"All this is so contemporary"
"Alles ist so zeitgenössisch", mit diesem ins Englische übersetzten Satz werden Museumswärter die Besucher im deutschen Pavillon der Biennale in Venedig begrüßen, die am Sonntag eröffnet wird. Sie sind Teil einer Installation von Tino Sehgal, die dort von Julian Heynen, dem Kurator, präsentiert wird.
Schönberger: Im Ausland sind sie wesentlich bekannter als hier, die beiden jungen Künstler, die den deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig gestalten. Tino Sehgal jettet um die Welt mit seinen Happenings, die immer nur kurz dauern, und der Maler und bildende Künstler Thomas Scheibitz wird in den USA als hitziger deutscher Expressionist gefeiert und in Deutschland heißt es: Warum benutzen Sie eigentlich immer so frostige Farben? Und jetzt steht unsere Leitung nach Venedig. Am Telefon begrüße ich jetzt Julian Heynen, den Kurator des deutschen Pavillons bei der Biennale. Schönen guten Morgen!
Heynen: Guten Morgen nach Berlin!
Schönberger: Ich weiß nur, das Tino Sehgal Museumswärtern Anweisungen gibt, und dann machen die irgendwas Verrücktes. Was denn zum Beispiel?
Heynen: Ob das verrückt ist, ist eine andere Frage, aber die tun etwas. Wenn Sie jetzt in den Pavillon reinkommen, nachdem Sie die Tür passiert haben, bewegen sich mit exorzierten Bewegungen drei als Museumswärter erkennbare Menschen um Sie rum und sie singen, rufen: "All this is so contemporary, contemporary". Und am Ende, das dauert 20 Sekunden, stellen sie sich hin und der eine sagt: Tino Sehgal, this is so contemporary 2004, im Besitz der Sammlung so und so.
Schönberger: Also mit anderen Worten "das ist so zeitgenössisch". Habe ich das jetzt richtig übersetzt?
Heynen: Das ist absolut zeitgenössisch. So ist sozusagen der Satz. Dieses "this" im Englischen heißt ja "hier, genau in unserer Mitte" und nicht dort irgendwo anders und meint natürlich erst einmal sich selbst und alle, natürlich auch die Biennale auch den weiteren Künstler im Pavillon, Thomas Scheibitz, und so weiter und so weiter. Das ist eine der beiden Arbeiten von Tino Sehgal, die wir hier zeigen.
Schönberger: Ist das jetzt eine programmatische Aussage über die Biennale?
Heynen: Wenn man so will natürlich auch, wobei das Wort programmatisch sicherlich etwas hoch gegriffen ist. Denn das ganze ist ja auch erst mal eine Feier des jetzigen Augenblicks. Tino Sehgal schafft ja keine materiellen Objekte, sondern Situationen, die eine Zeit lang dauern, präsent sind und dann wieder weg sind.
Schönberger: Was fasziniert Sie daran, dass diese Kunst nur in diesem Augenblick existiert und später nicht mehr?
Heynen: Was mich daran fasziniert ist, dass Tino Sehgal versucht, ob es in der Kunst vielleicht auch eine andere Art von Produktion gibt, als die Herstellung von Objekten. Er ist jemand, der gar nicht Kunst studiert hat, sondern Ökonomie und Tanz. Und ihn interessiert einfach, wie eine Gesellschaft, deren Grundbedürfnisse für das Leben in unseren westlich entwickelten Gesellschaften schon seit langem sozusagen kein Problem mehr darstellen, in was die Produktion hineinleitet, und die Werteproduktion ja sehr stark hinein in die Entwicklung und Differenzierung von Subjektivität, von unserem Gefühl und unserem Dasein in der Welt. Jedem Level versucht er, auch in der bildenden Kunst, etwas einzuführen, was genauso im Museum vorhanden ist, tatsächlich von morgens bis abends und die ganze Laufdauer hindurch, wie alle anderen Werke auch, aber nur temporär materiell ist und dann wieder verschwindet, bis der nächste Besucher reinkommt und die Arbeit wieder ausgelöst wird.
