Allen alles werden

Von Kathrin Messerschmidt |
Am 21. Juni hatte im Bergtheater Thale, eines der ältesten Freilichttheater in Deutschland, am Nordrand des Harzes ein Theaterprojekt der ungewöhnlichen Art Premiere. Schauspieler, Laiendarsteller, Kirchenmusiker und Chöre aus der Region führten dort das Stück "Paulus – allen alles werden" auf, das die Lebensstationen des Apostels Paulus zeigt. Es war der Höhepunkt des ökumensichen Kirchentages, den die Kirchen aus dem Kirchenkreis Halberstadt und der Region des Landkreises Harz veranstaltet haben.
Saulus wird zum Paulus, auf dem Hexentanzplatz unter freiem Himmel im Harzer Bergtheater. Es ist das erste Mal, dass ein kirchliches Theaterprojekt hier aufgeführt wird. Pfarrerin Meckel von der evangelischen Kirchengemeinde Thale über das Paulus-Experiment:

" Ich hatte die Idee, wenn wir in Thale einen Kreiskirchentag machen, dann müssen wir den Berg hier oben miteinbeziehen, also weil für mich der Hexentanzplatz und vor allem das Bergtheater unbedingt dazu gehören. Und dann kamen die Kirchenmusiker, sie haben schon mal zusammengearbeitet mit Schauspielern aus Leipzig, mit der Theaterkompanie, und das sei ne tolle Sache und das würden se gern wiedermachen. Ja, und dann hat eine Projektgruppe, die Leitungsgruppe entschieden, wir nehmen den Paulus. "

Es spielen mit: 35 Laiendarsteller und -darstellerinnen, 180 Laiensänger und -sängerinnen aus 32 Chören und 35 Posaunisten aus verschiedenen Bläserchören. Auch Pfarrerin Meckel steht auf der Bühne.

Aus der Premiere:
Wer seid ihr?- Apostel aus Jerusalem.- Barnabas und Paulus.- Paulus? Saulus!- Stimmt, Saulus, und mein Zweitname lautet: Paulus.- Dein Zweitname? Sein Zweit-Name! Sergius Paulus, man höre und staune!

Paulus-Darsteller Jürgen Fliegel, Theaterkompanie Leipzig: " Is ja n tpyischer Wendehals, der lässt da gar keinen Zweifel auch von seinen Mitmenschen zu. Das, was das Stück auch so n bißchen rauskristallisiert, ist, dass der Paulus auch schon mit Ellenbogen arbeitet. Auf alle Fälle sind das ja die dramatischen Elemente, die so ne Figur einfach fleischlich macht. Da hat man was zu spielen, wenn der nur lieb und fromm ist, was will man da spielen, das ist ja völlig undramatisch, kann man gar nicht uf de Bühne bringen."

Paulus im Stück: Obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette.

Jürgen Fliegel von der Theaterkompanie Leipzig spielt den Paulus. Er und sein Schauspielkollege Alexander Fabisch haben die Aufgabe, die 250 Mitwirkenden in nur sechs Proben aufführungsreif zusammenzubringen. Konzept ist: geringer Aufwand, einfache Mittel, großer Effekt. Die Naturbühne des Bergtheaters mit dem weiten Blick ins Land ist das Bühnenbild.

Horst Flechsig, Regisseur und Theaterwissenschaftler, hat den Text geschrieben: " Der Figur hab ich mich über seine Reisen genähert, wie is er gefahren, die Karten mal verfolgt und an welcher Stelle hat er welchen Brief geschrieben, und das sind Briefe, die unmittelbar aus einer Situation heraus an eine Gemeinde geschrieben werden. Und dadurch erfährt man live, also die früheste Stimme des Christentums, Paulus in seinen Briefen./ Es geht um den Auseinandersetzungsprozeß in den frühen Gemeinden, also das war nicht so: Jesus ist an Kreuz geschlagen worden, dann kam der Heilige Geist zu Pfingsten und dann wart er alle fromm. "

Hans-Martin Fuhrmann: " Das Interessante ist, dass Texte aus der Bibel, die man sonst nur gelesen hat, dass die plötzlich ein Gesicht bekommen, auch durch die Schauspieler, das wird viel lebendiger. "

Der Kirchenmusiker Hans Martin Fuhrmann hat zusammen mit seinem Kollegen Gottfried Biller die Musik ausgewählt und komponiert. Fuhrmann dirigiert oben in den Rängen die Bläser, Biller unten auf der Bühne den Chor.

