Allein aus Liebe
Demnächst startet der Film "Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" im Kino. Damit erinnert Margarethe von Trotta an eine der "größten Frauen des Mittelalters". Hildegard von Bingen ist vielen bekannt als Ärztin und Komponistin. Noch bedeutender ist ihr Ruf als Äbtissin und Prophetin.
Philippa Rath: "Hildegard von Bingen war eine Benediktinerin des 11./12. Jahrhunderts. Sie hat sich selbst gesehen als prophetissa, als Prophetin, als Werkzeug Gottes, die beauftragt ist, den Glauben in einer zunehmend glaubenslosen Zeit zu verkünden."
Schwester Philippa Rath. Sie lebt in der Abtei St. Hildegard oberhalb von Rüdesheim. Dieses Kloster versteht sich als Gründung der heiligen Hildegard. Die lebt vor neunhundert Jahren zunächst ein unscheinbares Klosterleben als Ordensfrau, im typischen Wechsel von ora et labora, Gebet und Arbeit.
Philippa Rath: "Dann hat sie einen Ruf empfangen: Schreibe auf, was Du siehst und hörst!"
"Es geschah im Jahre 1142 nach der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus, als ich 42 Jahre und sieben Monate alt war. Die Visionen empfing ich nicht im Traum, nicht im Schlaf oder in Geistesverwirrung, nicht durch die leiblichen Augen oder die äußeren menschlichen Ohren, auch nicht an abgelegenen Orten, sondern ich erhielt sie in wachem Zustand, bei klarem Verstand, durch die Augen und Ohren des inneren Menschen."
Philippa Rath: "Vision - das Wort schon alleine kommt aus dem Lateinischen videre, sehen. Hildegard war eine Frau, die tiefer sah und die Zusammenhänge sah, die vielleicht andere nicht so gesehen haben. Ich bin der Meinung, dass die Vision die Frucht ihres geistlichen Lebens ist."
Eine andere plausible Erklärung: Hildegards Visionen sind literarischer Topos und kirchenpolitischer Trick.
Philippa Rath: "Frauen durften im 12. Jahrhundert keine theologischen Traktate schreiben. Das war undenkbar. Was machte also eine Frau, die eine Glaubenslehre verfassen wollte? Sie, etwas salopp ausgedrückt, packte das Ganze in die Form einer Vision."
Die Heilige Schrift und die Ordensregel des Heiligen Benedikt sind die wichtigsten Quellen für Hildegards theologische Hauptwerke. Es sind drei:
Das erste enthält eine Glaubenslehre und heißt "liber scivias", zu deutsch etwa: Wisse die Wege, die Wege Gottes mit den Menschen. 26 Visionen verdeutlichen: Welt-, Menschen- und Gottesbild sind untrennbar miteinander verwoben.
Philippa Rath: "Das zweite wichtige Hauptwerk, liber vitae meritorum, das Buch der Lebensverdienste, ist eigentlich, um mit unseren heutigen Begriffen zu sprechen, eine Moraltheologie, eine praktische Ethik."
Das dritte Werk, liber divinorum operum, enthält Hildegards kosmologische Theologie. Der deutsche Titel "Welt und Mensch" deutet den Kerngedanken an:
Philippa Rath: "Der Mensch ist der Mikrokosmos, der in Entsprechung zum Makrokosmos, zu den kosmischen Gegebenheiten des Universums erschaffen ist und auch lebt."
Die alten Handschriften von Hildegards Texten beinhalten zahlreiche Illustrationen. Diese Miniaturen machen Hildegards theologische Sichtweisen augenfällig – etwa ihre Vision zum Thema Caritas, zu deutsch: Liebe.
Philippa Rath: "Es gibt eine Miniatur, wo die Liebe Gottes auf der Weltachse sitzt und die schwankt. Und diese Liebe muss immer wieder neu das Leben austarieren. Jeder weiß es aus seinem eigenen Leben: Wenn die Liebe zur Arbeit überdimensioniert wird, gerät mein Leben aus den Fugen."
