Allahs Offenbarung in der Lesart der Frauen
Katajun Amirpur, geboren 1971, lehrt als Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. Sie setzt sich ebenso für eine weibliche Interpretation des Koran ein wie für das Recht von Musliminnen, freiwillig ein Kopftuch zu tragen.
"Ich glaube durchaus, dass man sowohl Muslimin sein und gleichzeitig für Gleichberechtigung eintreten kann. Es gibt allerdings eine Interpretation des Islams, die ausgesprochen patriarchalisch ist, die Frauen ihre Rechte verweigert. Aber es ist ja nicht die einzige und nicht die wahre."
Katajun Amirpur, geboren 1971, die Mutter ist Deutsche, der Vater war iranischer Kulturattaché unter dem Schah-Regime, lehrt heute als Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. "Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte" lautet der Untertitel ihres neuen Buches. Die gelernte Journalistin weiß, wie man mit Doppeldeutigkeiten Aufmerksamkeit weckt. Heiliger Krieg für die Frauenrechte?
"Im Arabischen ist diese Übersetzung überhaupt nicht angelegt. Weder heißt das Wort Krieg noch heißt das Wort heilig. Es ist der Kampf für etwas, das kann auch der militärische Kampf sein, es ist auch in der islamischen Geschichte als solcher interpretiert. Es kann aber auch ein ganz anderer Kampf sein, es kann zum Beispiel der Kampf gegen den inneren Schweinehund sein. Und viele Frauen benutzen gerade diesen Begriff Dschihad dafür, um eine innerislamische Legitimation für das, was sie machen, zu erwirken. Wie sie eben auch sagen: es ist ein Kampf innerhalb des Islams für mehr Rechte, die wir haben wollen."
Katajun Amirpur tritt mit Leidenschaft für Toleranz ein und hierzulande denen auf die Füße, die muslimischen Frauen generell das Tragen eines Kopftuches verbieten wollen. Wer es tragen will, entgegnet sie, soll es tun. Es darf eben nur nicht erzwungen sein. Ansonsten erfahren die Leser nicht viel über die Situation muslimischer Frauen in Deutschland oder in Europa. Die Hochschul-Professorin konzentriert sich in ihrem Buch auf die Interpretation der Offenbarungsschrift Allahs.
"Ich bin der Überzeugung, dass Gott nicht ungerecht sein kann. Und die beiden Damen, die ich vorstelle in dem Buch, Amina Wadud und Asma Barlas, beschäftigen sich ganz stark mit dem koranischen Text und argumentieren, dass einfach vieles, was man heute als Gottesaussage über Frauen annimmt, nur dadurch entstanden ist, dass Männer den Koran falsch interpretiert haben. Und wenn nun erst Frauen hingehen und den Text lesen, dann lesen sie ihn natürlich vollkommen anders unter vollkommen anderen Prämissen und verstehen ihn vermutlich weit besser."
Auch hier stellt Katajun Amirpur die Provokation in den Dienst ihrer Sache. Muslimischen Männern wird das nicht immer gefallen. Dabei hätte der Prophet selbst ein ganz anderes Frauenbild gehabt. In ihrem Buch zitiert die Autorin ihre ägyptische Mitstreiterin Nawal El Saadawi:
"Muhammad gestand seinen Frauen das Recht zu, sich gegen ihn zu erheben. Sie durften ihn rügen und ihn auf seine Fehler und Schwächen aufmerksam machen. Was die Haltung gegenüber Frauen anbelangt, so traten die Nachfolger Muhammads nicht in seine Fußstapfen."
Die Gleichberechtigung der Frau setzt Wahlfreiheit voraus: die Freiheit, den Mann fürs Lebens zu suchen, das Kopftuch zu tragen oder nicht, sich für oder gegen eine Beschneidung der Söhne zu entscheiden. Ohne freie Wahl wiederum ist Demokratie nicht denkbar. So stehen die drei Begriffe des Buchuntertitels in festem gegenseitigem Bezug. Auf den ersten 56 Seiten ihres Buches erläutert Katajun Amirpur die Rückbesinnung auf die wahren Werte des islamischen Glaubens. Im Anschluss daran stellt sie sechs Protagonisten des Reformislams vor.
