Alle Macht den Ratingagenturen?
Es könne sein, dass die großen Ratingagenturen aus einer "sehr angloamerikanischen Optik" das Finanzgeschehen bewerten, schätzt der Finanzexperte Wieslaw Jurczenko ein. Dennoch sieht er die Gründung einer großen europäischen Agentur eher skeptisch.
Joachim Scholl: Diese Namen haben wir in den letzten Monaten ständig gelesen und hören sie in diesen Tagen auch permanent: Moody's, Standard & Poor's, Fitch, Ratings – Namen von Ratingagenturen, von Firmen also, deren Aufgabe darin besteht, Urteile abzugeben über Zahlungsfähigkeit, welche Unternehmen kreditwürdig sind. Aber auch darüber, ob ein Land finanziell stabil ist oder nicht. Die Griechenlandkrise hat gezeigt und zeigt immer noch, wie schwer mittlerweile negative Urteile von Ratingagenturen wiegen. In Frankfurt am Main im Studio sitzt jetzt Wieslaw Jurczenko, Anwalt für Wertpapierrecht und unser Mann rund ums Geld. Guten Morgen, Herr Jurczenko!
Wieslaw Jurczenko: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Lassen Sie uns zunächst mal zurückblicken, bevor wir auf die aktuellen Entwicklungen kommen, Herr Jurczenko, seit über 100 Jahren gibt es Ratingagenturen. Wie sind sie eigentlich entstanden?
Jurczenko: Sie sind im Zuge des großen Eisenbahnbaus in den USA entstanden. Die Geschichte von Moody's etwa geht auf das Jahr 1860 sogar zurück, dann Fitch 1913, S&P als letzte 1941 gegründet. Man hat im Eisenbahnbau sehr große Mittel gebraucht, um diese Projekte überhaupt finanzieren zu können, insoweit hat es also einen Bedarf gegeben für Investoren, zunächst mal festzustellen, in welche Projekte es sich eigentlich lohnt zu investieren, in welchen Projekten sie ihr Geld wiederbekommen. Und aus diesem Bedarf heraus sind Ratingagenturen entstanden, die im Prinzip Ratingmodelle, Bewertungsmodelle zum Beispiel für die Anleihen von Eisenbahngesellschaften entwickelt haben, die dann jeder verstanden hat und im Prinzip so ein externes Urteil haben konnte.
Scholl: Wie hat sich die Rolle der Agenturen dann entwickelt. Waren sie von Anfang an auch so wichtig für den Finanzmarkt?
Jurczenko: Ja, sie sind mit dem Finanzmarkt gewachsen, wenn Sie so wollen, sind immer ein Bestandteil dessen gewesen und haben sich im Grunde mit dem wachsenden Finanzmarkt auch entsprechend angepasst, und sind auch entsprechend globalisiert mittlerweile. Sie haben ja ein Ratingmodell entwickelt, das für jedermann relativ einfach verständlich war: ein Dreifach-A-Rating zum Beispiel signalisierte jedem: praktisch kein Ausfallrisiko. Das ging dann über B, BB und dann C und D für default, für Zahlungsausfall. Das sind Modelle, die jedem, der sich nie mit Kreditrisiken beschäftigt hat, sehr, sehr einfach verständlich zu machen sind, und deswegen sind sie natürlich zunehmend wichtig geworden, das war kein großer Aufwand im Grunde, sich auf ein Instrument zu verlassen, wenn man zum Beispiel ein Dreifach-A draufhatte.
Scholl: Wie konnten die Agenturen aber nun so mächtig werden, dass von ihrem Urteil nun das Schicksal ganzer Länder und ihrer Wirtschaften abhängt?
Jurczenko: Nun, sie sind so mächtig gemacht worden, muss man auch sagen. Zum einen natürlich haben sie eine sehr, sehr lange Geschichte zutreffender Urteile - muss man einfach zugestehen, diese Geschichte ist eben über 100 Jahre lang. Sie sind mitunter aber auch von Gesetzgebern, von den Politikern, die heute die Kritik üben, auch mächtig gemacht worden, die zum Beispiel in Regulierungen, wie auch in Deutschland in der Solvabilitätsverordnung zum Beispiel, die Bewertung von Eigenmitteln beschreibt, quasi als zwingende Bestandteile definiert worden, weil man dort eben externe Ratings bei der Bewertung von Eigenmitteln vorschreibt. Insoweit gab es da also zwei Schienen: zum einen eben die zutreffenden Urteile in langer, langer Geschichte im Prinzip des Erfolgs und zum anderen auch die Politik selbst.