Gottfried Biller: " Die Musik unterstützt an bestimmten Stellen die Handlung und der Chor hat eine Begleitfunktion, einmal sängerisch, da haben wir uns an verschiedene alte Meister gehalten, Mendelssohn und Anonyme, und zum Teil sind auch Sachen neu entstanden. Es ist direkt komponiert worden, z.B. die Fanfare ist komponiert worden, die ganzen Sprechtexte, die die Chöre sprechen, sind komponiert worden, das sind ja die Laien gewöhnt, sie sind dann wirklich dabei und sagen, jetzt geb ich mein Bestes. "

Die Laiendarsteller und – darstellerinnen gehören zu den umliegenden Kirchengemeinden. Sie sind Werkzeugmacher, Waldarbeiter, Handwerker, Angestellte, Kirchenmitarbeiter und Arbeitslose.

Zur Generalprobe sind alle Mitspieler das erste Mal vollzählig versammelt. Doch die Truppe ist gelassen. Kinder tollen herum. Einige Darsteller spazieren noch kurz vor der Aufführung über die Bühne, winken Familienmitgliedern und Freunden im Zuschauerraum.
Gottfried Bürger: " Ich spiel den Lahmen, einen römischen Hauptmann mit Namen Kornelius, einen Ankläger und einen Kaufmann. Ja, das macht Spaß. "

Harmut Bick: " Ich bin in diesem Stück der Ananias, der den Saulus ins Haus bittet und von Gott dafür gebraucht wird, dass er von seiner Blindheit geheilt wird. "

Benjamin Erhardt: " Also ich habe einmal den Stephanus gespielt am Anfang und dann im zweiten Teil den Silas. "

Gottfried Heimrich: " Ich hatte n Hohen Priester, dann war ich Bruder, ein Konservativer, der den Paulus, den Petrus, eigentlich abhalten wollte von dem neuen Weg, und dann war ich noch Händler, hab die Diana verkauft. Wenn dann Pannen sind, wird drüber gelacht, und einer hilft dem andern, fast wie beim Fußball, also wenn die Mannschaft zusammen steht, dann kann man gewinnen. Wir waren ne gute Mannschaft. "

Das Wetter hat mitgespielt. Aus dem Dauerregen der Nacht und des Vormittags wird während der Premiere strahlender Sonnenschein. Der Paulus auf dem Berg ist geistliches Spiel, in dem sich professionelle Schauspielkunst und Laienspieltradition verbindet, um Spieler und Zuschauer zu unterhalten.

Zuschauerreaktionen:
" Mann: Wir fanden´s spitze.
Junges Mädchen: Ja, mir hat das auch sehr gut gefallen. Ich hätt nicht gedacht, dass man das als Laienschauspieler so gut auf die Bühne kriegen kann. Und das ist ja nicht einfach hier, das ist ja kein geschlossener Raum. Auch von der Geschichte her, super.
Frau: Also ich bin eigentlich zufällig da, also ich denk schon, dieses Sich-anders-Besinnen-Lernen, das ist schon ganz wichtig.
Mann: Inhaltlich hat mir das ganz toll gefallen, insbesondere weil hier Profis und Laien so viel rübergebracht haben. Und zum anderen muß ich auch sagen, dass mir das Stück auch in Bezug auf die Wiedervereinigung Einiges gegeben hat, und vieles paßt auch in die heutige Zeit hinein. Und grade wenn ich auch so zwischen Ost und West spreche und denke, erlebte man auch Auseinandersetzungen zwischen Menschen, und das wurde in diesem Stück gezeigt, aber auch gelöst. "

Paulus: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Weib, denn ihr seid allzumal einer in Christus Jesus. Seid ihr aber Christus, so seid ihr Abrahams Kinder und werdet der Verheißung Erben. Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte."