Allerlei in Leipzigs Schrebergärten
Leipzig gilt als die heimliche Hauptstadt der Schrebergärten. Auf jeden vierten Einwohner kommt hier eine Parzelle. Meist um die 200 qm groß, mit Laube, Gartenzaun und Gartenzwerg – und Kleingartenordnung. Für die einen sind sie der Inbegriff des Spießbürgertums, für die anderen die einzig wahre Erholungsoase: idyllisch, niedlich, klein.
„Es gibt Gesetze, und die müssen eingehalten werden. Wir sind nu nich engstirnig oder was, aber das Grundprinzip der Kleingartenordnung muss eingehalten werden.“
„Wer nen Garten haben möchte, der muss erstmal Mitglied im Kleingartenverein werden. Ohne Mitglied im Kleingartenverein, gibt´s keinen Garten.“
„Es heißt ja im Bundesdeutschen Kleingartengesetz: ein Drittel Wiese, ein Drittel anbauen, den Rest Blumen – und Tod und Teufel – na gut.“
Zum Glück ist Klaus Franke, Vorstandsvorsitzender des Kleingartenvereins „Dr. Schreber“ nicht engstirnig.
„In erster Linie: es soll Nutzgarten und Erholungsgarten sein. So nü sagt man ja immer: ja güt, wie viel Erholung brauche ich denn?“
Klaus Franke sieht erholt aus. Braungebrannt, Haare, die so kurz geschoren sind wie englischer Rasen. Er trägt eine sportliche Sonnenbrille und die Verantwortung für den Kleingartenverein: „Dr. Schreber“ in Leipzig. Der liegt mitten in der Leipziger Innenstadt. Er ist stolz, wenn er Besucher durch diese grüne Oase, das Gartenreich am „Waldplatz“ führt:
„… ich sage immer wieder: Unsere Anlage ist gepflegt. Und immer wenn jemand kommt vom Grünflächenamt ... wir haben ne schöne Anlage.“
Wer die Anlage des Kleingartenvereins betritt, passiert ein großes, braunes Holztor. Rechts vom Eingang hat der Wirt der Gaststätte, die gleichzeitig auch das Vereinshaus ist, einen Biergarten aufgebaut. An Tagen wie heute, wenn die Sonne scheint, sind sämtliche Tische besetzt.
Für einen kurzen Plausch hat der Vorstandsvorsitzende immer Zeit. Schließlich hat man mit den Gartenfreunden gestern abend noch gemütlich beim Bier zusammen gesessen. Dass die am späten Abend den Weg nicht mehr nach Hause gefunden, sondern in ihrer Laube übernachtet haben – ist das bei „Dr. Schreber“ erlaubt?
„Also bei uns Ja. Im Westen ist das eigentlich nach Bundesdeutschem Kleingartengesetz nicht gestattet. Aber bei uns gabs da nie Probleme. Sie dürfen Ihren Garten nicht als ständigen Wohnsitz machen. Das bedeutet also, ich darf hier kein Telefon hinlegen und keinen Briefkasten uffstellen.“
Briefkästen sieht man also keine an den Zäunen der Schrebergärten hängen. Dafür hängen hier und da die Äste übern Zaun …
„Nü der ist bestimmt in Urlaub. Der hat seine Hecke noch nicht geschnitten. Das sind alles solche Dinge die wir eigentlich dann monieren und dann auch anschreiben …“
So wie den Pächter des Gartens Nr. 155. Herrn Wolf. Und da hängen nicht nur die Äste über den Zaun:
„Darunter is ne Laube wollte ich Ihnen nur sagen. Da sieht's aus … im Urwald. Er ist aber der Meinung, es ist ein ökologischer Garten. Naja, aber unter Ökö-Garten, da verstehe ich was anderes. Irgendwann werden wir wohl doch zu der Maßnahme greifen und ihm kündigen.“
So oft haben sie ihn angeschrieben, den „Öko-Gärtner“. Aber Herr Wolf schert sich nicht drum. Wie kann ein einzelner sich so gegen das Gemeinwesen stellen? Individuelle Vorlieben ausleben, wo es doch um die Ordnung des Garten-Ganzen geht? Klaus Franke schüttelt den Kopf.