Scholl: Nun hatte man als Laie bislang so den Eindruck, eine Ratingagentur sei ein Institut, an dem weise Experten genau bilanzieren, prüfen, ihren Ratschlag dann formulieren – und die aktuelle Debatte lässt einen ja an diesem Bild doch zweifeln. Wie unabhängig sind Ratingagenturen überhaupt?
Jurczenko: Sie sollten es eigentlich sein. Sie haben diesen Ruf ein bisschen eingebüßt, speziell im Vorfeld der Finanzkrise, wo sie eben Subprime-Produkte mit Bestnoten bewertet haben – gegen Bezahlung. Insoweit ist das immer ein bisschen ein Problem, wenn nicht der Investor – wie früher –, sondern nunmehr eben der Emittent, also derjenige, der diese Schulden verkaufen will, für das Rating bezahlt. Ratingagenturen arbeiten eigentlich wie Wirtschaftsprüfer. Sie prüfen ihre Kunden intern wie eine normale Revision eigentlich und erstellen dann anhand von Modellen bestimmte Ratings. Es gibt aber auch Ratings, die zum Beispiel anhand öffentlich verfügbarer Informationen erstellt werden. Sie lesen insoweit auch nur Zeitung, Geschäftsberichte, Veröffentlichungen öffentlicher Stellen – gibt es ja zahlreiche –, insoweit sind sie auch nicht weiser als andere, sie geben auch nur ein Urteil ab, das auf einer gewissen Meinung beruht. Teilweise haben aber auch Banken oder Finanzinstitute Beteiligungen an Ratingagenturen, und das ist natürlich immer problematisch.
Scholl: Das bringt uns zur Frage der Objektivität. Jetzt haben Sie selbst schon gesagt, Herr Jurczenko, dass also die Emittenten eigentlich mittlerweile die Ratingagenturen selbst bezahlen dafür, dass sie also deren Produkte bilanzieren oder prüfen, für Einstufung von Finanzprodukten. Das heißt, die Kunden sind dann auch die Auftraggeber. Ich meine, kann man da überhaupt noch von Objektivität sprechen?
Jurczenko: Das ist ganz klar ein Problem der derzeitigen Konstruktion, so, wie es derzeit läuft. Es ist aber auch so, dass nicht alle Kunden für Ratings bezahlen. Länder zum Beispiel - manche bezahlen für ihre Ratings, manche nicht. Ich habe gehört, dass Deutschland für sein Rating zum Beispiel nicht bezahlt. Aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht. Nun muss man aber auch sagen, dass externe Ratings nicht das alleinige Kriterium sind. Banken, Versicherungen, andere Investoren haben immer auch eigene Risikobewertungen und –Modelle, und das Urteil der Ratingagentur ist nur ein Werkzeug unter vielen. Ich erinnere hier an eine Tochter von Allianz Global Investors, die hat im März bekannt gegeben, dass sie im Februar sämtliche US-Staatsanleihen verkauft hat. Diese Entscheidung basiert nicht auf externen Ratings, denn die Ratingagenturen haben bis dahin über die USA nicht viel gesagt, sondern auf eigenen Bewertungen und Einschätzungen. Und da ist gleich also jeder selber gefragt.
Scholl: Die Rolle der Ratingagenturen. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Finanzexperten Wieslaw Jurczenko. Er sitzt in Frankfurt im Studio – wir haben ein bisschen Probleme mit der Leitung, irgendwie fiept es und kracht es oder so, wir versuchen, das natürlich zu beheben, und auch die Kollegen in Frankfurt werden daran arbeiten. Lassen Sie uns einfach weitersprechen, Herr Jurczenko. Wenn die Objektivität also doch so ein bisschen in Frage steht in dieser – nicht nur ein bisschen, sondern stark in Frage steht, wenn man diese Kriterien jetzt bedenkt, die Sie gerade entwickelt haben – man hat ja auch nicht den Eindruck, dass die Einschätzung der Ratingagenturen ja ständig verlässlich sind. Die große Finanzkrise 2008 haben sie auch nicht gesehen und verhindert.
