"Der Fehler ist schon im Mai passiert"
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In Hamburgs Szenevierteln wird der Außerhausverkauf von Alkohol verboten. Denn viele feiern dort auf der Straße, ohne sich an Abstandsregeln zu halten. Der Gastwirt Niels Boeing gibt der Polizei eine Mitschuld, dass es so weit gekommen ist.
Auf den Straßen einiger Großstädten haben sich regelrechte Party-Hotspots entwickelt, wo sich vorwiegend junge Leute abends treffen, um zu feiern und zu trinken. Bis zu 2.000 seien es etwa an der Schanze in Hamburg, berichtet der Hamburger Gastwirt Niels Boeing.
Doch in Hamburg soll jetzt Schluss sein mit den Freiluftpartys: Etwa in Ottensen, St. Pauli oder der Sternschanze wurden Zonen definiert, innerhalb derer der Außerhaus-Alkoholverkauf an den Wochenendabenden ab sofort verboten ist.
Der Hamburger Gastwirt Niels Boeing, der das "Kurhaus" am Alten Pferdemarkt betreibt, hält wenig von der Maßnahme. Er fragt sich, was denn noch alles auf die Barbetreiber abgewälzt werden soll: In der Coronazeit seien Barbesitzer ja ohnehin zusätzlich noch Hygiene- und Sicherheitsbeauftragte. "Die müssen jetzt natürlich alle darauf achten, dass die Leute nicht mit der Bierflasche vom Tresen auf die Straße abzischen", sagt Boeing. "Im Prinzip muss man dann denen hinterherrennen, weil die Strafe aller Voraussicht nach dann die Bar bekommt und nicht derjenige, der mit dem Bier da durch die Straßen läuft."
"Cornern" in Menschenmassen
Den Behörden wirft Boeing vor, sie hätten das Problem des massenweisen "Cornerns" überhaupt erst entstehen lassen. "Das ist nicht so, als ob jetzt an den letzten zwei Wochenenden da plötzlich die Menschenmassen explodiert wären", betont er – das sei seit zwei Monaten bekannt. "Hätte man das nicht eigentlich vorher erkennen und gegensteuern können mit verschiedenen Maßnahmen?", fragt der Gastwirt. "Da ist schon mal der erste Fehler im Mai passiert."
Zum Beispiel, indem die Polizei von Anfang an konsequenter gegen solches Massencornern vorgegangen wäre. "Polizeipatrouillen haben gerne zum Beispiel Jugendliche, kleine Gruppen von Jugendlichen, die da im Park sitzen, weil ihnen sonst die Decke auf den Kopf fällt, die haben sie, ohne mit der Wimper zu zucken, mit 160 Euro pro Person abkassiert", so Boeing. "Aber da an den neuralgischen Punkten, da ist nichts passiert. Da wurde nur geguckt, da gab es mal hier eine Ermahnung, und so hat man das eigentlich laufen lassen und wachsen lassen."
Anstatt jetzt mit einer "wahnsinnig groben Maßnahme" gegen das Cornern vorzugehen, hätte man auch nach intelligenten und kreativen Lösungen suchen können, um das Menschenaufkommen im öffentlichen Raum zu entzerren. "Da gibt es Beispiele aus Italien, wo man in der Nähe von Florenz auf einer Piazza so weiße Quadrate in Abständen aufgemalt hat oder der Domino-Park in Brooklyn, da sind weiße Kreise auf die Parkfläche, auf den Rasen gemalt worden, wo man dann klar sieht: okay, hier sind Inseln, da können wir sitzen, und dazwischen können wir nicht sein."
Ein runder Tisch wäre ein Anfang
Ohnehin fühlt sich Boeing als Barbesitzer in Coronazeiten von der Politik im Stich gelassen: "Es geht immer um Tourismus, Hotspots, Elbphilharmonie, Musicals, Restaurants und so." Bars und Kneipen kämen in den Überlegungen gar nicht vor, würden offenbar auch nicht als kulturelle Orte wahrgenommen. Auch würden die Barbetreiber nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden, sondern bekämen immer nur die Ergebnisse vorgesetzt:
"Man könnte ja – in Hamburg, aber auch in Berlin – mal einen runden Tisch machen und sagen: Leute, wir haben die und die Situation, ihr habt die und die Probleme, was haben wir alle für Ideen, was können wir machen?", schlägt Boeing vor. "Das wäre für mich moderne Politik, erst recht in einem Ausnahmejahr wie 2020. Aber es findet halt nicht statt."
(uko)