"Ein wichtiges Kriterium war, das viele andere nicht erfüllt haben, dass diese sechs Personen sich auf den Koran als Referenztext beziehen. Die sechs Leute, die ich genommen habe, sagen, es muss eigentlich jede Reform vom Text selbst ausgehen, weil dieser Text nun mal so ungeheuer wichtig ist für die islamische Kultur und weil es auch das einzige ist, wo alle Muslime sich einig sind. Das sind sie bei den Überlieferungen des Propheten nicht, oder im Bereich des islamischen Rechts ist es auch schwierig, da gibt es alleine fünf anerkannte Rechtsschulen. Aber der Koran, das ist der Text, an den wir alle glauben."
Die Koranauslegung, die unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten der göttlichen Offenbarungsschrift, stellt Katajun Amirpur in ihrem Buch einem deutschen Publikum vor, das diesbezüglich noch große Wissenslücken hat. Die Autorin schreibt, dass der Koran Muhammad in zwei Phasen offenbart wurde, zuerst in Mekka und dann in Medina. Der sudanesische Gelehrte Mahmoud Taha zog daraus eine Schlussfolgerung, die Katajun Amirpur in ihrem Buch zitiert, allerdings nicht unwidersprochen lässt.
In Mekka habe der Prophet Toleranz, Gleichheit und individuelle Verantwortlichkeit unten allen Frauen und Männern gepredigt. Als der Prophet und seine Anhänger verfolgt und gezwungen wurden, Mekka zu verlassen, veränderte sich diese Botschaft. Die medinensischen Verse waren voller Regeln, Zwang und Drohungen und enthalten auch die Pflicht zum Dschihad. Sie waren eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit in einem islamischen Staat des 7. Jahrhunderts, in dem es kein Gesetz gab außer dem des Schwertes.
"Ich würde sagen, das hilft uns nicht weiter, weil man nun mal nicht sagen kann, wir nehmen die eine Hälfte des Korans und die andere legen wie quasi ad acta. Ich glaube nicht, dass das funktioniert, denn der Koran vertritt nun mal den Anspruch, dass er ganzheitlich offenbart wurde, dass er ein universales, ganzheitliches Buch ist. Da kann man nicht hingehen und diese Trennung nehmen, um zu sagen, wir nehmen das und das andere lassen wir."
Aber wie geht es nun weiter mit Demokratie, Freiheit und Frauenrechten im Islam? Katajun Amirpur zieht in ihrem Buch ein positives Resümee.
"Nehmen Sie das Beispiel Iran. Der Iran gilt als der fundamentale Gottesstaat schlechthin und da herrscht dort eine sehr restriktive Islamdeutung. Auf der anderen Seite sind dort 63 Prozent aller Studierenden Frauen. Und wenn die Frauen Bildung haben und in ihrer Gesellschaft sämtliche Berufe ergreifen können, dann werden sie sich nicht mehr länger damit abspeisen lassen, dass beispielsweise das islamische Recht im Iran ihnen gebietet, dass ihre Zeugenaussage nur halb so viel wert ist wie die eines Mannes. Und wenn ihnen gesagt wird, ja, das steht eben nun mal so im Koran, dann werden sie ganz schnell mit dem Argument kommen, dann werden wir das uns mal selber genauer anschauen und eine Interpretation vorlegen, die unserer heutigen Zeit weit aus mehr entspricht."
Die Scharia, die von Gott geschaffene und offenbarte Rechtsauslegung, muss nicht per se in Widerspruch stehen zu Demokratie, Freiheit und den Frauenrechten, erklärt die Autorin. Auch wenn dies noch oft genug der Fall ist. Unbeantwortet bleibt nach der Lektüre des neuen Buchs von Katajun Amirpur die Frage, was im Zweifelsfall höher einzustufen ist: das durch demokratische und parlamentarische Mehrheiten beschlossene und gesetzte Recht oder die wie auch immer ausgelegte Offenbarung Allahs.