Schönberger: Im Kontrast dazu vertritt Thomas Scheibitz ja eher den handfesten Pol. Er ist Maler, er ist Bildhauer, er macht große Skulpturen. Was zeichnen seine Skulpturen aus?
Heynen: Zwischen Bildern und Skulpturen besteht ein sehr enger Zusammenhang. Man erkennt sofort, dass sie zu einer Familie gehören. Ich glaube, seine Kunst zeichnet einfach aus, dass er sehr, sehr genau alle möglichen Dinge der zeichnerischen Welt beobachtet, aber dann einer radikalen Neukonstruktion unterwirft, um auch in das Bild oder in die Skulptur reinzubringen. Und in der Tat, was Sie eben auch eingangs zitiert haben, wie die Leute in Amerika oder so wie sie hier bei uns in Deutschland seine Arbeit sehen, seine Arbeit geht immer um ein "dazwischen". Es ist das eine, aber eben auch das andere. Und dazwischen irgendwo, in einem nichtbenennbaren Raum, zwischen einer Darstellung und einer abstrakten Form, da hält Scheibitz sich auf, die Malerei ist hochdynamisch und seine Skulpturen auch und gleichzeitig ziemlich cool. Und das Coole bedeutet ja eigentlich, dass man einerseits ganz nah an dem alltäglichen und zeitgenössischen Dingen dran ist und trotzdem im selben Moment eine Distanz wahrt, damit man einen gewissen Überblick zum Beispiel bekommen kann.
Schönberger: Was sehe ich denn von ihm, wenn ich jetzt in den Pavillon reinkomme?
Heynen: Sie sehen - ja, jetzt fängt schon die erste Frage mit dem dazwischen an.
Schönberger: Sehe ich überhaupt etwas?
Heynen: Ja, ja. Sie sehen in der einen diagonalen Hälfte des Hauptraumes eine große Skulptur oder eine Gruppe von Skulpturen, die auf Sockeln stehen? Oder gehören die Sockel, weil sie seltsam geformt sind, auch schon zur Skulptur? Sie gehen drum herum und dann ist es fast so wie in einem Film mit Schnitten, wie sich die Skulptur abwickelt und sie glauben, gewisse Gegenstände wiederzuerkennen - da vielleicht ein Buch, da vielleicht ein Gesicht - und dann auch wieder kippen die Gegenstände um und sie sehen nur noch abstrakte Formen, die bemalt sind. Die Skulptur ist aus Holz, aus Holzplatten zusammengebaut, wie eine konstruktive Skulptur. Sie ist nicht aus der Form, aus Lehm oder dergleichen modelliert.
Schönberger: Wenn Sie sagen, die Figuren kippen um, verstehe ich sie richtig, die kippen im Kopf des Betrachters um, wenn man eine Weile darauf guckt?
Heynen: Selbstverständlich. Es ist keine genetische Skulptur, die auf antippen zu Boden fällt.
Schönberger: Wie geht das denn jetzt zusammen, der Momentkünstler und der Bildhauer zusammen in einem Pavillon?
Heynen: Wir haben ja ein Jahr lang einen Prozess durchgemacht, zu dritt, die beiden Künstler und ich, der das Ganze einmal angezettelt hat. Und dabei ist uns dann klar geworden, dass wir auf jeden Fall im zentralen Raum in einer bestimmten Formation von dem einen und von dem anderen eine Arbeit zeigen wollen. Und ich glaube, es gibt einfach bestimmte Zeiten für bestimmte Arten von Aufmerksamkeit. Natürlich, wenn Sie einen Schritt in den Pavillon getan haben, werden dann eingekreist, also diese 20 Sekunden, von der ersten Arbeit von Tino Sehgal, dann richtet sich ihre Aufmerksamkeit erst einmal auf diese Menschen, die Sie ja ansprechen und ansehen. Dann aber sozusagen gibt es andere Zeiten für andere Arten von Aufmerksamkeiten und die gehen dann auf Scheibitz. Und wenn Sie ein bisschen abstrakter sehen, dann haben Sie wenn Sie so wollen, selbst-skulpturale Formationen in dem Raum: die eine in gewohnter Manier aus Materialien hergestellt und die andere aus lebenden, sich bewegenden, Geräusche, Worte von sich gebenden Menschen, die eben nur temporär da sind. Wenn wir etwas warten, dann kommt ja der nächste Besucher rein und die Skulptur erscheint wieder. Also auch unter solchen klassischen Gesichtspunkten, dass Skulpturenkörper im Raum sind, die gestaltet sind, dann kann man beide auf eine Stufe stellen.
