Alle mal herhören!

Von Michael Watzke |
Tratschen hat in Bayern eine lange, eine sehr lange Tradition. Und da der Bajuware bekanntlich nur ungern von alten Bräuchen Abschied nimmt, nutzt er auch mal nicht ganz so neueste Technik, um sie zu erhalten. Also erfährt Mann und Frau in Pösing vieles über den Dorflautsprecher.
Gisela Riederer:"Jungs, hant’s ihr no do? Hant’s ihr no zehn Minuten do?”"

Gisela Riederer darf sich jetzt nicht aufregen. Sie darf auf keinen Fall rennen. Ihre Atmung muss ruhig bleiben. Denn die zweite Bürgermeisterin von Pösing ist gleich auf Sendung. Live:

""Da hinten ist meine Anlage. Und immer samstags, so zwischen halb zwölf und zwölf, mach’ ich meine Durchsagen. Heute sind’s drei. Wochentags mach’ ich’s normalerweise so zwischen halb sechs und sechs. Wenn die meisten Leute zuhause sind. Ich muss es vor zwölf machen, weil danach ist Mittagsruhe, da machen die Leut’ Mittagsschläfchen, da will ich niemanden mehr stören."

Gleich gegenüber des Rathauses schlägt die Glocke der Pösinger Dorfkirche St.Vitus: dreiviertel zwölf - jetzt muss sich Gisela Riederer beeilen. Die Moderations-Texte sind noch nicht redigiert. Mit dem Kugelschreiber forstet Riederer durch das Wortgestrüpp einer handgeschriebenen Manuskriptseite:

"Heute um zwanzig Uhr findet… im Vereinslokal Drexler… die Pokalverleihung für die 37.Lokalschau… statt… 2013 wissen wir…"

Riederer schüttelt genervt den Kopf. Wer, bitte schön, hat das geschrieben? So kann sie den Text auf keinen Fall präsentieren:

"Hin und wieder kommt’s vor, dass ich ein bissel kürzen muss, wenn so viele Durchsagen sind. Weil einfach nach zwanzig Sätzen keiner mehr zuhört. Den Text hier zum Beispiel habe ich gerade vorher in meinem Postkasten gefunden. Weil, es ist so, dass ich diese Zettel… also entweder legt’s mir der Bürgermeister rein. Oder die Vereinsvorstände oder Mitglieder werfen mir das Ganze in den Postkasten."

Und dann gehen die Pösinger Dorfnachrichten on air. Über Deutschlands einzige aktive Orts-Sprechfunkanlage. Das Studio ist ein Rollschrank im Sekretariat des Rathauses.

"Das geht dann los, ich mach’ das hier auf. Moment, erst mal den Hauptschalter einschalten. Dann schalt’ ich hier ein, dann hier, und dann hört man es schon surren. Dann muss ich praktisch warten, bis das Licht richtig leuchtet, und dann geht’s schon los."

Die SMS von Pösing
Es ist fünf vor zwölf in Pösing, einem Dorf, in dem sogar bei strahlendem Sonnenschein der Regen plätschert. Regen heißt der Fluss, der sich hier gemächlich durch den Ort schlängelt. Es herrscht angenehme Samstagmittags-Stille. Bis Gisela Riederer im Rathaus auf einen Knopf drückt. Plötzlich knarzt es überall im Dorf aus 45 Lautsprechern.

"Da kommt erst mal unsere Fanfare. Das wird mit einem Phillips-Signal angekündigt. Dann wissen die Leute: Aha, jetzt kommt gleich eine Durchsage. Und dann sag ich das ganze und wiederhol’ es auch noch mal. Für alle, die es beim ersten Mal nicht verstanden haben. Jemand hat mal gesagt: das ist die SMS von Pösing."

Die SMS von Pösing schallt durch die menschenleeren Straßen des Dorfes. Die Fenster der alten Bauernhäuser sind geschlossen. Niemand scheint Notiz zu nehmen von den Neuigkeiten, die Gisela Riederer mit amtlicher Stimme verkündet. Ihre Sprach-Melodie erinnert an den Duktus der Tagesschau-Sprecher aus den 50er Jahren. Die zweite Bürgermeisterin hat heute…

"… drei Durchsagen. Erste Durchsage: Heute, Samstag, findet um 19 Uhr im Gasthaus Weitzer die Jagdgenossenschafts-Versammlung der Jagdgenossenschaft Pösing statt. Auf der Tagesordnung stehen Begrüßung, Bericht des Vorstands, Kassenbericht, Entlastung der Vorstandschaft, Neuwahlen; Verwendung des Jagdpachtschillings, Verschiedenes, Wünsche und Anträge. Zugleich findet das Rehessen des Jagdpächters statt, zu dem auch die Frauen der Jagdgenossen eingeladen sind."

