt zum Brunch, der Cocktail bei der Party. Alkoholische Getränke sind aus vielen Situationen kaum wegzudenken. Warum müssen sich Menschen, die hingegen nüchtern leben möchten, andauernd dafür rechtfertigen?
"Wir sind in Deutschland in so einer Trinkkultur, wo es halt dazugehört. Und jeder, der sich dem entziehen möchte, oder das einfach abzulehnen, das ist halt einfach in einer Kultur, wo es dazugehört, wahnsinnig schwierig."
Isabella Steiner ist Mitbegründerin eines alkoholfreien Geschäfts in Berlin. Mit diesem Angebot möchte sie die Pflicht zum Rausch brechen.
"Dieses Alkoholfrei-Thema hat halt auch diesen Langweilerruf und zerstört ja eigentlich fast den Abend. Es gibt Leute, die sind hochpersönlich beleidigt, wenn man jetzt beim Dinner nicht das Glas Wein trinkt oder bei der Hochzeit mit dem Champagner anstößt."
Limo statt Bier – weshalb müssen sich Menschen, die ohne diagnostizierte Suchtproblematik abstinent sind, für ihre Entscheidung so oft rechtfertigen? Der Politikwissenschaftler und Soziologe Robert Feustel hat für den gesellschaftlichen Druck eine einfache Erklärung. Er hält den Wunsch nach dem Rausch für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.
"Es gab immer Drogenerfahrung, es gab immer exzentrische Zustände, immer Überschreitungsmomente. Das ist aber auch ein Stück weit trivial, weil wenn wir versuchen, den Blick umzukehren: Was wäre die andere Möglichkeit? Eine rein vernünftige, logische, sachliche Welt? So ist der Mensch einfach nicht gebaut."
Isabella Steiner ist Mitbegründerin eines alkoholfreien Geschäfts in Berlin. Mit diesem Angebot möchte sie die Pflicht zum Rausch brechen.
"Dieses Alkoholfrei-Thema hat halt auch diesen Langweilerruf und zerstört ja eigentlich fast den Abend. Es gibt Leute, die sind hochpersönlich beleidigt, wenn man jetzt beim Dinner nicht das Glas Wein trinkt oder bei der Hochzeit mit dem Champagner anstößt."
Limo statt Bier – weshalb müssen sich Menschen, die ohne diagnostizierte Suchtproblematik abstinent sind, für ihre Entscheidung so oft rechtfertigen? Der Politikwissenschaftler und Soziologe Robert Feustel hat für den gesellschaftlichen Druck eine einfache Erklärung. Er hält den Wunsch nach dem Rausch für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.
"Es gab immer Drogenerfahrung, es gab immer exzentrische Zustände, immer Überschreitungsmomente. Das ist aber auch ein Stück weit trivial, weil wenn wir versuchen, den Blick umzukehren: Was wäre die andere Möglichkeit? Eine rein vernünftige, logische, sachliche Welt? So ist der Mensch einfach nicht gebaut."
Der Einstieg in die Nüchternheit
Da der Weg in die Nüchternheit vielen nicht nur deshalb schwerfällt, gibt es eine Menge von Blogs, Ratgebern, Influencern und Videotagebüchern, die helfen sollen. Denn der Einstieg sei am schwersten, sagt Christiane Hartl. Sie ist sogenannte Sobriety Coach – das heißt, sie begleitet Menschen bei ihrem Weg in ein nüchternes Leben.
"Bei mir war das so: Ich bin morgens aufgewacht und hab gesagt: ´Och ja, heute trinkst du mal nicht.` Bis mittags hat das auch geklappt, aber nachmittags habe ich dann doch die Flasche Wein aufgemacht. Ich hatte ständig ein Problem, mein Unterbewusstsein hat mit dem Bewusstsein gekämpft. Das Bewusstsein hat gesagt: ´Alkohol schadet dir, das tut dir nicht gut.` Und dieser ständige Kampf ist wahnsinnig anstrengend, der erfordert halt unheimlich viel Energie. Und ich konnte auch vier oder fünf Tage auf Alkohol verzichten, aber mein ganzer Tagesablauf hat sich um diesen Wein strukturiert. Und das wollte ich nicht mehr."
Hartl geht es nicht um Suchttherapie. Es geht um die Grauzonen zwischen Alkoholismus und gelegentlichem Rausch, um Alkohol als Teil täglicher Routinen. Mit einer guten Strategie könnten Menschen laut Hartl nicht nur eine kurzfristige alkoholfreie Phase erleben, sondern langfristig ihr Verhältnis zum Alkohol ändern. Das ist auch zentrales Anliegen der Sobriety-Bewegung, zu der sie gehört.
"In Amerika, wie auch jetzt hier in Deutschland, will man einfach darauf aufmerksam machen, dass Alkohol genauso eine Droge ist wie Kokain, Cannabis, Heroin. Also dass man gesagt hat ´Ein Gläschen für die Frauen und zwei Gläser für den Mann`, das macht man einfach nur, damit man vielleicht den Leuten noch sagt: ´Ja, ein Glas geht noch.` Aber jedes Glas ist gesundheitsschädlich. Wenn man jetzt sagt, man raucht nicht mehr, heißt es: ´Oh super, du hast es geschafft!` Aber wenn ich sage, ich habe aufgehört zu trinken, heißt es: ´Oh, hattest du ein Problem? War es so schlimm?` Also man muss sich da schon rechtfertigen."