Schönberger: Gibt es denn ein Grundthema, das die beiden gemeinsam haben?
Heynen: Ein Grundthema würde ich es eindeutig nicht nennen. Aber ich glaube, es gibt Berührungspunkte. Es gibt Berührungspunkte darin, dass beide eigentlich wieder versuchen wollen, zu erforschen, mit etwas unterschiedlichen Mitteln, was in der bildenden Kunst spezifisch ist, was wirklich nur durch Bilder der bildenden Kunst ausgedrückt werden kann und zum Beispiel nicht durch Dokumentarfotos, wie wir sie in der Zeitung sehen, nicht durch einen Diskurs ausgedrückt werden kann. Und das ist sicherlich etwas, was nach ein, zwei Jahrzehnten, wo die Betonung sehr, sehr stark auf einem Crossover, nicht mehr aller Medien, sondern auch aller Realitätsebenen in der Kunst gelegen hat, wie eine gewisse Rückbesinnung, das ist keine ideologische Rückbesinnung, rappel à l'ordre, sondern es ist einfach nur wieder der Hinweis auf die Möglichkeit, dass es durchaus noch weiterhin Spezifika gibt, die nur in bildender Kunst erscheinen und nirgendwo anders. Und das ist etwas, was sie im Hintergrund gemeinsam teilen. Das ist nicht etwas, was man sofort sieht, sondern etwas, was ihre Haltung angeht.
Schönberger: Jetzt versuchen ja die Kunstkritiker immer gerne aus dem, was im deutschen Pavillon gezeigt wird, Rückschlüsse zu ziehen auf die Befindlichkeit und auf die Seelenlage der Nation. Nervt Sie das?
Heynen: Ach nee, aber ich höre weg.
Schönberger: Sie hören weg. Sie hören sich das gar nicht an?
Heynen: Ich höre es mir natürlich an, aber es nervt mich auch nicht. Ich finde, das ist eine völlige Überforderung einer kleinen Ausstellung auf 440 Quadratmeter. Es geht nur um Kunst. Und die Seelenlage der Nation, glaube ich, da muss man schon etwas größere Hörgeräte und an mehreren Stellen anlegen, um das rauszufinden. Ich verstehe diese Lust, das zu tun, weil man dann die Sache natürlich kräftiger und plastischer machen kann, aber mir würde dazu nichts einfallen, jetzt in diesem Falle.
Schönberger: Lassen Sie uns doch noch einen kurzen Blick aus dem deutschen Pavillon rauswerfen. Es gibt ja noch andere. Auf welchen sind Sie am allermeisten gespannt?
Heynen: Das ist momentan leider - weil mein Kopf so voll ist mit den vielen, vielen Dingen, die jetzt noch passieren - kann ich das gar nicht so richtig sagen. Ich bin aber sehr gespannt auf den Film vom Duo De Rijke/De Rooij im holländischen Pavillon. Das sind Künstler, die ich seit längerem kenne, die ich sehr, sehr schätze, aber da muss man sich 36 Minuten Zeit nehmen und man kann nur zu jeder vollen Stunde dort hinein. Das ist ja wie ein Kino. Darauf bin ich sehr gespannt, ob ich irgendwann mal diese 40 Minuten habe im Laufe der nächsten drei Tage, um mir diesen neuen Film von diesem Künstlerduo De Rijke/De Rooij anzuschauen.