„Aah, Probleme gibt’s schon. Ich meine, es is nich alles so Friede, Freude, Eierkuchen. Probleme wird’s auch immer geben.“
Aber nicht mit Silvia Kind. Ihr Garten liegt im Oberland der Anlage – in der Mitte, umgeben von jeweils zwei weiteren Gärten links und rechts. Sie ist Frankes Stellvertreterin im Vorstand. Und als wahre Gartenfreundin hält sie sich an die Kleingartenordnung – mit Leidenschaft:
„Erstmal hab ich Bäume ne Menge: Sauerkirschbäume, Süßkirschbäumchen, eine Pflaume, Apfel, Nashibaum. Dann habe ich schwarze Johannisbeeren. Ach so – Aprikose hab ich neu gepflanzt und hier habe ich Pfirsich neu gepflanzt. Wolln wa mal schauen ob das was wird.“
Das Sortiment von Frau Kind ist groß:
„Da hinten sind Himbeeren, is auch was zum Naschen. Alles eigentlich zum Naschen. Heidelbeeren. Kulturheidelbeeren. Naja, und so was, was eigentlich immer wieder kommt: Stauden, die winterhart sind. N´kleinen Fischteich ham war auch.“
Dabei misst ihr Garten gerade einmal knapp 200 qm. Rechts steht die Laube, vorschriftsgemäß nicht größer als 24qm.
„Na ja, ich will ma so sagen: Ich hab ihn extra nich so groß, damit ich nicht so viel Arbeit habe. Es muss schon ein bisschen mit Kaffeestunde sein. Aber man hat immer mal wieder zu tun … also wenn man will, kann man sich immer wieder schaffen.“
Und so versteckt sich unter der von wildem Wein bewachsenen Pergola sogar ein kleines Stück Rasenfläche – samt Hollywoodschaukel:
„Das ist Relax-Eck. Das ist wunderbar. Also das ist das beste Stück im Garten.“
Für die freundliche Rentnerin mit den blonden, kurzen Haaren und ihren Mann ist der Garten ein Zufluchtsort:
„Wenn man nen Garten hat, wenn man sich mal draußen ärgert – und geht in seinen Gadden, dann kann man das alles vergessen. Da ist das irgendwie dann weg.“
Und die strengen Regeln der Bundesdeutschen Kleingartenordnung hält man dafür gerne ein.
Eine Vorliebe für strenge Regeln war auch das Markenzeichen des Mannes, der 1808 in Leipzig geboren wurde: Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber. Dem verdankt nicht nur die Kleingartenanlage, sondern eine ganze Bewegung ihren Namen:
„Schreber war Orthopäde, Arzt – in Leipzig. Und er hat immer in seinen Schriften gefordert: dass die Kinder in die Natur sollen. Sich sportlich betätigen sollen.“
Von Kleingärten war bei Schreber nie die Rede. Er wollte nur eine Gegenwelt zur rußig-grauen Realität der Großstädte schaffen. „Denn nur wer aufrecht geht, ist geraden Sinnes“ – dachte der Orthopäde, der alles Schwächliche ausmerzen und alles Weichliche härten wollte. Eine Denkweise, die ein knappes Jahrhundert später bei den Nationalsozialisten wieder auftauchte.
„So, und Schreber ist ja 1861 schon verstorben. Und die Idee hat der Hausschild, Direktor der 5. Bürgerschule in Leipzig aufgegriffen.“
Der Schuldirektor Ernst Hausschild gründete 1864 den ersten deutschen Schreberverein. Mitten in Leipzig. Da spielte der „Garten“ als solcher noch gar keine Rolle. Vielmehr war das ein Spielplatz, von Beeten eingefasst, in dem die Kinder sich mit Pflanzen beschäftigen sollten. Doch das Interesse der Kleinen flachte schnell ab, die Eltern kümmerten sich um die Beete – und aus den Schrebervereinen wurden Vereine von Gartenbesitzern: Die Lauben auf ihre Parzelle stellten und Zäune um sie zogen. Und so entstand auf den Leipziger Fleischerwiesen der erste Kleingartenverein Deutschlands. Da, wo Klaus Franke heute 1. Vorstandsvorsitzender ist. Wie Hausschild auf den Namen kam?