Jurczenko: Sie haben sogar hier eine ganz gehörige Mitverantwortung, weil sie eben diese verbrieften Subprime-Kredite mit Bestnoten bewertet haben, das ist auch ein neues Geschäftsmodell für sie gewesen, dass sie einzelne Produkte raten, das ist sicher ein großer Sündenfall. Aber man muss auch sehen, sie haben in der Vergangenheit auch immer wieder Fehler gemacht. Etwa in der Asienkrise 97. Enron, Worldkom, Parmalat – sie sind nicht unfehlbar, das muss man einfach wissen. Und sie haben immer wieder Fehler gemacht, diese Fehler liegen teilweise auch sehr lange zurück. Nur hat es zu dieser Zeit eigentlich in Europa niemanden groß interessiert, ob die jetzt so richtig oder falsch gelegen haben. Es kann sein, dass es eben daran lag, dass das alles ein bisschen weit weg war und vor allem in Europa nicht solche Auswirkungen hatte wie heute.
Scholl: Die Ratingagenturen haben im Fall Griechenland und Portugal ja die Länder herabgestuft. Eigentlich müssten sie die USA jetzt auch herabstufen, in 14 Tagen ist das Land zahlungsunfähig, falls Obama sich nicht doch mit den Republikanern einigt. Machen die Agenturen das oder heißt es da wieder so wie in der Finanzkrise: Too big to fail?
Jurczenko: Nun, falls die USA die Schuldengrenze tatsächlich nicht anheben würden, müssten sie auch tun, und das würden sie auch tun – aber das wird sicher nicht passieren, im Moment ist Wahlkampf in den USA. In der Vergangenheit sind immer wieder die Schuldengrenzen angehoben worden. Das ist im Moment halt ein Geplänkel, das besonders spannend gemacht wird, also niemand erwartet ernsthaft, dass die Amerikaner diese Schuldengrenze nicht anheben.
Scholl: Bundesfinanzminister Schäuble hat nun von einem Oligopol gesprochen, also ein marktbeherrschendes Kartell, das die großen Ratingagenturen bilden, also die Amerikaner Moody's, Standard & Poor's, Fitch Rating zählen dazu. Heute früh hat er im Deutschlandfunk noch einmal wiederholt und gefordert, es müsse mehr Wettbewerb geben. Hat er Recht vor diesem Hintergrund – immer wieder die europäische Ratingagentur?
Jurczenko: Zum einen gibt es europäische Ratingagenturen – es gibt zum Beispiel die faire EuroRatings, die hat auch die berühmten PIGS-Staaten schon, ich glaube sogar, vor den großen Agenturen runtergeratet, hat keiner irgendwie gemerkt. Und es mag durchaus sein, dass die drei Großen eben mit einer sehr angloamerikanischen Optik das Geschehen bewerten. Man kann ihnen aber zum Beispiel einerseits nicht vorwerfen, die Finanzkrise nicht schnell genug gesehen zu haben, und sie jetzt dafür kritisieren, dass sie relativ zeitnahe Urteile abgeben. Und dieser Wettbewerb ist halt immer eine Frage: Worin soll der bestehen?
Scholl: Ja, als Laie denkt man, mehr Wettbewerb, Konkurrenz?
Jurczenko: Ja, um was? Soll dieser Wettbewerb etwa darum gehen, dass man immer bessere Urteile abgibt – Meinungsshopping, oder soll er um den Preis gehen? Ich weiß es nicht. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass es mehr gibt. Man muss immer nur bedenken, es dauert mitunter Jahrzehnte, bis sich eine Agentur wirklich weltweit durchsetzt.
Scholl: Brauchen wir die Ratingagenturen überhaupt, Herr Jurczenko? Vorhin haben Sie auch gesagt, die Banken machen auch ihre eigene Risikobewertung. Sie selbst waren lange Jahre in dieser Funktion tätig. Mussten Sie immer auf Ratingagenturen zurückgreifen?
Jurczenko: Nein. Ratingagenturen sind ein Werkzeug, noch sehr, sehr sinnvoll als Werkzeug, aber man muss sich immer auch ein eigenes Urteil bilden. Ich habe das selbst mal getan, als ich mal den Handel gewisser Produkte abgelehnt habe, obwohl sie Dreifach-A geratet waren, und es war aber dann doch irgendwie nicht nachvollziehbar, was eigentlich drinsteckt in diesen Sachen. Es ist immer ein sinnvolles Werkzeug, wenn etwa ein Chinese wissen will, ob eine Anleihe beispielsweise eines deutschen Unternehmens kreditwürdig ist, und das einfach ablesen kann, ist das ganz sicher ein sinnvolles Werkzeug.