Während Gisela Riederer im Rathaus mit Durchsage 2 beginnt, trippelt am Ende des Dorfes eine alte Dame über den Bürgersteig. Ihr Gesicht ist so runzlig wie ein schrumpliger Winterapfel. Die Schneider Gretl ist 87 Jahre alt und lacht wie ein Kobold:

"Ahahahahaaaa!"
"Sind Sie gebürtige Pösingerin?"
"Ich bin immer schon dagewesen. Weil ein altes Sprichwort sagt: Eine gute Kuh bleibt im Dorf! Ahahahahaaaa!"

Die Schneider Gretl trägt ein gewaltig dickes Hörgerät über dem Ohr. Man kann es quietschen hören, während der Ortssprechfunk verkündet:

"… nach dem Wahlvorgang kann gekegelt werden. Außerdem ist für das leibliche Wohl gesorgt."

Gretl dreht ihren Kopf angestrengt Richtung Lautsprecher, der in fünf Metern Höhe auf einem Holzpfahl thront. Aber sie versteht trotzdem nichts:

"… weil der Hall, der geht da rauf. Ich bin aber hier! Naja, ich frag’ dann, was hat sie denn gsagt? Ist ja ned schlimm. Ich reg’ mich deswegen nicht auf, weil ich nix mit Fußballverein oder Feuerwehr oder Taubenzuchtverein zu tun hab. Das erfahr ich dann später. Und wo ich hingehen will, das steht im Kirchenblatt, im Pfarrbrief oder in der Zeitung."

Das Neueste aus dem unterfränkischen Weinort Wipfeld gibt es per Ortsrufanlage.
Die Pösinger verbreiten vor allem Nachrichten aus ihren Vereinen.© picture alliance / dpa / David Ebener
Der Zusammenhalt im Dorf ist groß
Heute ist die Schneider Gretl auf dem Weg zum Friedhof. Wie eigentlich jeden Tag, seit ihr Mann vor sechs Jahren verstorben ist. Nun lebt die alte Dame allein in Pösing. Einsam fühlt sie sich nicht:

"…weil, ich bin mitten im Dorf. Gleich um die Kurven rum steht mein Häusel. Ein hundertjähriges Häusel. Ich mein, ich hab zwei Kinder, und die sind, wie sie ihren Beruf gelernt haben, nach München gegangen. Wir haben sie gehen lassen, mein Mann und ich. Mein Mann war Schreiner, und er hat geschreinert, so lang es gegangen ist. Da hat man nicht gemerkt, dass man im Alter allein ist. Und das bin ich jetzt, seit sechs Jahren. Aber ich kann jederzeit… sie sehen ja, das ist ein Dorf, da sind Männer und Frauen da. Wenn ich zum Beispiel zum Arzt muss, dann kann ich sagen: "Kannst mich Du nicht fahren?" Das ist keine Geldfrage und kein Bittstellen, da heißt’s ‚Na freilich’! Und das ist das Schöne an einem Dorf."

Gerne würde man der Schneider Gretl länger zuhören, während der Ortssprechfunk die Tagesordnungspunkte der Jahreshauptversammlung des Schützenvereins verkündet. Aber die alte Dame schwingt ihren Gehstock. Sie muss weiter:

"Also, ich sag alles Gute. Ich glaub, ich bin die größte Ratsch’n vom Dorf. Ahahahahaaa!"

Im Rathaus ist Gisela Riederer mittlerweile bei der letzten Meldung:

"Heute, Samstag, findet um 20 Uhr im Vereinslokal Gasthaus Drexler die Pokalverleihung für die 37. Lokalschau statt. Mit Neuwahlen des Zuchtwarts Geflügel und des Zuchtwarts Tauben. Wir bitten alle Mitglieder zu kommen."

Die Neuwahl des Zuchtwarts Geflügel wird am Abend eine faustdicke Überraschung bereithalten. Aber das kann Gisela Riederer noch nicht ahnen. Seit sie die Pösinger Dorfnachrichten spricht, hat sie schon hunderte Vereinsvorstandswahlen angekündigt:

"Die Anlage gibt’s seit 1954. Ich bin 1966 geboren. Ich bin mit dieser Anlage aufgewachsen. Für mich ist das nix Besonderes, nix Neues oder gar Übernatürliches."