„N Kaiser wollten se nich, en König wollten se nich. Eenen von der Stadt wollten se ooch nicht – weil das hätte dann ja eigentlich Folgen haben können – also hat er vorgeschlagen, den Verein „SCHREBERVEREIN“ zu nennen.“
Jonathan klettert auch manchmal auf Nachbars Baum, denn Jonathan liebt Kirschen. Aber der siebenjährige darf das auch, Schließlich hat Frau Hohner, die nette Gartenfreundin von links, ihn ja dazu eingeladen. Jonathan nascht gerne. Aber noch lieber pflanzt er an – und:
„Ich freu mich immer, wenn wir dann ernten. Weil so frisches Gemüse schmeckt mir auch gut. Z.B. bei Kohlrabi. Früher, als wir den Garten noch nicht hatten, da hatten wir das nämlich immer eingekauft, und da hat mir das nicht so gut geschmeckt, als wie es jetzt frisch hier ist. Deshalb war ich auch ganz traurig, als der Kohlrabi alle war …“
Jonathan gärtnert in Garten Nr. 100.
„Ich pflanze Sachen ein – z.B. Erdbeeren oder Kürbis. Meine Lieblingspflanze ist Blumenkohl.“
Blumenkohl? Ist der was geworden in seinem Garten?
„Na ja Blumenkohl ist nicht so gut, und den möchte ich dann nächstes Jahr noch mal anpflanzen.“
Scheint, als ob da jemand die Leidenschaft des Gärtnerns für sich entdeckt hat …
Jonathans Mutter, Maria Fasshauer, trägt die 8 Monate alte Johanna auf dem Arm und hört stolz zu, wie ihr kleiner Profi-Gärtner dem Laien seinen Anbau erklärt:
„Na, so bald werden dann die Kartoffeln kommen, denke ich mal. Die sind nämlich schon ganz groß. Mit den Bohnen dauert's noch ein bisschen, und das hier kann man ab und zu was nehmen, das kann man auch zum so essen… aber, das schmeckt dann nicht so gut, wenn man das so isst.“
Das „zum so essen“ sind Küchenkräuter. Die hat Jonathans Mutter eingepflanzt. Zum Kochen. Die junge Frau, Anfang 30, hat ihre blonden Haare zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen gebunden, an dem ihre Tochter kräftig zieht, wenn die Mutter ihr mal wieder nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.
Maria Fasshauer und ihr Mann sind Ärzte – und haben drei Kinder: Jonathan, die kleine Johanna und Bruder Jakob. Allein das ist schon eine Menge Arbeit. Dennoch haben sich die jungen Eltern letzten Oktober entschlossen, eine Parzelle im Kleingartenverein zu pachten:
„Also wir wohnen ganz in der Nähe, in der Innenstadt. Und sind schon immer recht viel hier auf der Schreberwiese gewesen zum Spielen. Der Spielplatz ist sehr schön. Und wir haben gesagt: Ach, das wäre doch ganz praktisch, wenn man das miteinander verbinden könnte, haben uns hier erkundigt. Und dann war just auch dieser Garten direkt an der Wiese hier frei und das hat uns dann überzeugt und dann haben wir gesagt, das machen wir …“
Junge Leute im Schrebergarten? Beete harken, Unkraut zupfen, Rasen mähen? Zwischen Fischteich und Laube auf Plastikstühlen sitzen, sich über Baumschnitt, Heckenschnitt und gärtnerischen Durchschnitt unterhalten? Und dann die strengen Regeln, an die man sich halten muss – alles manifestiert im Bundesdeutschen Kleingartengesetz. Wie spießig!