Scholl: Die Macht der Ratingagenturen und: Brauchen wir eine europäische? Das war der Finanzfachmann Wieslaw Jurczenko. Ich danke Ihnen für das Gespräch und noch mal pardon für die Unterbrechung!
Jurczenko: Ich danke auch!
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Links bei dradio.de:
Interview: Finanzwissenschaftler: Ratingagenturen "sind Machtinstrumente"
Max Otte hält staatliche Kontrolle für notwendig (DKultur)
Interview: EU-Politiker: Ratingagenturen in Haftung nehmen
Wolf Klinz plädiert für ein europäisches Modell als Stiftung (DKultur)
Wieslaw Jurczenko: Guten Morgen, Herr Scholl!
Scholl: Lassen Sie uns zunächst mal zurückblicken, bevor wir auf die aktuellen Entwicklungen kommen, Herr Jurczenko, seit über 100 Jahren gibt es Ratingagenturen. Wie sind sie eigentlich entstanden?
Jurczenko: Sie sind im Zuge des großen Eisenbahnbaus in den USA entstanden. Die Geschichte von Moody's etwa geht auf das Jahr 1860 sogar zurück, dann Fitch 1913, S&P als letzte 1941 gegründet. Man hat im Eisenbahnbau sehr große Mittel gebraucht, um diese Projekte überhaupt finanzieren zu können, insoweit hat es also einen Bedarf gegeben für Investoren, zunächst mal festzustellen, in welche Projekte es sich eigentlich lohnt zu investieren, in welchen Projekten sie ihr Geld wiederbekommen. Und aus diesem Bedarf heraus sind Ratingagenturen entstanden, die im Prinzip Ratingmodelle, Bewertungsmodelle zum Beispiel für die Anleihen von Eisenbahngesellschaften entwickelt haben, die dann jeder verstanden hat und im Prinzip so ein externes Urteil haben konnte.
Scholl: Wie hat sich die Rolle der Agenturen dann entwickelt. Waren sie von Anfang an auch so wichtig für den Finanzmarkt?
Jurczenko: Ja, sie sind mit dem Finanzmarkt gewachsen, wenn Sie so wollen, sind immer ein Bestandteil dessen gewesen und haben sich im Grunde mit dem wachsenden Finanzmarkt auch entsprechend angepasst, und sind auch entsprechend globalisiert mittlerweile. Sie haben ja ein Ratingmodell entwickelt, das für jedermann relativ einfach verständlich war: ein Dreifach-A-Rating zum Beispiel signalisierte jedem: praktisch kein Ausfallrisiko. Das ging dann über B, BB und dann C und D für default, für Zahlungsausfall. Das sind Modelle, die jedem, der sich nie mit Kreditrisiken beschäftigt hat, sehr, sehr einfach verständlich zu machen sind, und deswegen sind sie natürlich zunehmend wichtig geworden, das war kein großer Aufwand im Grunde, sich auf ein Instrument zu verlassen, wenn man zum Beispiel ein Dreifach-A draufhatte.
Scholl: Wie konnten die Agenturen aber nun so mächtig werden, dass von ihrem Urteil nun das Schicksal ganzer Länder und ihrer Wirtschaften abhängt?
Jurczenko: Nun, sie sind so mächtig gemacht worden, muss man auch sagen. Zum einen natürlich haben sie eine sehr, sehr lange Geschichte zutreffender Urteile - muss man einfach zugestehen, diese Geschichte ist eben über 100 Jahre lang. Sie sind mitunter aber auch von Gesetzgebern, von den Politikern, die heute die Kritik üben, auch mächtig gemacht worden, die zum Beispiel in Regulierungen, wie auch in Deutschland in der Solvabilitätsverordnung zum Beispiel, die Bewertung von Eigenmitteln beschreibt, quasi als zwingende Bestandteile definiert worden, weil man dort eben externe Ratings bei der Bewertung von Eigenmitteln vorschreibt. Insoweit gab es da also zwei Schienen: zum einen eben die zutreffenden Urteile in langer, langer Geschichte im Prinzip des Erfolgs und zum anderen auch die Politik selbst.
Scholl: Nun hatte man als Laie bislang so den Eindruck, eine Ratingagentur sei ein Institut, an dem weise Experten genau bilanzieren, prüfen, ihren Ratschlag dann formulieren – und die aktuelle Debatte lässt einen ja an diesem Bild doch zweifeln. Wie unabhängig sind Ratingagenturen überhaupt?
