„Von der Hand in den Mund – wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“: Das ist das Thema der Deutschlandradio-Denkfabrik 2022. Das ganze Jahr über beschäftigen wir uns in Reportagen, Berichten, Diskussionen und Interviews mit der Lage der Arbeitswelt in Deutschland. Die einzelnen Beiträge sind unter Denkfabrik Deutschlandradio nachzuhören und nachzulesen.
Alleinerziehender Vater
In Teilen von Berlin-Hellersdorf gibt es die höhste Quote an Arbeitslosen in der deutschen Hauptstadt. © picture alliance / dpa / Kitty Kleist-Heinrich TSP
Rund um die Uhr auf Trab
05:02 Minuten
Alleinerziehende haben es oft schwer. Der Vater Rene Haase bewältigt den Alltag mit seiner großen Patchworkfamilie und hat gerade eine Quarantänezeit überstanden. Gerne möchte er wieder arbeiten und seinen Kindern ein gutes Vorbild sein.
Ein ganz normaler Morgen bei Familie Haase zwischen Weihnachten und Silvester: "Um sechs Uhr aufgestanden, dann trinke ich erstmal meinen Kaffee. Geschirrspüler ist schon einmal fertig. Waschmaschine läuft. Wir müssen jetzt noch Einkäufe erledigen. Mittagessen? - Da habe ich noch keinen Plan. Dann muss ich noch zum PCR-Test", schildert der Vater Rene Haase seinen Start in den Tag.
Große Patchworkfamilie
Jane, Denni, Conner und Aaron sind zwischen acht und zwölf Jahren alt und fläzen sich noch etwas verschlafen auf dem großen Sofa. Conni ist bereits erwachsen und hat gerade die zweite Kanne Kaffee gekocht, die anderen beiden Großen haben heute bei Freunden übernachtet.
Normalerweise sei die Patchworkfamilie zu acht, sagt Vater Haase: "Ich bin gekommen mit vieren, da ist Conni die jüngste davon. Meine Frau kam mit dreien, da ist Leann die mittelste. Hier wohnen tun jetzt nur noch Leann, von meiner Frau der Älteste, der ist jetzt 20, Conni, und die vier gemeinsamen."
Zwei Wochen Quarantäne
Seine Frau hat die Familie vor knapp zwei Jahren verlassen, seitdem ist der Vater mit den Kindern alleine. Haase ist Mitte 50. Er ist schlank und durchtrainiert, ein Kämpfertyp. Aber jetzt sieht er müde aus. Gerade erst haben alle zwei Wochen Quarantäne hinter sich, weil Denni sich auf einer Klassenfahrt mit Corona infiziert hatte.
"Es ist schon anstrengend, die ganze Zeit in der Bude zu hocken", sagt der Junge. "Wir gucken Fernsehen, aber ich habe dann noch ab und zu mal mit meinen Spielsachen gespielt." Weihnachten sei es dann besser geworden, weil vier der Kinder einen Computer bekommen hätten.
Ohne PC seien seine Kinder zu Corona-Zeiten in der Schule chancenlos, sagt Haase. Er war früher Lkw-Fahrer und Gerüstbauer. Bis zum Sommer ging er abends, wenn die Kinder im Bett waren, noch putzen, in einem Kindergarten in der Nähe. Dann kam der Schlaganfall. Seitdem ist der Vater krankgeschrieben. Die Familie bekommt ergänzend Hartz-IV, die 180 Quadratmeter große Wohnung in Berlin-Hellersdorf zahlt das Jobcenter. Die Räume sind groß, aber je ein eigenes Zimmer haben die Kinder nicht.
Für die PCs gab es kein Extra-Geld vom Jobcenter. Haase klingt deshalb ein wenig bitter: War ja zugesagt, dass man beim Arbeitsamt Gelder beantragen kann, wurde mir abgelehnt, weil ich keinen Kostenvoranschlag abgegeben habe." Er habe deshalb auf Erspartes zurückgegriffen.
Mühselige Schulerfolge
Eigentlich könnten die Kinder in der Schule schon weiter sein, aber dann kam Corona. Conner ist in der dritten Klasse, Jane in der zweiten. Sie rutscht ein bisschen verlegen auf dem Sofa hin und her.
Aber nun hätten sie aufgeholt, meint der Vater und ist ein bisschen stolz. Die 17-jährige Leann will Abitur machen und Erzieherin werden, einer der großen Söhne ist Straßenbauer, der andere Umzugsfachkraft und Küchenbauer. Conni hatte Friseurin gelernt. Weil der Salon wegen Corona schlecht lief, ist sie momentan arbeitslos.
Die Geschwister helfen mit
Vielleicht will sie Tischlerin werden, vielleicht auch irgendwas mit IT. Bis es soweit ist, hilft sie zu Hause mit: Putzen, Wäsche und gemeinsam mit ihrer Schwester Leann bei den Hausaufgaben der jüngeren Geschwister. Weil der Vater kein Englisch gelernt habe, übernehmen die Geschwister das. Aber darauf hat Conner zumindest heute Morgen keine Lust. Er hat genug, steht auf und will jetzt rausgehen zum Fußballspielen: "Er ist einer von denjenigen, der noch gerne rausgeht", sagt der Vater.
Wenn Ausgaben Sorgen machen
Der zwölfjährige Denni ist von Geburt an leicht geistig behindert. Demnächst braucht er ein Fahrrad mit stabilen Stützrädern, weil er schnell das Gleichgewicht verliert - wieder eine dieser Ausgaben, die Rene Haase Sorgen bereitet, aber aufgeben gibt es nicht: "Da gibt es diese Läden, wo man günstiger einkaufen kann, direkter Lagerkauf." Das nutze er. "Aber da muss man am Ball bleiben, sonst - wenn mal eine Waschmaschine kaputt geht - reißt das gleich ein Loch in die Sparbüchse."
Blick in die Zukunft
Auch deshalb möchte Haase bald wieder fit sein, um wieder arbeiten zu gehen. "Ich sehe da eine extreme Vorbildfunktion für die Kinder", sagt er. "Papa kluckt den ganzen Tag zu Hause, dann werden die ihr Leben auch so gestalten." Stattdessen sollten die Kinder sehen, dass er rausgehe und unter Leute komme.
"Dass die sehen: Wenn man sich etwas leisten will, dann muss man arbeiten, das möchte ich ihnen schon mit auf den Weg geben. Ist natürlich bequemer, Hartz IV zu kassieren, zu Hause zu sitzen, aber das ist nicht die Erfüllung."