Schönberger: Herzlichen Dank. Julian Heynen war das, der Kurator des deutschen Pavillons bei der Kunstbiennale in Venedig im Gespräch mit DeutschlandRadio Kultur.
Service:
Die 51. Biennale findet in Venedig vom 12. Juni bis 6. November 2005 statt.
Interner Link:
Fazit: Tino Sehgal und Thomas Scheibitz auf der 51. Biennale
Externer Link:
51. Biennale in Venedig
Heynen: Guten Morgen nach Berlin!
Schönberger: Ich weiß nur, das Tino Sehgal Museumswärtern Anweisungen gibt, und dann machen die irgendwas Verrücktes. Was denn zum Beispiel?
Heynen: Ob das verrückt ist, ist eine andere Frage, aber die tun etwas. Wenn Sie jetzt in den Pavillon reinkommen, nachdem Sie die Tür passiert haben, bewegen sich mit exorzierten Bewegungen drei als Museumswärter erkennbare Menschen um Sie rum und sie singen, rufen: "All this is so contemporary, contemporary". Und am Ende, das dauert 20 Sekunden, stellen sie sich hin und der eine sagt: Tino Sehgal, this is so contemporary 2004, im Besitz der Sammlung so und so.
Schönberger: Also mit anderen Worten "das ist so zeitgenössisch". Habe ich das jetzt richtig übersetzt?
Heynen: Das ist absolut zeitgenössisch. So ist sozusagen der Satz. Dieses "this" im Englischen heißt ja "hier, genau in unserer Mitte" und nicht dort irgendwo anders und meint natürlich erst einmal sich selbst und alle, natürlich auch die Biennale auch den weiteren Künstler im Pavillon, Thomas Scheibitz, und so weiter und so weiter. Das ist eine der beiden Arbeiten von Tino Sehgal, die wir hier zeigen.
Schönberger: Ist das jetzt eine programmatische Aussage über die Biennale?
Heynen: Wenn man so will natürlich auch, wobei das Wort programmatisch sicherlich etwas hoch gegriffen ist. Denn das ganze ist ja auch erst mal eine Feier des jetzigen Augenblicks. Tino Sehgal schafft ja keine materiellen Objekte, sondern Situationen, die eine Zeit lang dauern, präsent sind und dann wieder weg sind.
Schönberger: Was fasziniert Sie daran, dass diese Kunst nur in diesem Augenblick existiert und später nicht mehr?
Heynen: Was mich daran fasziniert ist, dass Tino Sehgal versucht, ob es in der Kunst vielleicht auch eine andere Art von Produktion gibt, als die Herstellung von Objekten. Er ist jemand, der gar nicht Kunst studiert hat, sondern Ökonomie und Tanz. Und ihn interessiert einfach, wie eine Gesellschaft, deren Grundbedürfnisse für das Leben in unseren westlich entwickelten Gesellschaften schon seit langem sozusagen kein Problem mehr darstellen, in was die Produktion hineinleitet, und die Werteproduktion ja sehr stark hinein in die Entwicklung und Differenzierung von Subjektivität, von unserem Gefühl und unserem Dasein in der Welt. Jedem Level versucht er, auch in der bildenden Kunst, etwas einzuführen, was genauso im Museum vorhanden ist, tatsächlich von morgens bis abends und die ganze Laufdauer hindurch, wie alle anderen Werke auch, aber nur temporär materiell ist und dann wieder verschwindet, bis der nächste Besucher reinkommt und die Arbeit wieder ausgelöst wird.
Schönberger: Im Kontrast dazu vertritt Thomas Scheibitz ja eher den handfesten Pol. Er ist Maler, er ist Bildhauer, er macht große Skulpturen. Was zeichnen seine Skulpturen aus?