Für Ortsfremde dagegen klingt die Lautsprecher-Stimme aus dem Nichts ein bisschen wie der große Bruder aus Georg Orwells Roman "1984". Man fühlt sich unweigerlich beobachtet. Zwar beendet Gisela Riederer ihre Übertragung mit dem freundlichen Hinweis:
"Die Gemeinde Pösing begrüßt Herrn Michael Watzke vom Deutschlandfunk recht herzlich."

… aber erstens sind wir ja nicht im Auftrag des Deutschlandfunks hier, sondern für das Deutschlandradio Kultur. Und zweitens fühlt man sich als Reporter in Pösing spätestens jetzt enttarnt. Ach wo, sagt die zweite Bürgermeisterin und lacht. Dieses Gefühl hätten nur Auswärtige:

"Im ersten Moment sagen natürlich die, die es nicht kennen: Was ist denn da los? Sammer in der Tschechei?"

Im Nachbarland wurde früher fast jedes dritte Dorf beschallt
In der Tschechei, also dem gerade mal dreißig Kilometer entfernten Tschechien, findet man Ortssprechfunk-Anlagen häufiger. Während des Sozialismus war dort fast jedes dritte Dorf beschallt. Die Partei ließ in den Lautsprecher-Dörfern besonders häufig sozialistische Parolen durchsagen. In Deutschland war das nicht üblich. Und wer, wie die Gemeinde Pösing, in den fünfziger Jahren einen Ortssprechfunk einrichtete, hatte damit eher kapitalistische Pläne, sagt der Pösinger Alt-Bürgermeister Johann Nierschl:

"Es ist damals angedacht gewesen im Gemeinderat, für die ortsansässigen Geschäfte Werbung zu machen. Vielleicht Sonder-Angebote und so. Was heute die ganzen Discounter mit Mords-Papieraufwand wöchentlich anpreisen, das war damals schon angedacht bei uns."

Doch die Gemeinde entschied sich anders. Nur Vereins-Nachrichten, Todesanzeigen und wichtige Informationen sollten Verbreitung finden:

Gisela Riederer:"Wir sagen alles durch außer politische Sachen. Nichts Politisches, das ist per Gemeinderats-Beschluss so festgelegt. Politisches geht nicht."

Johann Nierschl:"Man muss ja auch betrachten: es soll ja für die Leute angenehm sein, in der Mittagspause oder abends, wenn die Leute daheim sind. Die meisten sind ja doch berufstätig. Dass sie hören, was durchgesagt wird."

Johann Nierschl, Bundeswehr-Soldat in Rente, hat die Durchsagen jahrelang selbst gemacht. Mit schneidigem Ton und immer gut verständlich, wie sich die älteren Dorfbewohner gern erinnern. Vor allem aber in tiefstem Oberpfälzisch:

"Wir sprechen hier Dialekt. Ich bemüh mich schon ein bissel, aber wir leben hier in Bayern, und da spricht man Dialekt."

Johann Nierschl war damals auch für die Technik der Ortsrufanlage zuständig. Die Installation kostete mehrere 10.000 Mark, das war viel Geld für die kleine Gemeinde. Und ständig habe man das System reparieren müssen:

"Wenn man den technischen Zustand damals betrachtet: das waren alles Hochleitungen. Das waren zwei Kabel, die von Haus zu Haus oder Haus zu Scheune gingen. Und oben ist irgendwo der Lautsprecher gewesen. Dann, im Zuge des Kanalbaus, der 1978 losging, haben wir gesagt, Menschenskinder! Die Kabel sind schon brüchig und schadhaft und ständig kaputt – wir verlegen das ganze Kabelsystem mit dem Kanalbau in die Erde. Seitdem haben wir keine Probleme mehr."

Unumstritten waren die Lautsprecher nie – auch in Pösing nicht, erinnert sich der Alt-Bürgermeister:

"Immer wieder gab’s im Gemeinderat die Diskussion – wollen wir das Ding behalten? Weil wir immer wieder Geld reinstecken mussten. Und es ist kein Gewinn rausgekommen. Von der Finanzierung war es nicht lukrativ. Aber am Ende ist immer der einstimmige Beschluss der Gemeinderäte gekommen: wir wollen unser Ding behalten. Und das war wichtig."