„Also ja gut. Mit dem Vorurteil muss man leben. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass vielen Freunden, denen wir das jetzt erzählen, die sagen erst mal: Schrebergarten? Und dann aber, wenn die uns hier besuchen, finden die das ganz toll! Und ich sag dann auch: Man ist immer ganz individuell. Auch mit dem wie man das hier gestaltet. Und die Regeln sind so strikt auch nicht. Also wenn man sie erstmal kennt …“
Steht da etwa ein Generationswechsel ins Haus? Wird aus „klein und spießig“ plötzlich „klein und spaßig“? Es stimmt. Der Trend geht hin zum Kleingarten. Die „grünen Wohnzimmer“ erleben derzeit eine Renaissance – und einen Imagewechsel: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Grüne liegt so nah? Meist direkt in der Nachbarschaft. Das sagen sich viele junge Leute. Nicht nur in Leipzig – auch in Berlin, Köln oder Hamburg.
Die Zahl der Menschen, für die das Gärtnern zur liebsten Freizeitbeschäftigung geworden ist, ist in den letzten fünf Jahren um zwölf Prozent gestiegen. Häufig sind das junge Eltern, die ihren Kindern die Natur nahe bringen wollen, und selbst Spaß an der Arbeit haben. Maria Fasshauer musste Jonathan und Jakob nicht lange überzeugen:
„Gut, wir machen hier eure Beete. Da könnt ihr mir sagen, was ihr wollt. Und da haben wir eben Zucchini und Tomaten, und der große hat eben seinen Blumenkohl probiert. Der kleinere hatte Kohlrabi angepflanzt. Die waren ganz lecker. Das waren eigentlich die besten, die ich je gegessen hatte. Dann haben wir noch Kartoffeln. Die Obstbäume standen ja schon drinne … Da haben wir nen Pfirsich, die Sauerkirsche und eben den Apfel.“
„Den müssen wir aber glaube ich abpflücken, Frau…sie haben die gleiche Sorte…die fallen nämlich jetzt schon runter. Ich hab aber mal reingebissen, mir waren die noch zu sauer. Aber wahrscheinlich kann man schönes Apfelmus machen ...
Apfelmuss, jaa. Is mehr ein Kochapfel, nich …“
Was wäre ein Garten ohne die netten Nachbarn, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.
„Wir machen gegenseitig dann schon einmal nen kleinen Ratschlag. So wie wirs machen, und so …“
Frau Hohner, die Nachbarin von links, aus Garten Nr. 100, ist zum Zaun gekommen. Sie lacht, als sie Jonathan mit seiner grünen Baseballmütze sieht. Klar, dass der Junge bei ihr die Kirschen pflückt. Und ganz klar – sie hat die junge Familie schon richtig ins Herz geschlossen. Und sie hat viele Kleingärtner kommen und gehen sehen:
„Ich habe meinen Garten schon lange. Aber durch die Schwiegereltern. Die hatten ihn erst – und dann waren wir auch immer schon mit dabei. Also, über 50 Jahre ist der jetzt im Besitz der Familie Hohner.“
Muss denn die junge Frau Fasshauer noch viel arbeiten, um eine gute Gärtnersfrau zu werden?
„Ach, die braucht nicht zu lernen. Sie macht das so prima. Also wenn ich das sehe – sogar Blumenkohl hat se angesetzt hier. Na, da muss dann vielleicht ein bissl mehr Dünger rein dann… und das wird sie dann auch machen.“
Man merkt, ihr kleines Reich hält die rüstige Rentnerin auf Trab. Kindergeschrei sei man gewohnt, wenn man seit 57 Jahren seinen Garten direkt am Kinderspielplatz mit der großen Wiese hat, sagt die Dame mit den dunkelbraunen, gut frisierten Haaren. Und voller Überzeugung:
„Ich sach, ich will doch nicht so abgekanzelt sein. Ich will doch noch am Leben teilhaben.“
Auch der Garten Nr. 100 von Frau Hohner besticht durch viele Gemüse- und Obstsorten: Neben dem Kirschbaum gibt´s auch hier Bohnen, Tomaten, Kartoffeln …
„Das muss ja alles in Ordnung gehalten werden. Das hat der große, der kleene – und die Ömi, die ham wir das alles schön zusammengeharkt, der hat das alles schön gemacht … ünd sö … nöjö …“
Der große und der Kleene, damit meint Frau Hohner ihre Enkel. Die sind schon 16 und 23 Jahre alt. Aber selbst in dem Alter kommen sie ab und zu in Omis Garten. Und auf Stichwort öffnet sich die Kleingartentür, und Frau Hohners Tochter betritt den Garten. Sie bringt ihrer Mutter einen Korb vorbei. Wird denn die Tradition des Hohnerschen Kleingartens weitergeführt, wenn die Omi mal nicht mehr kann?
