Film "Alle reden übers Wetter"
Kein Blick zurück: Clara spürt bei den Besuchen zu Hause, dass sie mit ihren Eltern keine gemeinsame Sprache mehr hat. © Grandfilm
Zwei Orte, keine Worte
13:40 Minuten
Zwei Orte, zwei Welten: Clara macht in Berlin ihren Doktor in Philosophie, die Eltern sind in Vorpommern geblieben. Zum 60. Geburtstag der Mutter kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück, sucht eine gemeinsame Sprache und Verständnis.
Debütfilme gehen meistens auf Nummer Sicher: Hier eine Coming-of-Age-Geschichte, dort eine Liebeskomödie. Wenige Regisseure trauen sich, gleich mit dem ersten Film den Finger in die Wunde der Gesellschaft zu legen.
Annika Pinske hat sich das getraut in ihrem Werk „Alle reden übers Wetter“. Darin erzählt sie von Clara, einer Philosophie-Doktorandin, die im akademischen Milieu von Berlin nicht akzeptiert wird.
Ihre ostdeutsche Herkunft wird ihr hier vorgehalten. Als Bildungsaufsteigerin gilt sie an der Uni als Mitglied zweiter Klasse. Als sie zum 60. Geburtstag ihrer Mutter ins Heimatdorf nach Vorpommern fährt, wird Clara auch dort gleichgültig empfangen. Auch hier gehört sie nicht mehr dazu.
So erzählt Pinske von einem hochaktuellen deutsch-deutschen Identitätskonflikt, der viele Streitfragen unserer Gegenwart prägt. Welchen Einfluss hat diese „Ost-West“-Thematik auf ihre eigene Biografie?
Die Herkunft spielt immer mehr eine Rolle
Annika Pinske: In der Nachwendezeit gar nicht so, da war ich ein Kind, da sind erst mal die Zustände alle irgendwie normal für einen; aber jetzt mit 40, rückblickend, auch die Biografie meiner Mutter anschauend, merke ich, dass das mit ziemlich viel Brüchen und ziemlich viel Wandlung zu tun hatte, die, so glaube ich, die Generation meiner Eltern gar nicht so bewusst wahrgenommen haben.
Es war Wende und alle wollten sie und es war viel Gejubel. Was das aber für Einschnitte in den einzelnen Biografien waren, war denen zu dem Zeitpunkt, glaube ich, noch gar nicht so klar. Man merkt auch in Literatur und in Filmen, dass sich meine Generation immer mehr damit beschäftigt, dass das durchaus ein Thema ist, was aufgearbeitet werden muss.
Deswegen spielt das in den letzten sechs, sieben Jahren immer mehr eine Rolle für mich und ist Thema. Es hat viel damit zu tun, wie ich auch als Ostdeutsche angesprochen werde, zum Beispiel von Westdeutschen – im Kontakt an der Universität, im Kontakt jetzt in der Filmbranche. Es ist nicht vom Tisch und es ist Thema und ich muss mich verhalten als Ostdeutsche – und deswegen muss ich mich damit beschäftigen.
Patrick Wellinski: Das klingt wie eine Verwandlung, dass durch den Kontakt mit den Westdeutschen Sie eine ostdeutsche Identität annehmen, wahrnehmen?
Pinske: Annehmen musste, tatsächlich. Ich weiß nicht, ich glaube, man kann das einfach umdrehen: Ich glaube, kein Westdeutscher muss sich dazu irgendwie äußern, wie es ist, Westdeutscher zu sein; oder kein Westdeutsche muss sich dazu zu verhalten, was in Westdeutschland passiert, während Ostdeutsche immer wieder dazu aufgefordert sind, also ganz banale Sachen.
Auch wenn jemand in einem Bungalow an der Ostsee war und der Bungalow war nicht so schön, dann muss ich mich dazu verhalten. Es sind wirklich so ganz banale Sachen und auch ganz große und politische. Und jetzt mit Corona, mit Pegida und so sehen wir ja die Differenzen. Ich musste mich dazu verhalten, obwohl das für mich als Kind und auch als Jugendliche überhaupt gar keine Rolle gespielt hat.
Wellinski: Diese Diskurse spielen natürlich eine Rolle im Film, aber ich hatte auch das Gefühl, dass das, was den Film vorantreibt, was vielleicht der Unterstrom ist dieser Geschichte, eigentlich eine Mutter-Tochter-Beziehung ist.