Freiwillige Feuerwehrmänner der Wehr aus dem schleswig-holsteinischen Ort Aukrug-Homfeld treten bei einem Wettkampf in Bargfeld an.
Die Freiwillige Feuerwehr kann über Nachwuchs nicht klagen.© picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Die Pösinger sind aktiv - 35 Vereine mit mehr als 2000 Mitgliedern
Wichtig, weil das Dorf Pösing mit seinen 980 Einwohnern eine Vereinskultur entwickelt hat, die ohne die Lautsprecher-Durchsagen kaum denkbar wäre. Wie sonst könnte man die Übersicht behalten über 35 Clubs mit mehr als 2000 Mitgliedern? Jeder Einwohner von Pösing ist statistisch gesehen in mindestens zwei Vereinen. Manche bringen es auf 20 Mitgliedschaften. Vom Bayern-Fan-Club über den Bäuerinnen-Verband bis zum Obst- und Gartenbau-Verein, den Schützen, dem Kinderchor und der Waldbauern-Vereinigung. Kaum ein anderes Dorf in Bayern kann diese Vielfalt bieten, sagt stolz der 1.Bürgermeister Edmund Roider:

"Es ist auch wichtig, da wir ja ab und an auch Zuzüge haben, dass man sich in einem kleinen Dorf nirgends besser in die Gemeinschaft einfinden kann als in einem Verein. Das ist damit zu erklären, dass der Zusammenhalt unter den Menschen in Pösing sehr groß ist. Der eine Verein vergönnt auch dem anderen Verein noch was. Obwohl man nicht verhehlen kann, dass es auch bei immer schwieriger wird, im Verein Führungspositionen zu besetzen. Aber der Mitgliederzulauf, sei es beim Sportverein oder der Feuerwehr, bei Kegeln oder Kolping, ist gigantisch."

Das liegt auch daran, dass man sich in einem Dorf wie Pösing der Gemeinschaft gar nicht entziehen kann. So wie die Dorf-Lautsprecher jedes Ohr erreichen, ob es nun zuhören will oder nicht – so geben auch die Vereine keine Ruhe. Die Freiwillige Feuerwehr von Pösing etwa ist nicht ganz so freiwillig, wie ihr Name suggeriert. Der zweite Kommandant Manfred Hüpfl erklärt, wie die Anwerbung der Jugendlichen läuft:

"Die werden verhauen. Die werden im Kindesalter von 14 oder 15 Jahren zusammengeholt, dann werden sie gschlogn, und dann müssen’s zur Feuerwehr. Also wir haben keine Probleme mit Nachwuchs."

Kommandant Hüpfl befehligt in Pösing 350 Mitglieder. Brennen tut es eher selten, aber die Feuerwehr findet immer was zu tun. Wenn eine Übung ansteht, mobilisiert Hüpfl seine Mannschaft über die Dorf-Lautsprecher:

"Die Anlage ist super. Die wird zwar immer belächelt von außen, aber ich sag’ mal, wenn man kurzfristig was hat, irgendwelche Veranstaltungen, sagt man’s durch, und jeder kriegt es zwangsläufig aufs Auge gedrückt. Bei Jugendlichen ist mittlerweile auch Facebook wichtig, aber die Lautsprecher sind trotzdem zu 99,9% etwas, wo man sagen kann: ich krieg’s an den Mann, der kriegt es mit, und ich hab die Leute da, die ich brauch’. Schlicht, einfach und effektiv."

Ein zärtliches Ringeltauben-Paar (Columba palumbus).
Auch Ringeltauben werden im Kleintierzucht-Verein Pösing gezüchtet.© picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann
Die Kleintierzüchter haben Preise abgesahnt
Samstagabend, 20 Uhr im Vereins-Lokal Drechsler. Die Mitglieder des Kleintierzucht-Vereins Pösing e.V. haben schon die erste Lokalrunde hinter sich. Züchter-Vorstand Georg Dietrich ergreift das Wort:

"Dann möchte ich Euch bitten, kurz aufzustehen zum Gedenken unserer verstorbenen Mitglieder."

26 Männer und fünf Frauen erheben sich geräuschvoll. Dann: andächtige Stille in der Runde. Sogar die anwesenden Kleintiere machen keinen Mucks.

"Danke. Liebe Züchterfreunde, liebe Züchterfrauen, liebe Jungzüchter. Ich darf Euch zu unserer Jahreshauptversammlung recht herzlich begrüßen. Entschuldigt hat sich der erste Bürgermeister wegen einer Jagdversammlung, der Schmid Erich hat sich entschuldigt und der Christian Heuberger."

Ohne stichhaltigen Entschuldigungsgrund darf hier niemand fehlen. Schließlich ehrt Dietrich verdiente Mitglieder – für ihre Erfolge bei der 37.Lokalschau, einem Leistungsvergleich der Oberpfälzer Züchter-Elite. Die Pösinger sind berühmt für ihre…

"… Hühner, Tauben, Puten, Gänse, Enten, Ziergeflügel, Wachteln. Wir sind ein reiner Geflügel-Verein."