Heynen: Zwischen Bildern und Skulpturen besteht ein sehr enger Zusammenhang. Man erkennt sofort, dass sie zu einer Familie gehören. Ich glaube, seine Kunst zeichnet einfach aus, dass er sehr, sehr genau alle möglichen Dinge der zeichnerischen Welt beobachtet, aber dann einer radikalen Neukonstruktion unterwirft, um auch in das Bild oder in die Skulptur reinzubringen. Und in der Tat, was Sie eben auch eingangs zitiert haben, wie die Leute in Amerika oder so wie sie hier bei uns in Deutschland seine Arbeit sehen, seine Arbeit geht immer um ein "dazwischen". Es ist das eine, aber eben auch das andere. Und dazwischen irgendwo, in einem nichtbenennbaren Raum, zwischen einer Darstellung und einer abstrakten Form, da hält Scheibitz sich auf, die Malerei ist hochdynamisch und seine Skulpturen auch und gleichzeitig ziemlich cool. Und das Coole bedeutet ja eigentlich, dass man einerseits ganz nah an dem alltäglichen und zeitgenössischen Dingen dran ist und trotzdem im selben Moment eine Distanz wahrt, damit man einen gewissen Überblick zum Beispiel bekommen kann.
Schönberger: Was sehe ich denn von ihm, wenn ich jetzt in den Pavillon reinkomme?
Heynen: Sie sehen - ja, jetzt fängt schon die erste Frage mit dem dazwischen an.
Schönberger: Sehe ich überhaupt etwas?
Heynen: Ja, ja. Sie sehen in der einen diagonalen Hälfte des Hauptraumes eine große Skulptur oder eine Gruppe von Skulpturen, die auf Sockeln stehen? Oder gehören die Sockel, weil sie seltsam geformt sind, auch schon zur Skulptur? Sie gehen drum herum und dann ist es fast so wie in einem Film mit Schnitten, wie sich die Skulptur abwickelt und sie glauben, gewisse Gegenstände wiederzuerkennen - da vielleicht ein Buch, da vielleicht ein Gesicht - und dann auch wieder kippen die Gegenstände um und sie sehen nur noch abstrakte Formen, die bemalt sind. Die Skulptur ist aus Holz, aus Holzplatten zusammengebaut, wie eine konstruktive Skulptur. Sie ist nicht aus der Form, aus Lehm oder dergleichen modelliert.
Schönberger: Wenn Sie sagen, die Figuren kippen um, verstehe ich sie richtig, die kippen im Kopf des Betrachters um, wenn man eine Weile darauf guckt?
Heynen: Selbstverständlich. Es ist keine genetische Skulptur, die auf antippen zu Boden fällt.
Schönberger: Wie geht das denn jetzt zusammen, der Momentkünstler und der Bildhauer zusammen in einem Pavillon?
Heynen: Wir haben ja ein Jahr lang einen Prozess durchgemacht, zu dritt, die beiden Künstler und ich, der das Ganze einmal angezettelt hat. Und dabei ist uns dann klar geworden, dass wir auf jeden Fall im zentralen Raum in einer bestimmten Formation von dem einen und von dem anderen eine Arbeit zeigen wollen. Und ich glaube, es gibt einfach bestimmte Zeiten für bestimmte Arten von Aufmerksamkeit. Natürlich, wenn Sie einen Schritt in den Pavillon getan haben, werden dann eingekreist, also diese 20 Sekunden, von der ersten Arbeit von Tino Sehgal, dann richtet sich ihre Aufmerksamkeit erst einmal auf diese Menschen, die Sie ja ansprechen und ansehen. Dann aber sozusagen gibt es andere Zeiten für andere Arten von Aufmerksamkeiten und die gehen dann auf Scheibitz. Und wenn Sie ein bisschen abstrakter sehen, dann haben Sie wenn Sie so wollen, selbst-skulpturale Formationen in dem Raum: die eine in gewohnter Manier aus Materialien hergestellt und die andere aus lebenden, sich bewegenden, Geräusche, Worte von sich gebenden Menschen, die eben nur temporär da sind. Wenn wir etwas warten, dann kommt ja der nächste Besucher rein und die Skulptur erscheint wieder. Also auch unter solchen klassischen Gesichtspunkten, dass Skulpturenkörper im Raum sind, die gestaltet sind, dann kann man beide auf eine Stufe stellen.