Pinske: Genau, es sind viele Themen, die mich beschäftigen. Dieses Ost-West ist eines, auch weil ich ostsozialisiert bin oder zumindest im Osten von Deutschland geboren wurde. Und das andere Thema ist eine Beobachtung: dass es so wenig Filme über Mutter-Tochter-Geschichten gibt, also überhaupt über weibliche Protagonistinnen.
Es gibt ja jetzt seit #MeToo langsam eine Bewegung und Dinge ändern sich, aber ich hab' einfach gemerkt, dass ich immer aufgefordert bin, mich in männliche Heldengeschichten reindenken zu müssen, um der aktive Part zu sein in dem Film als Zuschauer. Und das fand ich irgendwann öde.
Und dann auf der Suche nach weiblichen Protagonisten gibt es gar nicht so viele. Also Almodóvar klar, hier und da, aber wirklich wenig im Vergleich. Deswegen war es fast eine Aufgabe, dass ich als weibliche Regisseurin aus dem Osten mich irgendwie auch diesen Themen widmen sollte.
Es gibt kein zurück
Wellinski: Ja, und Sie haben auch eine Heldin erschaffen, Clara, 39 Jahre alt, Philosophie-Doktorandin in Berlin. Das ist – ich weiß nicht, wie Sie das formulieren würden – eine Bildungsaufsteigerin. Irgendwie dachte ich mir, das ist so eine sozialdemokratische Traumbiografie.
Pinske: Sie hat auf jeden Fall genau so einen Milieusprung geschafft, und den finde ich interessant. Darum geht es ja letztendlich auch in dem Film: was man sich wünscht, was man sich erträumt, wie man sich beruflich verwirklichen möchte –, und während man diese Entscheidung trifft, weiß man gar nicht so richtig, was das letztendlich für Brüche sind und was man zurücklässt und worauf man guckt, wenn man dann so durch das Studium durch aus.
Das ist unwiederbringlich. Ich hab' selbst Abitur gemacht als Erste in einer Familie, dann studiert, und das war für mich irgendwann so nach 10, 15 Jahren, wenn man so immer weiter peu à peu dieses Milieu verlässt, irgendwie ein Schock, weil man einfach nicht mehr dahinter zurückkann. Das hat mich beschäftigt.
Minderwertigkeitskomplexe als Arbeiterkind
Wellinski: Man wird aber auch nicht wirklich mit offenen Armen empfangen, hatte ich jedenfalls das Gefühl, wenn ich mir Clara ansehe, wie sie sich in dieser akademischen Großstadtumgebung bewegt. Das ist ja eine Figur, die durch diese Uni-Gänge geht, immer etwas schüchtern, hatte ich das Gefühl, als würde sie nie wirklich dazugehören, obwohl sie, glaube ich, dazugehören möchte.
Pinske: Genau. Ich glaube, das ist ein Minderwertigkeitskomplex, den man hat. Ich kann nur sagen, als ich angefangen habe zu studieren – ich hab Philosophie und Literatur studiert –, ich habe die ersten vier Semester ausschließlich Fremdwörter mitgeschrieben und nichts verstanden, und es gab einen extremen Unterschied zwischen den Studenten oder Studierenden, die aus gutbürgerlichem Haus kommen und mir als Arbeiterkind.
Als wir auf Location-Tour waren an der HU, da hing ein Plakat „Studierende von Arbeiterkindern“, und das hat mich total ergriffen, weil ich dachte, wenn ich das gesehen hätte zu der Zeit, als ich studiert hätte, dann hätte ich mich anders einordnen können. Dann hätte ich nicht die ganze Zeit gedacht, ich bin doof und ich kann das nicht und ich verstehe das nicht, bin nicht schlau genug, sondern: Nee, ich hab andere Voraussetzungen, ich muss mich anders reinhängen.
Aus diesem Gefühl heraus, dass man immer merkt, ich trau mich auch nicht, das Wort zu ergreifen, weil ich diese ganzen Vokabeln gar nicht habe, hat man immer so eine Art Schüchternheit, wie Du es sagst, Minderwertigkeitskomplex; und den wird man auch, glaube ich, so schnell nicht mehr los. Man kann sich dann so seine Nischen suchen und sich so souveränisieren über seine Arbeiterherkunft, und das ist dann auch irgendwie cool, aber es bleibt immer eine Scheu.