Katajun Amirpur, geboren 1971, die Mutter ist Deutsche, der Vater war iranischer Kulturattaché unter dem Schah-Regime, lehrt heute als Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. "Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte" lautet der Untertitel ihres neuen Buches. Die gelernte Journalistin weiß, wie man mit Doppeldeutigkeiten Aufmerksamkeit weckt. Heiliger Krieg für die Frauenrechte?
"Im Arabischen ist diese Übersetzung überhaupt nicht angelegt. Weder heißt das Wort Krieg noch heißt das Wort heilig. Es ist der Kampf für etwas, das kann auch der militärische Kampf sein, es ist auch in der islamischen Geschichte als solcher interpretiert. Es kann aber auch ein ganz anderer Kampf sein, es kann zum Beispiel der Kampf gegen den inneren Schweinehund sein. Und viele Frauen benutzen gerade diesen Begriff Dschihad dafür, um eine innerislamische Legitimation für das, was sie machen, zu erwirken. Wie sie eben auch sagen: es ist ein Kampf innerhalb des Islams für mehr Rechte, die wir haben wollen."
Katajun Amirpur tritt mit Leidenschaft für Toleranz ein und hierzulande denen auf die Füße, die muslimischen Frauen generell das Tragen eines Kopftuches verbieten wollen. Wer es tragen will, entgegnet sie, soll es tun. Es darf eben nur nicht erzwungen sein. Ansonsten erfahren die Leser nicht viel über die Situation muslimischer Frauen in Deutschland oder in Europa. Die Hochschul-Professorin konzentriert sich in ihrem Buch auf die Interpretation der Offenbarungsschrift Allahs.
"Ich bin der Überzeugung, dass Gott nicht ungerecht sein kann. Und die beiden Damen, die ich vorstelle in dem Buch, Amina Wadud und Asma Barlas, beschäftigen sich ganz stark mit dem koranischen Text und argumentieren, dass einfach vieles, was man heute als Gottesaussage über Frauen annimmt, nur dadurch entstanden ist, dass Männer den Koran falsch interpretiert haben. Und wenn nun erst Frauen hingehen und den Text lesen, dann lesen sie ihn natürlich vollkommen anders unter vollkommen anderen Prämissen und verstehen ihn vermutlich weit besser."
Auch hier stellt Katajun Amirpur die Provokation in den Dienst ihrer Sache. Muslimischen Männern wird das nicht immer gefallen. Dabei hätte der Prophet selbst ein ganz anderes Frauenbild gehabt. In ihrem Buch zitiert die Autorin ihre ägyptische Mitstreiterin Nawal El Saadawi:
"Muhammad gestand seinen Frauen das Recht zu, sich gegen ihn zu erheben. Sie durften ihn rügen und ihn auf seine Fehler und Schwächen aufmerksam machen. Was die Haltung gegenüber Frauen anbelangt, so traten die Nachfolger Muhammads nicht in seine Fußstapfen."
Die Gleichberechtigung der Frau setzt Wahlfreiheit voraus: die Freiheit, den Mann fürs Lebens zu suchen, das Kopftuch zu tragen oder nicht, sich für oder gegen eine Beschneidung der Söhne zu entscheiden. Ohne freie Wahl wiederum ist Demokratie nicht denkbar. So stehen die drei Begriffe des Buchuntertitels in festem gegenseitigem Bezug. Auf den ersten 56 Seiten ihres Buches erläutert Katajun Amirpur die Rückbesinnung auf die wahren Werte des islamischen Glaubens. Im Anschluss daran stellt sie sechs Protagonisten des Reformislams vor.