„Also, ich bin damit groß geworden mit dem Gadden. Also ich möchte den auch weiter führen. Also das steht für mich klör, alsö … Ich wöhne hier in der Nöhe und ich möchte… alsö man hängt dran. Und auch meine Kinder. Wir hängen alle sehr an dem Gadden.“
Plötzlich kommt Kleingartenvereinsvorsitzender Klaus Franke vorbei. Er winkt, öffnet das Gartentor, und schon gerät man ins Erzählen.
Klar, dass er und die Familie Hohner bei der langen Zeit bei „Dr.Schreber“ so manche Erinnerung teilen.
An die guten alten Zeiten, da erinnert man sich gerne zurück. Damals, zu DDR-Zeiten. Da sei der Zusammenhalt größer gewesen als heute. Vieles war einfacher. Arbeitslosigkeit – die gabs damals nicht.
„Jö das wör damals so …“
erklärt Klaus Franke. Er hat sich einen Zettel über seinem Schreibtisch im Büro aufgehangen: „Such nicht nach dem Sinn des Lebens – gib ihm einen“, steht da.
„Was das für mich bedeutet, dass ich in diesem Verein Vorstandsvorsitzender bin: ene Ehre. Es ist für mich eine Ehre und gleichzeitig auch Verpflichtung.“
Und viel Arbeit. Franke hat seit vier Jahren keine Anstellung und mit Anfang 60, realistisch betrachtet, zu alt, als dass sich da noch einmal etwas ändern könnte. Aber arbeitslos, das ist er nicht.
Seit vier Jahren ist er nun Vorstandsvorsitzender. Und wenn ihn seine Mitglieder wiederwählen, dann macht er es auch weiter. Selbstverständlich. Wer sonst soll denn auch dafür sorgen, dass in der Kleingartenanlage „Dr. Schreber“ alles seine Ordnung hat?
„Es gibt ja auch Leute, die wollen sich erhölen. Die wollen ihren Mittagsschlaf machen. Da kann ich mich nicht an der Laube uffstellen und kann da rümklöppen.“
Erholen, Mittagsschlaf machen, nicht rumkloppen. Einfache Regeln, die einzuhalten sind. Genauso einfach wie die Liste der Pflanzen, die so gar nichts im Kleingarten zu suchen haben:
„Scheinzypresse, Scheinzypressenhecke, ene Weide, n Ahorn ene Zuckerhutfichte, en Wacholder und ne Tuja. Wacholder sowieso nicht, weil der giftig ist.“
Und das wird kontrolliert. Da ist Franke streng. Genauso in der Frage, ob freilaufende Katzen gefüttert werden dürfen … gerne von älteren Damen in der Anlage:
„Na, mein Miezchen wo biste denn … und dann macht die dann – hüpf – rüber … holt sich ihre Mahlzeit ab… und verschwindet wieder. Und bei uns ist das Katzenfüttern verböten. In der Kleingartenordnung steht: Untersagt. Wir haben daraus ein Verbot gemacht.“
Für seinen eigenen Kleingarten hat Klaus Franke wenig Zeit. Zwar baut er auch an: Tomaten, Bohnen…
„Na ünd der Knöblauch, viel Knöblauch. Das ist gesund …!“
… aber sein Garten steht in keiner Konkurrenz zu dem Kleinod an Gartenkunst von Monika und Peter Dorbert. Parzelle 103.
Akkurat geschnittene Sträucher und Hecken, bunt blühende Blumen, ein Gartentraum par exellence. Die Wege sind sternenförmig angelegt, laufen auf einen Brunnen zu: Ein „schnödes Plastefass mit Holz verkleidet“ – aber, das erkennt keiner. War da etwa ein Landschaftsarchitekt am Werk?