Jurczenko: Sie sollten es eigentlich sein. Sie haben diesen Ruf ein bisschen eingebüßt, speziell im Vorfeld der Finanzkrise, wo sie eben Subprime-Produkte mit Bestnoten bewertet haben – gegen Bezahlung. Insoweit ist das immer ein bisschen ein Problem, wenn nicht der Investor – wie früher –, sondern nunmehr eben der Emittent, also derjenige, der diese Schulden verkaufen will, für das Rating bezahlt. Ratingagenturen arbeiten eigentlich wie Wirtschaftsprüfer. Sie prüfen ihre Kunden intern wie eine normale Revision eigentlich und erstellen dann anhand von Modellen bestimmte Ratings. Es gibt aber auch Ratings, die zum Beispiel anhand öffentlich verfügbarer Informationen erstellt werden. Sie lesen insoweit auch nur Zeitung, Geschäftsberichte, Veröffentlichungen öffentlicher Stellen – gibt es ja zahlreiche –, insoweit sind sie auch nicht weiser als andere, sie geben auch nur ein Urteil ab, das auf einer gewissen Meinung beruht. Teilweise haben aber auch Banken oder Finanzinstitute Beteiligungen an Ratingagenturen, und das ist natürlich immer problematisch.
Scholl: Das bringt uns zur Frage der Objektivität. Jetzt haben Sie selbst schon gesagt, Herr Jurczenko, dass also die Emittenten eigentlich mittlerweile die Ratingagenturen selbst bezahlen dafür, dass sie also deren Produkte bilanzieren oder prüfen, für Einstufung von Finanzprodukten. Das heißt, die Kunden sind dann auch die Auftraggeber. Ich meine, kann man da überhaupt noch von Objektivität sprechen?
Jurczenko: Das ist ganz klar ein Problem der derzeitigen Konstruktion, so, wie es derzeit läuft. Es ist aber auch so, dass nicht alle Kunden für Ratings bezahlen. Länder zum Beispiel - manche bezahlen für ihre Ratings, manche nicht. Ich habe gehört, dass Deutschland für sein Rating zum Beispiel nicht bezahlt. Aber grundsätzlich haben Sie natürlich recht. Nun muss man aber auch sagen, dass externe Ratings nicht das alleinige Kriterium sind. Banken, Versicherungen, andere Investoren haben immer auch eigene Risikobewertungen und –Modelle, und das Urteil der Ratingagentur ist nur ein Werkzeug unter vielen. Ich erinnere hier an eine Tochter von Allianz Global Investors, die hat im März bekannt gegeben, dass sie im Februar sämtliche US-Staatsanleihen verkauft hat. Diese Entscheidung basiert nicht auf externen Ratings, denn die Ratingagenturen haben bis dahin über die USA nicht viel gesagt, sondern auf eigenen Bewertungen und Einschätzungen. Und da ist gleich also jeder selber gefragt.
Scholl: Die Rolle der Ratingagenturen. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Finanzexperten Wieslaw Jurczenko. Er sitzt in Frankfurt im Studio – wir haben ein bisschen Probleme mit der Leitung, irgendwie fiept es und kracht es oder so, wir versuchen, das natürlich zu beheben, und auch die Kollegen in Frankfurt werden daran arbeiten. Lassen Sie uns einfach weitersprechen, Herr Jurczenko. Wenn die Objektivität also doch so ein bisschen in Frage steht in dieser – nicht nur ein bisschen, sondern stark in Frage steht, wenn man diese Kriterien jetzt bedenkt, die Sie gerade entwickelt haben – man hat ja auch nicht den Eindruck, dass die Einschätzung der Ratingagenturen ja ständig verlässlich sind. Die große Finanzkrise 2008 haben sie auch nicht gesehen und verhindert.
Jurczenko: Sie haben sogar hier eine ganz gehörige Mitverantwortung, weil sie eben diese verbrieften Subprime-Kredite mit Bestnoten bewertet haben, das ist auch ein neues Geschäftsmodell für sie gewesen, dass sie einzelne Produkte raten, das ist sicher ein großer Sündenfall. Aber man muss auch sehen, sie haben in der Vergangenheit auch immer wieder Fehler gemacht. Etwa in der Asienkrise 97. Enron, Worldkom, Parmalat – sie sind nicht unfehlbar, das muss man einfach wissen. Und sie haben immer wieder Fehler gemacht, diese Fehler liegen teilweise auch sehr lange zurück. Nur hat es zu dieser Zeit eigentlich in Europa niemanden groß interessiert, ob die jetzt so richtig oder falsch gelegen haben. Es kann sein, dass es eben daran lag, dass das alles ein bisschen weit weg war und vor allem in Europa nicht solche Auswirkungen hatte wie heute.