Schönberger: Gibt es denn ein Grundthema, das die beiden gemeinsam haben?
Heynen: Ein Grundthema würde ich es eindeutig nicht nennen. Aber ich glaube, es gibt Berührungspunkte. Es gibt Berührungspunkte darin, dass beide eigentlich wieder versuchen wollen, zu erforschen, mit etwas unterschiedlichen Mitteln, was in der bildenden Kunst spezifisch ist, was wirklich nur durch Bilder der bildenden Kunst ausgedrückt werden kann und zum Beispiel nicht durch Dokumentarfotos, wie wir sie in der Zeitung sehen, nicht durch einen Diskurs ausgedrückt werden kann. Und das ist sicherlich etwas, was nach ein, zwei Jahrzehnten, wo die Betonung sehr, sehr stark auf einem Crossover, nicht mehr aller Medien, sondern auch aller Realitätsebenen in der Kunst gelegen hat, wie eine gewisse Rückbesinnung, das ist keine ideologische Rückbesinnung, rappel à l'ordre, sondern es ist einfach nur wieder der Hinweis auf die Möglichkeit, dass es durchaus noch weiterhin Spezifika gibt, die nur in bildender Kunst erscheinen und nirgendwo anders. Und das ist etwas, was sie im Hintergrund gemeinsam teilen. Das ist nicht etwas, was man sofort sieht, sondern etwas, was ihre Haltung angeht.
Schönberger: Jetzt versuchen ja die Kunstkritiker immer gerne aus dem, was im deutschen Pavillon gezeigt wird, Rückschlüsse zu ziehen auf die Befindlichkeit und auf die Seelenlage der Nation. Nervt Sie das?
Heynen: Ach nee, aber ich höre weg.
Schönberger: Sie hören weg. Sie hören sich das gar nicht an?
Heynen: Ich höre es mir natürlich an, aber es nervt mich auch nicht. Ich finde, das ist eine völlige Überforderung einer kleinen Ausstellung auf 440 Quadratmeter. Es geht nur um Kunst. Und die Seelenlage der Nation, glaube ich, da muss man schon etwas größere Hörgeräte und an mehreren Stellen anlegen, um das rauszufinden. Ich verstehe diese Lust, das zu tun, weil man dann die Sache natürlich kräftiger und plastischer machen kann, aber mir würde dazu nichts einfallen, jetzt in diesem Falle.
Schönberger: Lassen Sie uns doch noch einen kurzen Blick aus dem deutschen Pavillon rauswerfen. Es gibt ja noch andere. Auf welchen sind Sie am allermeisten gespannt?
Heynen: Das ist momentan leider - weil mein Kopf so voll ist mit den vielen, vielen Dingen, die jetzt noch passieren - kann ich das gar nicht so richtig sagen. Ich bin aber sehr gespannt auf den Film vom Duo De Rijke/De Rooij im holländischen Pavillon. Das sind Künstler, die ich seit längerem kenne, die ich sehr, sehr schätze, aber da muss man sich 36 Minuten Zeit nehmen und man kann nur zu jeder vollen Stunde dort hinein. Das ist ja wie ein Kino. Darauf bin ich sehr gespannt, ob ich irgendwann mal diese 40 Minuten habe im Laufe der nächsten drei Tage, um mir diesen neuen Film von diesem Künstlerduo De Rijke/De Rooij anzuschauen.
Schönberger: Herzlichen Dank. Julian Heynen war das, der Kurator des deutschen Pavillons bei der Kunstbiennale in Venedig im Gespräch mit DeutschlandRadio Kultur.
Service:
Die 51. Biennale findet in Venedig vom 12. Juni bis 6. November 2005 statt.
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Fazit: Tino Sehgal und Thomas Scheibitz auf der 51. Biennale
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51. Biennale in Venedig

Mariko Mori's "Wave-Ufo" im japanischen Pavillon© AP