In der Großstadt zählen für sie andere Themen
Wellinski: Jetzt passiert hier etwas sehr Spannendes im Film, denn der Film macht mit der Figur eine Bewegung aus dieser Großstadt zurück aufs Land. Clara fährt zum Geburtstag ihrer Mutter in ihr Heimatdorf in Mecklenburg-Vorpommern: Man würde ja jetzt meinen, in dem Moment, wo sie diese Umgebung wechselt, also zurück – da ist irgendwie Wärme, Verständnis, Zuversicht –, aber so ist es auch nicht, sie fühlt sich da auch nicht wirklich wohl.
Pinske: Genau, weil man auch da dann wieder der andere ist und man nicht einfach so schnell, so mir nichts, dir nichts, zurückkann in die Welt, aus der man gekommen ist, weil man sich in der Großstadt eben doch mit anderen Themen beschäftigt – sie halt mit Philosophie.
Keine Ahnung, sie geht wahrscheinlich ins Theater, sie hat ganz andere Einflüsse, und dann kommt man zurück, und die haben ihren Alltag und ihre Erfahrungen, und die teilt man eben nicht, kann man einfach nicht teilen. Das sind einfach zwei verschiedene Welten. Ich glaube schon, dass es eine gewisse Wärme gibt, wenn man zurückkommt, das ist klar – es ist Familie, alle mögen sich –, aber dann stocken die Gespräche an gewissen Punkten.
Deswegen heißt der Film auch „Alle reden übers Wetter“, weil es natürlich viel um diese Rituale und Banalitäten geht, einfach darum, Gesellschaft zu leben, was auch total ist. Ab einem gewissen Punkt wünscht man sich natürlich auch einen anderen Kontakt und eine andere Ehrlichkeit vielleicht – oder zu sehen, wie es hinter der Fassade aussieht.
Keine Sprache, die Mutter und Tochter verbindet
Dazu spielt natürlich auch noch rein – das ist eine erwachsene Tochter mit der Mutter –, dass man sich als erwachsenes Kind gerne anders seinen Eltern gegenüber noch mal treffen möchte. Ich kenne superviele und mir passiert das auch immer wieder, dass man einfach schnell in diesen alten Status zurückrutscht, die kleine Tochter ist, die Mama kocht, man ist da, man ruht sich aus, was auch immer ...
Andere Möglichkeiten – seiner Mutter nicht nur als Mutter zu begegnen, sondern auch als erwachsenere Person – das ist total schwer, solche Gespräche zu führen, und die sind auch wahnsinnig emotional. Es geht nicht nur mir so. Das ist wie so eine Blockade, gewisse Themen auf den Tisch zu packen. Ich weiß gar nicht, das ist noch nicht aufgearbeitet in einem Film, das ist auf jeden Fall ein interessantes Thema.
Wellinski: Ich hab mich gefragt, ob es auch daran liegt, dass man keine gemeinsame Sprache findet. Es gibt da einen Moment, wo Clara ihre Mutter bittet, lies doch vielleicht meine Doktorarbeit. Und die Mutter sagt: "Das verstehe ich doch nicht". Sie möchte ja reden, aber ich hatte das Gefühl, um Gespräche zu führen, braucht man auch eine Sprache, die beide verbindet.
Pinske: Das kommt dann auch noch dazu. Es ist nicht nur das Mutter-Tochter-Verhältnis, aus dem man sich irgendwie lösen und neu finden möchte, wenn man erwachsen ist, sondern das Thema der Sprache spielt eine große Rolle, oder auch das Thema Interesse.
Ich glaube, die Mutter hat auch eine gewisse – also: so wie Clara sich demütig fühlt in dem Universitätsbereich, gibt es auch eine gewisse Demut der Mutter gegenüber ihrer Tochter, weil sie einfach nicht so richtig weiß, mit was sie sich da beschäftigt und was diese Welt ist, weil sie sicher auch eine Angst hat, dem nicht gewachsen zu sein oder unzulänglich zu sein.
Diese Scheu sperrt bestimmte Themen aus, und es ist so ein bisschen wie das Gefühl, immer ein Stück von sich außen vor lassen zu müssen, wenn man zurück in das Herkunftsmilieu geht. Die Sehnsucht und den Wunsch nach mehr Interesse an ihrem Berufsleben, den kann ich nachvollziehen. Genauso gut kann ich diese Angst und Scheu der Mutter nachvollziehen, die dann einfach nur eine gute Zeit haben will und dieses warme Gefühl teilen will mit ihrer Tochter.
Diese Frage, wo das übergriffig wird, weil man sozusagen als intellektuelle Tochter seine Mutter zu solchen Gesprächen auffordert, das finde ich auch ziemlich interessant: Wie sehr darf man seine Eltern da fordern und wie sehr muss man sie auch lassen in dem, was sie sind? Der Film bietet da auch keine Antworten, sondern er ist eher eine Suchbewegung von all diesen Thematiken.
Wellinski: Es ist ja so, dass wir mit Clara noch mal auf dieses Heimatdorf mit ihren jetzt – sagen wir mal ein bisschen großstädterisch geprägten Augen – blicken: Bei der Geburtstagsfeier der Mutter hatte ich das Gefühl, dass Sie dann doch so Atmosphären einfangen, die man aus den Headlines der Zeitung kennt über diese Orte im Osten, so ein Gefühl von Abgehängtsein: Ich fand, das zeigt sich in diesen Männerfiguren vor allem: eine Depression, eine Hoffnungslosigkeit gegenüber der eigenen Zukunftsperspektive. Aber das ist doch das, was Clara da wieder findet.
Pinske: Ja, genau. Ich glaube, es wäre total gelogen, da jetzt hinzugehen und so einen Ostalgischen zu machen und zu zeigen, wie schön der ländliche Osten ist. Das sind einfach Problematiken, und denen muss man sich stellen und denen muss sich auch der Film stellen. Genauso wie ich auf diese Uni-Welt gucke und das so seziere in diese ganzen Machtgefälle, gucke ich auch aufs Dorf.
Das ist schon ein Gefühl, was es da gibt, und das muss man auch ernst nehmen. Wir sprechen über Vorpommern: Das ist tatsächlich der ärmste Landstrich in Deutschland, dadurch, dass da einfach keine Großstadt in der Nähe ist, und das ist schon ein Gefühlvon Abgehängtsein und keiner kümmert sich.
Ich war auch wirklich bei so Initiativen, und das ist wirklich auch irgendwie traurig zu sehen, weil das Engagement so groß ist, die wollen Sachen machen, und diese Diskussion über diese Reit- und Radwege in meinem Film –O-Ton; und sie scheitern dann ganz schnell einfach an politischen Dingen: Es gibt kein Geld, keine Förderanträge –oder die sind super kompliziert. Dann hat man ganz schnell das Gefühl, mir werden hier Steine in den Weg gelegt.
Die machen das alle ehrenamtlich, und diese gewisse Art von Frust und Wut muss man, glaube ich, ernst nehmen, denn man sieht es ja auch in anderen Teilen von Deutschland, wenn man nach Görlitz guckt, wie sich das so extrem äußern kann.
Kommunikation ist unwahrscheinlich
Wellinski: Was mich wirklich bewegt hat ist, dass Clara sich das einfach anhört, und wir hören das ja mit ihr. Ich hatte das Gefühl, dass in ihr dieser Kampf noch tobt, die Frage, muss ich jetzt diese hoffnungslose Sicht auf die Welt übernehmen, weil ich komme ja von hier. Man spürt, dass sie eigentlich irgendwie eine andere Position einnehmen möchte, aber sie traut sich nicht wirklich. Das ist doch diese Identitätssuche.
Pinske: Die Frage ist, was bringt es, wenn sie sich jetzt äußert? Also, wenn sie jetzt sagt "Wie kannst du so reden?" oder "Überleg mal genau, was du gerade gesagt hast". Letztendlich ist das eine rassistische Äußerung, auch wenn das jetzt nicht eins zu eins war, aber der Unterton war rassistisch.
Was passiert, wenn sie das sagt? Dann ist sie die Schlaue, sagt sie ja selber. Was bringt es, wenn ich das sage? Und das fand ich tatsächlich, als Pegida so hochkam und man so Interviews gesehen hat, wirklich erschreckend, dass man – und Du hast es vorhin auch selber gesagt –, wenn man diese gemeinsame Sprache nicht mehr hat, kommt man eben auch nicht mehr zusammen, und das finde ich richtig gefährlich und gruselig.
In dem Film ist es im ganz Kleinen angedeutet. Ich glaube, politisch ist das wirklich ein Probleme. Beim Filmemachen interessiert mich schon, wenn sozusagen diese kleinen Strukturen schon nicht funktionieren und es da schon hakt, was das gesellschaftlich bedeutet. Deswegen gucke ich so gerne auf Familien und Kommunikation in Familien.
Und wenn das für mich schon schwierig ist, innerhalb der Familie diese Position einzunehmen, wie soll ich mich da gegenüber einem Pegida-Mob verhalten können als Politiker. Das kann man dann so hochpotenzieren, und ja, ich hab da gar keine Lösung für. Und Clara versucht’s und knickt dann ein, und so steht sich's gegenüber.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.