"Ein wichtiges Kriterium war, das viele andere nicht erfüllt haben, dass diese sechs Personen sich auf den Koran als Referenztext beziehen. Die sechs Leute, die ich genommen habe, sagen, es muss eigentlich jede Reform vom Text selbst ausgehen, weil dieser Text nun mal so ungeheuer wichtig ist für die islamische Kultur und weil es auch das einzige ist, wo alle Muslime sich einig sind. Das sind sie bei den Überlieferungen des Propheten nicht, oder im Bereich des islamischen Rechts ist es auch schwierig, da gibt es alleine fünf anerkannte Rechtsschulen. Aber der Koran, das ist der Text, an den wir alle glauben."
Die Koranauslegung, die unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten der göttlichen Offenbarungsschrift, stellt Katajun Amirpur in ihrem Buch einem deutschen Publikum vor, das diesbezüglich noch große Wissenslücken hat. Die Autorin schreibt, dass der Koran Muhammad in zwei Phasen offenbart wurde, zuerst in Mekka und dann in Medina. Der sudanesische Gelehrte Mahmoud Taha zog daraus eine Schlussfolgerung, die Katajun Amirpur in ihrem Buch zitiert, allerdings nicht unwidersprochen lässt.
In Mekka habe der Prophet Toleranz, Gleichheit und individuelle Verantwortlichkeit unten allen Frauen und Männern gepredigt. Als der Prophet und seine Anhänger verfolgt und gezwungen wurden, Mekka zu verlassen, veränderte sich diese Botschaft. Die medinensischen Verse waren voller Regeln, Zwang und Drohungen und enthalten auch die Pflicht zum Dschihad. Sie waren eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit in einem islamischen Staat des 7. Jahrhunderts, in dem es kein Gesetz gab außer dem des Schwertes.
"Ich würde sagen, das hilft uns nicht weiter, weil man nun mal nicht sagen kann, wir nehmen die eine Hälfte des Korans und die andere legen wie quasi ad acta. Ich glaube nicht, dass das funktioniert, denn der Koran vertritt nun mal den Anspruch, dass er ganzheitlich offenbart wurde, dass er ein universales, ganzheitliches Buch ist. Da kann man nicht hingehen und diese Trennung nehmen, um zu sagen, wir nehmen das und das andere lassen wir."
Aber wie geht es nun weiter mit Demokratie, Freiheit und Frauenrechten im Islam? Katajun Amirpur zieht in ihrem Buch ein positives Resümee.
"Nehmen Sie das Beispiel Iran. Der Iran gilt als der fundamentale Gottesstaat schlechthin und da herrscht dort eine sehr restriktive Islamdeutung. Auf der anderen Seite sind dort 63 Prozent aller Studierenden Frauen. Und wenn die Frauen Bildung haben und in ihrer Gesellschaft sämtliche Berufe ergreifen können, dann werden sie sich nicht mehr länger damit abspeisen lassen, dass beispielsweise das islamische Recht im Iran ihnen gebietet, dass ihre Zeugenaussage nur halb so viel wert ist wie die eines Mannes. Und wenn ihnen gesagt wird, ja, das steht eben nun mal so im Koran, dann werden sie ganz schnell mit dem Argument kommen, dann werden wir das uns mal selber genauer anschauen und eine Interpretation vorlegen, die unserer heutigen Zeit weit aus mehr entspricht."
Die Scharia, die von Gott geschaffene und offenbarte Rechtsauslegung, muss nicht per se in Widerspruch stehen zu Demokratie, Freiheit und den Frauenrechten, erklärt die Autorin. Auch wenn dies noch oft genug der Fall ist. Unbeantwortet bleibt nach der Lektüre des neuen Buchs von Katajun Amirpur die Frage, was im Zweifelsfall höher einzustufen ist: das durch demokratische und parlamentarische Mehrheiten beschlossene und gesetzte Recht oder die wie auch immer ausgelegte Offenbarung Allahs.
Katajun Amirpur: Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte.
C.H.Beck-Verlag, Februar 2013
252 Seiten, 14,95 Euro
C.H.Beck-Verlag, Februar 2013
252 Seiten, 14,95 Euro