Auch dieses Jahr hat der Kleintierzuchtverein Pösing wieder jede Menge Preise des VBR abgesahnt. Des Verbandes Bayerischer Rassegeflügelzüchter. Der Vereinsvorsitzende Georg Dietrich überreicht die Pokale:

"Dann haben wir den Bräu Christian. Der hat den Vogel abgeschossen: zweimal VBR!"

Die Eiderenten und Ringeltauben des Vereins glänzen wie aus dem Ei gepellt.

"Mit so struppigen Federwischen, auf deutsch gesagt, brauchst Du gar nicht antreten. Weil damit kannst Du keinen Blumentopf gewinnen. Wichtig ist eine gute Wasserqualität, dass sie wirklich sauber baden können."

Für die gute Wasserqualität ist der Zuchtwart des Vereins zuständig. Ebenso dafür, dass sich die Vögel streng nach Zuchtplan vermehren. Doch für dieses ehrenvolle Amt finden sich immer weniger Interessenten. Der letzte Pösinger Zuchtwart hat gerade ohne viel Federlesens den Abflug gemacht:

"Jetzt brauchen wir wieder zwei Zuchtwarte. Einen für Hühner und einen für Tauben. Für die Hühner haben wir den Niklas Manfred vorgeschlagen. Zuchtwart Tauben: Stoiber Alfred. Wer ist dafür? Wer ist dagegen? Einstimmig! Dann hätten wir das Thema auch."

Von 14 erschlossenen Grundstücken nur sechs verkauft
Das kleine Dorf Pösing ist eine Welt für sich. Eine Welt der Geflügel-Zuchtwarte, der Lautsprecher-Durchsagen und des Heimatstolzes. Für Fremde ist diese Welt nicht leicht zu verstehen. Und immer weniger Menschen wollen sie verstehen. Die Jungen ziehen vom Land in die Städte. Die Alten sterben. Vor drei Jahren haben sie in Pösing 14 neue Bau-Grundstücke ausgeschrieben. Voll erschlossen, sagt Bürgermeisterin Gisela Riederer, sogar mit Lautsprecher-Anschluss und zu einem unschlagbaren Quadratmeter-Preis:

"Bei uns ist der Grundstückspreis pro Quadratmeter 40 Euro. Ich meine, wenn sie jetzt im Hintergrund die Vögel zwitschern hören – das ist doch ein Traum. Und wenn dann das Wetter so ist wie heute, mit blauem Himmel – was mach’ ich dann in der Stadt?"

Die Pösinger wollten vor allem junge Familien anlocken. Der Gemeinderat lobte sogar noch einen Extra-Nachwuchs-Bonus aus:

"Wenn man Kinder hat innerhalb einer gewissen Zeit, dann kriegt man von der Gemeinde 1000 Euro zurück, wenn man hier ein Grundstück kauft."

Bisher hat die Gemeinde von den 14 Grundstücks-Parzellen erst sechs verkauft. Und die Zahl der Kinder in Pösing nimmt stetig ab. Der Kindergarten hat mehr Plätze als Bewerber, und die Schule in Pösing musste vor zwei Jahren schließen:

"Das tut natürlich weh, wenn man seine Schule schließen muss. Aber wirtschaftlich ist es einfach nicht mehr gegangen, leider Gottes."

In München dagegen fehlen 50.000 Kindergartenplätze, und der Quadratmeterpreis für Bauland liegt bei 1200 Euro. 30 mal so hoch wie in Pösing. Bürgermeisterin Gisela Riederer seufzt. Sie steht auf dem kleinen Hügel hinter dem Dorf und blickt in die Ferne:

"Wenn Sie jetzt rundum schauen - drüben, die weiße Spitze, das ist der Arber. Der höchste Berg im Bayerischen Wald. Wunderbarer Blick über den Friedhof. Da unten die Regental-Aue, wo die ganzen Vögel, die Störche und Wiesenbrüter sind."

In der Regental-Aue, dem Naturschutzgebiet vor den Toren Pösings, sind neulich zwei rosa Flamingos gelandet. Keiner wusste, woher sie kamen. Sie staksten eine Weile zwischen Enten, Reihern und Blesshühnern durch den Fluss. Es sah aus, als hätten sich zwei schrille Performance-Künstler in ein Bundeswehr-Feldlager verirrt. Noch bevor Gisela Riederer die Neuigkeit über die Lautsprecher-Anlage verkünden konnte, flogen die Flamingos wieder davon.
Idyllisch kann es sein in der Oberpfalz.
Idyllisch kann es sein in der Oberpfalz.© picture alliance / dpa / Armin Weigel