"Bei mir war das so: Ich bin morgens aufgewacht und hab gesagt: ´Och ja, heute trinkst du mal nicht.` Bis mittags hat das auch geklappt, aber nachmittags habe ich dann doch die Flasche Wein aufgemacht. Ich hatte ständig ein Problem, mein Unterbewusstsein hat mit dem Bewusstsein gekämpft. Das Bewusstsein hat gesagt: ´Alkohol schadet dir, das tut dir nicht gut.` Und dieser ständige Kampf ist wahnsinnig anstrengend, der erfordert halt unheimlich viel Energie. Und ich konnte auch vier oder fünf Tage auf Alkohol verzichten, aber mein ganzer Tagesablauf hat sich um diesen Wein strukturiert. Und das wollte ich nicht mehr."
Hartl geht es nicht um Suchttherapie. Es geht um die Grauzonen zwischen Alkoholismus und gelegentlichem Rausch, um Alkohol als Teil täglicher Routinen. Mit einer guten Strategie könnten Menschen laut Hartl nicht nur eine kurzfristige alkoholfreie Phase erleben, sondern langfristig ihr Verhältnis zum Alkohol ändern. Das ist auch zentrales Anliegen der Sobriety-Bewegung, zu der sie gehört.
"In Amerika, wie auch jetzt hier in Deutschland, will man einfach darauf aufmerksam machen, dass Alkohol genauso eine Droge ist wie Kokain, Cannabis, Heroin. Also dass man gesagt hat ´Ein Gläschen für die Frauen und zwei Gläser für den Mann`, das macht man einfach nur, damit man vielleicht den Leuten noch sagt: ´Ja, ein Glas geht noch.` Aber jedes Glas ist gesundheitsschädlich. Wenn man jetzt sagt, man raucht nicht mehr, heißt es: ´Oh super, du hast es geschafft!` Aber wenn ich sage, ich habe aufgehört zu trinken, heißt es: ´Oh, hattest du ein Problem? War es so schlimm?` Also man muss sich da schon rechtfertigen."
Ein Kiosk mit alkoholfreiem Wodka
Deshalb haben Isabella Steiner und Katja Kauf in Berlin-Kreuzberg einen Laden eröffnet, in dem sie das komplette Sortiment einer Bar zum Kauf anbieten – aber eben alkoholfrei. Über 200 Getränkealternativen gibt es hier: Gin, Wodka, Whiskey, Rum, Tequila, Weiß- und Rotwein, Sekt und Bier.
"Ich glaube, es ist eine Lösung, zu wissen: Ah okay, ich habe einen schönen Pinot Grigio im Kühlschrank stehen, da kann ich auch drei Gläser trinken und danach bin ich aber nicht kaputt, hab mich nicht geschädigt und hatte aber eine schöne Zeit. Und die sieht genauso hochwertig aus und schmeckt gut und riecht auch gut."
Da aber auch Getränke mit dem Label "alkoholfrei" noch maximal 0,5 Prozent Alkohol enthalten dürfen, richtet sich das Angebot eher nicht an Menschen mit Suchtpotenzial oder -problematik.
"Leuten, die ein Problem hatten oder haben, empfehlen wir es aber nicht, weil es sehr rituell ist, Trinken, wie man die Flasche Bier aufmacht, das Geräusch vom Ploppen vom Schaumwein. Da ist Restalkohol drin und das triggert halt einfach."
Im nächsten Schritt soll ein professioneller Vertrieb für Restaurants folgen, die alkoholfreie Alternativen auf ihre Menüs setzen wollen. Steiner sieht hier Parallelen zur Normalisierung vegetarischer und veganer Gerichte auf Speisekarten, die vor zehn Jahren noch eine Seltenheit waren und gerade in Großstädten wie Berlin heute zum Standardangebot gehören. Vielleicht ist nüchtern zu leben also die nächste Bewegung, die unsere Konsumgewohnheiten langsam, aber nachhaltig verändern wird.
"Ich glaube, es ist eine Lösung, zu wissen: Ah okay, ich habe einen schönen Pinot Grigio im Kühlschrank stehen, da kann ich auch drei Gläser trinken und danach bin ich aber nicht kaputt, hab mich nicht geschädigt und hatte aber eine schöne Zeit. Und die sieht genauso hochwertig aus und schmeckt gut und riecht auch gut."
Da aber auch Getränke mit dem Label "alkoholfrei" noch maximal 0,5 Prozent Alkohol enthalten dürfen, richtet sich das Angebot eher nicht an Menschen mit Suchtpotenzial oder -problematik.
"Leuten, die ein Problem hatten oder haben, empfehlen wir es aber nicht, weil es sehr rituell ist, Trinken, wie man die Flasche Bier aufmacht, das Geräusch vom Ploppen vom Schaumwein. Da ist Restalkohol drin und das triggert halt einfach."
Im nächsten Schritt soll ein professioneller Vertrieb für Restaurants folgen, die alkoholfreie Alternativen auf ihre Menüs setzen wollen. Steiner sieht hier Parallelen zur Normalisierung vegetarischer und veganer Gerichte auf Speisekarten, die vor zehn Jahren noch eine Seltenheit waren und gerade in Großstädten wie Berlin heute zum Standardangebot gehören. Vielleicht ist nüchtern zu leben also die nächste Bewegung, die unsere Konsumgewohnheiten langsam, aber nachhaltig verändern wird.