So kleine Pollen, so viel Heuschnupfen
Zu Beginn der Pollensaison ist es die Birke, die für Augenjucken, Niesreiz und Atembeschwerden sorgt. Berliner Forscher sind an 16 Messpunkten der Stadt unterwegs, um die Belastung für Allergiker vorherzusagen.
"Allergien sind die häufigste chronische Erkrankung, die wir überhaupt in Deutschland, in Europa haben."
Thorsten Zuberbier, Leiter der Haut und Allergieambulanz an der Charité in Berlin.
Nach Schätzungen von Ärzten leidet heute jeder fünfte Bundesbürger unter Heuschnupfen.
Jetzt zu Beginn der Pollensaison ist es die Birke, die für Augenjucken, Niesreiz und Atembeschwerden sorgt. Birke ist der größte Allergieauslöser. 70 Prozent aller Heuschnupfen-Geplagten leiden unter Birkenpollen. Dazu verursachen noch Hasel, Erle, Gräser, Beifuß und seit 2006 die aus den USA stammende Pflanze Ambrosia Beschwerden.
Eine EU-weite Berechnung schätzt die volkswirtschaftlichen Einbußen durch Heuschnupfen auf über 100 Milliarden Euro. Arbeitsausfälle, Unkonzentriertheit und Fehler, auch schlechte Noten bei Schülern und Studenten und neun Prozent der Autounfälle gehen auf das Konto von Heuschnupfen.
Die Pollenfalle dreht sich im Wind
Mit Pollen-Zählungen versuchen Wissenschaftler schon seit 30 Jahren, die Risiken der Belastung für Allergiker vorherzusagen.
Thomas Dümmel: "Das ist die Pollenfalle, das ist quasi wie ein Staubsauger, der Luft ansaugt über eine kleine Öffnung und diese Öffnung wird durch dieses Segel immer in Windrichtung gehalten, damit der transportierte Wind und die Pollen direkt auf die Ansaugöffnung kommen."
Auf dem Flachdach eines vierstöckigen Nebengebäudes des Instituts für Meteorologie der Freien Universität Berlin stehen Thomas Dümmel, Meteorologe und Mitarbeiter Frank Junghans. Bei bestem Frühlingswetter wechseln die Forscher die Messrolle der knapp kniehohen Pollenfalle, deren Segel aus Metall sich mit dem Wind dreht.
Dreimal in der Woche klettern sie in der Zeit von Februar bis November aufs Dach. Die Ausbeute ist ein daumenbreiter durchsichtiger Klebestreifen. Auf ihm klebt, was bei Millionen Bundesbürgern zu Niesreiz, Husten und juckenden Augen führt.
Frank Junghans: "Hier habe ich jetzt mal ein Beispiel, ein sehr schönes Beispiel für eine Birke ... unscheinbar, dass dieses Kleine jetzt so gefährlich ist für viele Leute, also. Aber ist schon mehr drin, es ist jetzt schon mehr als die letzten Tage."
Frank Junghans guckt durchs Mikroskop im Labor und zählt, wie viele Pollen in den vergangenen Tagen aus dem Südwesten Berlins auf dem kleinen Klebestreifen hängengeblieben sind:
"41 Stück habe ich jetzt für Samstag gehabt."
Die Birkenpolle unter dem Mikroskop sieht aus wie ein nettes, kleines kugeliges Bläschen. Sie ist der Top-Favorit.
"Birkenpollen nehmen in Deutschland seit den letzten 10 bis 15 Jahren an Menge zu."
... weiß auch Karl-Christian Bergmann, Lungenarzt an der Charité und Vorsitzender des deutschen Pollendienstes, zu berichten.
Denn in Städten werden bevorzugt Birken gepflanzt. Das können die Wissenschaftler auch auf ihren Messstreifen sehen.
Thomas Dümmel: "Dementsprechend haben wir da Höchstwerte schon gemessen von über 10.000 Pollen pro Kubikmeter Luft. Soviel bringt keine andere Pflanze."
Orales Syndrom breitet sich aus
Die Pollenbelastung ist je nach Standort allerdings sehr unterschiedlich. Forscher der Charité haben ein Jahr lang 16 Pollenfallen in der ganzen Stadt verteilt und gemessen. Die höchsten Konzentrationen waren in den Außenbezirken zu verzeichnen. Im Zentrum wurden gerade mal halb so viele Pollen gemessen. Kurz: Je mehr Beton, desto weniger Pollen.
Karl-Christian Bergmann: "Jeder zweite dieser Patienten, die auf Baumpollen reagieren, hat dann auch eine Allergie gegen Kern und Steinobst. Dieses orale Allergiesyndrom hat sich enorm ausgebreitet, ohne dass wir wissen warum. Vor zehn Jahren waren zehn Prozent der Heuschnupfen Patienten betroffen, heute sind es 60 Prozent."
Besonders grüne Äpfel und neu gezüchtete Sorten wie der aus den USA importierte Golden Delicious zeigen die stärksten Symptome, sagt der Arzt Karl-Christian Bergmann. Dagegen bereiten ältere und heimische Sorten Allergikern kaum bis wenig Probleme.
Es sind wirtschaftliche Interessen und der weltweite Handel, die die steigende Allergiker-Zahlen beeinflussen.
Die Ambrosia-Pflanze – sie blüht ab Mitte Juli und wird seit 2006 von den Pollenstationen gemessen – ist dafür ein passendes, wenn auch im eigentlichen Wort-Sinn kein gutes Beispiel.
"Die Pflanze hat sehr viel stärkere Allergene als alle heimische Pflanzen zusammen. Da reichen schon 5 Pollenkörner pro Kubikmeter Luft."
... betont Meteorologe Thomas Dümmel.
Der Klimawandel hilft der Ambrosia
Ambrosia-Samen wanderten vor 50 bis 100 Jahren mit Getreide, Klee- und Vogelfutterlieferungen aus den Staaten nach Europa. Besonders stark sind sie in Ungarn verbreitet. Dort leidet heute fast jeder zweite in der Bevölkerung unter einer Allergie gegen das wuchernde bis zu 1,50 Meter hohe Kraut. Und auch in Deutschland gibt es Ambrosia-Allergiker, wenn auch bislang eher wenige.
Karl-Christian Bergmann: "Eine Polle muss etwa drei Jahre in der Region sein und eingeatmet werden, damit man die ersten Antikörper entwickelt, und dann braucht man noch mal drei bis fünf Jahre, bis die Erkrankungen eintreten. Das heißt, wenn wir eine neue Pflanzenart haben, dann braucht es acht bis zehn Jahre, um nennenswerte Häufigkeiten von der Erkrankungen zu haben."
Der Klimawandel schafft dafür ideale Bedingungen. Denn: Je wärmer und feuchter der Sommer, desto besser verbreitet sich die Pflanze. In Deutschland wird die Ambrosia in vielen Regionen bislang gezielt ausgerissen.
Thomas Dümmel: "Plötzlich finden wir eine zweite Art, die mehrjährige Ambrosia. Die Pflanze ist hauptsächlich auf Brachflächen und in Neubaugebieten, wo also neue Infrastruktur angelegt wurde, Straßen gebaut wurden."
Über Erdtransporte für Baustellen – besonders im Osten Deutschlands – breitet sich die neue Ambrosia-Art aus. Sie nutzt ihre Wurzeln zur Vermehrung und ist nur schwer zu beseitigen. Im Aussehen und in ihrer Wirkung unterscheidet sie sich kam von der bereits bekannten Art und könnte in einigen Jahren für Allergiker werden zum Thema werden.