Schwester Philippa Rath. Hildegard entwirft keine neue, keine revolutionäre Theologie. Aber sie setzt Akzente.
"Von der Tiefe bis hoch zu den Sternen
überflutet die Liebe das All,
sie ist liebend zugetan allem,
da dem König, dem höchsten,
sie den Friedensgruß gab."
Philippa Rath: "Wichtig ist ein Kerngedanke Hildegards: Die Schöpfung ist allein aus Liebe entstanden."
Allein aus Liebe. Dieser Grundgedanke durchzieht die gesamte Theologie Hildegards. Allein aus Liebe, so betont Hildegard, wird Gott Mensch. Allein aus Liebe geschieht Erlösung, nicht um der Sühne willen.
Philippa Rath: "Allein aus Gnade, allein aus Liebe. Aber sie betont eben nicht diesen Schuldcharakter, sondern sie betont den Liebescharakter."
Das ermöglicht heutigen Menschen einen Zugang zu Hildegards Theologie ebenso wie ein besseres Verständnis christlicher Erlösung.
Philippa Rath: "Denn von Schuld haben die Menschen lang genug gehört, aber die Liebe Gottes ist einfach unterbetont worden, sag ich mal."
Noch zu Lebzeiten wird Hildegard von Bingen berühmt und verehrt. Eine wahre Hildegard-Renaissance setzt im 20. Jahrhundert ein. Anlässlich des 800. Todestages im Jahre 1979 bittet die Deutsche Bischofskonferenz in Rom um Anerkennung Hildegards als "Kirchenlehrerin". Mit diesem seltenen Titel zeichnet man in der katholischen Kirche besondere Theologen und Theologinnen aus.
Philippa Rath: "Und dann kam die interessante Antwort: Wir können sie nicht zur Kirchenlehrerin erklären, weil sie noch gar nicht heilig gesprochen ist. Da dreht sich die Sache natürlich im Kreis. Und daran zeigt sich auch, dass einfach der Wille nicht da ist. Ich denke Hildegard ist eine vom Volk heilig gesprochene Frau und es bedarf eigentlich dieses Titels nicht; obwohl von ihrem Werk her wäre es durchaus gerechtfertigt."
Schwester Philippa Rath. Sie lebt in der Abtei St. Hildegard oberhalb von Rüdesheim. Dieses Kloster versteht sich als Gründung der heiligen Hildegard. Die lebt vor neunhundert Jahren zunächst ein unscheinbares Klosterleben als Ordensfrau, im typischen Wechsel von ora et labora, Gebet und Arbeit.
Philippa Rath: "Dann hat sie einen Ruf empfangen: Schreibe auf, was Du siehst und hörst!"
"Es geschah im Jahre 1142 nach der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus, als ich 42 Jahre und sieben Monate alt war. Die Visionen empfing ich nicht im Traum, nicht im Schlaf oder in Geistesverwirrung, nicht durch die leiblichen Augen oder die äußeren menschlichen Ohren, auch nicht an abgelegenen Orten, sondern ich erhielt sie in wachem Zustand, bei klarem Verstand, durch die Augen und Ohren des inneren Menschen."
Philippa Rath: "Vision - das Wort schon alleine kommt aus dem Lateinischen videre, sehen. Hildegard war eine Frau, die tiefer sah und die Zusammenhänge sah, die vielleicht andere nicht so gesehen haben. Ich bin der Meinung, dass die Vision die Frucht ihres geistlichen Lebens ist."
Eine andere plausible Erklärung: Hildegards Visionen sind literarischer Topos und kirchenpolitischer Trick.
Philippa Rath: "Frauen durften im 12. Jahrhundert keine theologischen Traktate schreiben. Das war undenkbar. Was machte also eine Frau, die eine Glaubenslehre verfassen wollte? Sie, etwas salopp ausgedrückt, packte das Ganze in die Form einer Vision."