„Nöjö, das kömmt aus dem Bauch hinaus… mein Mann.. also wir hatten den Gadden schon ... so oft anders gehabt. Da waren erst Bäume, und dann mussten die raus. Und dann hatten wir lauter Sonne, und da hat er dann die Pergola gebaut …“
Und an der Pergola wächst eine Kiwi. Eine Kiwi? Mitten in Deutschland?
„Sieben Jahre braucht man Zeit, und dann kommt noch was schönes hinzu: Gärtner haben ja Nachbarn. Man lebt ja nicht auf ner Insel. Und dort, wo Menschen zusammen sind, hat man Sticheleien, Zickereien … Freude…Mein Schwiegersohn z.B. hatte ein Jahr eher die Kiwi. Seine gedeiht nicht so richtig...meine wächst. Das stärkt das Selbstbewusstsein.“
Peter Dorbert, der große Mann mit den weißen Haaren und strahlend blauen Augen, musste sich das Gärtnern auch erst selbst beibringen. Heute gilt der Lehrer für Informatik als ein Experte im Bereich der Kleingartenkunst. 271 m Luftlinie wohnen die Dorberts von ihrer grünen Oase entfernt – und haben die Parzelle mittlerweile schon über 20 Jahre. Und der Lehrer hat einen soziologischen Blick auf die Dinge…
„Es ist ein Spiegel der Gesellschaft, und es kommt drauf an – gerade wie – wenn jetzt junge Leute dazu kommen – wie die sich integrieren. Hier ham wa z.B. ein paar junge Leute, da kam die junge Frau eben mal spontan an, fragte, ich brauch mal nen gärtnerischen Rat. Können Sie mal zeigen wie die Tomaten ausgegeizt werden. Wenn jemand die Hand ausstreckt, nimmt man die gern. Aber es gibt auch andere, die sagen nich muff und nich möff …“
Da sind sich Familie Dorbert und Klaus Franke einig …
„Ich sach dem güten Daach, wenn der nicht antwortet, ist das sein Problem. Da möch ich mir garnüscht draus.
Ich grüß den gar nicht mehr, nöö.
Ja, müsst Du doch ooch nüsch …“
Eben. Das muss man auch nicht.
„Der Maschendrahtzaun is überall.“
Da gibt es weiß Gott wichtigeres. Zum Beispiel ein Lieblingsstück in Dorberts Garten?
„Der Garten so wie er ist. Es gibt kein Detail. Es ist söö: Man freut sich über Löb. Weil Du hast ja dann auch Anerkennung. Du hast ja zwei Komponenten im Garten: Du hast diese gestalterische Komponente, und Du hast die Ernteerfolge.“
Wettbewerb belebt das Geschäft. Und das darf nicht gestört werden:
„Bei uns is ab Sonnabendmittag um 12 bis Montag früh ruhestörender Lärm verboten.“
Da ist Klaus Franke konsequent:
„Störung des Friedens in der Kleingartenanlage, so was dulden wir nicht. Das gibt's nicht. RAUS!“
Na ja gut – ganz so strikt ist Vorsitzender Franke dann auch nicht.
„Ausnahmen bestätigen die Regel.“
Vor allem, wenn man in gemütlicher Runde zusammensitzt. Beim
Glas Wein, einem kühlen Bier – und über alte und neue Geschichten lacht…
„E bissl Spaß muss sein. Und ich sage mir immer wieder: Wenn wir uns selber nicht Spaß machen unter Gartenfreunden …“
„Wer nen Garten haben möchte, der muss erstmal Mitglied im Kleingartenverein werden. Ohne Mitglied im Kleingartenverein, gibt´s keinen Garten.“
„Es heißt ja im Bundesdeutschen Kleingartengesetz: ein Drittel Wiese, ein Drittel anbauen, den Rest Blumen – und Tod und Teufel – na gut.“
Zum Glück ist Klaus Franke, Vorstandsvorsitzender des Kleingartenvereins „Dr. Schreber“ nicht engstirnig.