Scholl: Die Ratingagenturen haben im Fall Griechenland und Portugal ja die Länder herabgestuft. Eigentlich müssten sie die USA jetzt auch herabstufen, in 14 Tagen ist das Land zahlungsunfähig, falls Obama sich nicht doch mit den Republikanern einigt. Machen die Agenturen das oder heißt es da wieder so wie in der Finanzkrise: Too big to fail?
Jurczenko: Nun, falls die USA die Schuldengrenze tatsächlich nicht anheben würden, müssten sie auch tun, und das würden sie auch tun – aber das wird sicher nicht passieren, im Moment ist Wahlkampf in den USA. In der Vergangenheit sind immer wieder die Schuldengrenzen angehoben worden. Das ist im Moment halt ein Geplänkel, das besonders spannend gemacht wird, also niemand erwartet ernsthaft, dass die Amerikaner diese Schuldengrenze nicht anheben.
Scholl: Bundesfinanzminister Schäuble hat nun von einem Oligopol gesprochen, also ein marktbeherrschendes Kartell, das die großen Ratingagenturen bilden, also die Amerikaner Moody's, Standard & Poor's, Fitch Rating zählen dazu. Heute früh hat er im Deutschlandfunk noch einmal wiederholt und gefordert, es müsse mehr Wettbewerb geben. Hat er Recht vor diesem Hintergrund – immer wieder die europäische Ratingagentur?
Jurczenko: Zum einen gibt es europäische Ratingagenturen – es gibt zum Beispiel die faire EuroRatings, die hat auch die berühmten PIGS-Staaten schon, ich glaube sogar, vor den großen Agenturen runtergeratet, hat keiner irgendwie gemerkt. Und es mag durchaus sein, dass die drei Großen eben mit einer sehr angloamerikanischen Optik das Geschehen bewerten. Man kann ihnen aber zum Beispiel einerseits nicht vorwerfen, die Finanzkrise nicht schnell genug gesehen zu haben, und sie jetzt dafür kritisieren, dass sie relativ zeitnahe Urteile abgeben. Und dieser Wettbewerb ist halt immer eine Frage: Worin soll der bestehen?
Scholl: Ja, als Laie denkt man, mehr Wettbewerb, Konkurrenz?
Jurczenko: Ja, um was? Soll dieser Wettbewerb etwa darum gehen, dass man immer bessere Urteile abgibt – Meinungsshopping, oder soll er um den Preis gehen? Ich weiß es nicht. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, dass es mehr gibt. Man muss immer nur bedenken, es dauert mitunter Jahrzehnte, bis sich eine Agentur wirklich weltweit durchsetzt.
Scholl: Brauchen wir die Ratingagenturen überhaupt, Herr Jurczenko? Vorhin haben Sie auch gesagt, die Banken machen auch ihre eigene Risikobewertung. Sie selbst waren lange Jahre in dieser Funktion tätig. Mussten Sie immer auf Ratingagenturen zurückgreifen?
Jurczenko: Nein. Ratingagenturen sind ein Werkzeug, noch sehr, sehr sinnvoll als Werkzeug, aber man muss sich immer auch ein eigenes Urteil bilden. Ich habe das selbst mal getan, als ich mal den Handel gewisser Produkte abgelehnt habe, obwohl sie Dreifach-A geratet waren, und es war aber dann doch irgendwie nicht nachvollziehbar, was eigentlich drinsteckt in diesen Sachen. Es ist immer ein sinnvolles Werkzeug, wenn etwa ein Chinese wissen will, ob eine Anleihe beispielsweise eines deutschen Unternehmens kreditwürdig ist, und das einfach ablesen kann, ist das ganz sicher ein sinnvolles Werkzeug.
Scholl: Die Macht der Ratingagenturen und: Brauchen wir eine europäische? Das war der Finanzfachmann Wieslaw Jurczenko. Ich danke Ihnen für das Gespräch und noch mal pardon für die Unterbrechung!
Jurczenko: Ich danke auch!
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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