Die Heilige Schrift und die Ordensregel des Heiligen Benedikt sind die wichtigsten Quellen für Hildegards theologische Hauptwerke. Es sind drei:
Das erste enthält eine Glaubenslehre und heißt "liber scivias", zu deutsch etwa: Wisse die Wege, die Wege Gottes mit den Menschen. 26 Visionen verdeutlichen: Welt-, Menschen- und Gottesbild sind untrennbar miteinander verwoben.
Philippa Rath: "Das zweite wichtige Hauptwerk, liber vitae meritorum, das Buch der Lebensverdienste, ist eigentlich, um mit unseren heutigen Begriffen zu sprechen, eine Moraltheologie, eine praktische Ethik."
Das dritte Werk, liber divinorum operum, enthält Hildegards kosmologische Theologie. Der deutsche Titel "Welt und Mensch" deutet den Kerngedanken an:
Philippa Rath: "Der Mensch ist der Mikrokosmos, der in Entsprechung zum Makrokosmos, zu den kosmischen Gegebenheiten des Universums erschaffen ist und auch lebt."
Die alten Handschriften von Hildegards Texten beinhalten zahlreiche Illustrationen. Diese Miniaturen machen Hildegards theologische Sichtweisen augenfällig – etwa ihre Vision zum Thema Caritas, zu deutsch: Liebe.
Philippa Rath: "Es gibt eine Miniatur, wo die Liebe Gottes auf der Weltachse sitzt und die schwankt. Und diese Liebe muss immer wieder neu das Leben austarieren. Jeder weiß es aus seinem eigenen Leben: Wenn die Liebe zur Arbeit überdimensioniert wird, gerät mein Leben aus den Fugen."
Schwester Philippa Rath. Hildegard entwirft keine neue, keine revolutionäre Theologie. Aber sie setzt Akzente.
"Von der Tiefe bis hoch zu den Sternen
überflutet die Liebe das All,
sie ist liebend zugetan allem,
da dem König, dem höchsten,
sie den Friedensgruß gab."
Philippa Rath: "Wichtig ist ein Kerngedanke Hildegards: Die Schöpfung ist allein aus Liebe entstanden."
Allein aus Liebe. Dieser Grundgedanke durchzieht die gesamte Theologie Hildegards. Allein aus Liebe, so betont Hildegard, wird Gott Mensch. Allein aus Liebe geschieht Erlösung, nicht um der Sühne willen.
Philippa Rath: "Allein aus Gnade, allein aus Liebe. Aber sie betont eben nicht diesen Schuldcharakter, sondern sie betont den Liebescharakter."
Das ermöglicht heutigen Menschen einen Zugang zu Hildegards Theologie ebenso wie ein besseres Verständnis christlicher Erlösung.
Philippa Rath: "Denn von Schuld haben die Menschen lang genug gehört, aber die Liebe Gottes ist einfach unterbetont worden, sag ich mal."
Noch zu Lebzeiten wird Hildegard von Bingen berühmt und verehrt. Eine wahre Hildegard-Renaissance setzt im 20. Jahrhundert ein. Anlässlich des 800. Todestages im Jahre 1979 bittet die Deutsche Bischofskonferenz in Rom um Anerkennung Hildegards als "Kirchenlehrerin". Mit diesem seltenen Titel zeichnet man in der katholischen Kirche besondere Theologen und Theologinnen aus.
Philippa Rath: "Und dann kam die interessante Antwort: Wir können sie nicht zur Kirchenlehrerin erklären, weil sie noch gar nicht heilig gesprochen ist. Da dreht sich die Sache natürlich im Kreis. Und daran zeigt sich auch, dass einfach der Wille nicht da ist. Ich denke Hildegard ist eine vom Volk heilig gesprochene Frau und es bedarf eigentlich dieses Titels nicht; obwohl von ihrem Werk her wäre es durchaus gerechtfertigt."