„In erster Linie: es soll Nutzgarten und Erholungsgarten sein. So nü sagt man ja immer: ja güt, wie viel Erholung brauche ich denn?“
Klaus Franke sieht erholt aus. Braungebrannt, Haare, die so kurz geschoren sind wie englischer Rasen. Er trägt eine sportliche Sonnenbrille und die Verantwortung für den Kleingartenverein: „Dr. Schreber“ in Leipzig. Der liegt mitten in der Leipziger Innenstadt. Er ist stolz, wenn er Besucher durch diese grüne Oase, das Gartenreich am „Waldplatz“ führt:
„… ich sage immer wieder: Unsere Anlage ist gepflegt. Und immer wenn jemand kommt vom Grünflächenamt ... wir haben ne schöne Anlage.“
Wer die Anlage des Kleingartenvereins betritt, passiert ein großes, braunes Holztor. Rechts vom Eingang hat der Wirt der Gaststätte, die gleichzeitig auch das Vereinshaus ist, einen Biergarten aufgebaut. An Tagen wie heute, wenn die Sonne scheint, sind sämtliche Tische besetzt.
Für einen kurzen Plausch hat der Vorstandsvorsitzende immer Zeit. Schließlich hat man mit den Gartenfreunden gestern abend noch gemütlich beim Bier zusammen gesessen. Dass die am späten Abend den Weg nicht mehr nach Hause gefunden, sondern in ihrer Laube übernachtet haben – ist das bei „Dr. Schreber“ erlaubt?
„Also bei uns Ja. Im Westen ist das eigentlich nach Bundesdeutschem Kleingartengesetz nicht gestattet. Aber bei uns gabs da nie Probleme. Sie dürfen Ihren Garten nicht als ständigen Wohnsitz machen. Das bedeutet also, ich darf hier kein Telefon hinlegen und keinen Briefkasten uffstellen.“
Briefkästen sieht man also keine an den Zäunen der Schrebergärten hängen. Dafür hängen hier und da die Äste übern Zaun …
„Nü der ist bestimmt in Urlaub. Der hat seine Hecke noch nicht geschnitten. Das sind alles solche Dinge die wir eigentlich dann monieren und dann auch anschreiben …“
So wie den Pächter des Gartens Nr. 155. Herrn Wolf. Und da hängen nicht nur die Äste über den Zaun:
„Darunter is ne Laube wollte ich Ihnen nur sagen. Da sieht's aus … im Urwald. Er ist aber der Meinung, es ist ein ökologischer Garten. Naja, aber unter Ökö-Garten, da verstehe ich was anderes. Irgendwann werden wir wohl doch zu der Maßnahme greifen und ihm kündigen.“
So oft haben sie ihn angeschrieben, den „Öko-Gärtner“. Aber Herr Wolf schert sich nicht drum. Wie kann ein einzelner sich so gegen das Gemeinwesen stellen? Individuelle Vorlieben ausleben, wo es doch um die Ordnung des Garten-Ganzen geht? Klaus Franke schüttelt den Kopf.
„Aah, Probleme gibt’s schon. Ich meine, es is nich alles so Friede, Freude, Eierkuchen. Probleme wird’s auch immer geben.“
Aber nicht mit Silvia Kind. Ihr Garten liegt im Oberland der Anlage – in der Mitte, umgeben von jeweils zwei weiteren Gärten links und rechts. Sie ist Frankes Stellvertreterin im Vorstand. Und als wahre Gartenfreundin hält sie sich an die Kleingartenordnung – mit Leidenschaft:
„Erstmal hab ich Bäume ne Menge: Sauerkirschbäume, Süßkirschbäumchen, eine Pflaume, Apfel, Nashibaum. Dann habe ich schwarze Johannisbeeren. Ach so – Aprikose hab ich neu gepflanzt und hier habe ich Pfirsich neu gepflanzt. Wolln wa mal schauen ob das was wird.“
Das Sortiment von Frau Kind ist groß:
„Da hinten sind Himbeeren, is auch was zum Naschen. Alles eigentlich zum Naschen. Heidelbeeren. Kulturheidelbeeren. Naja, und so was, was eigentlich immer wieder kommt: Stauden, die winterhart sind. N´kleinen Fischteich ham war auch.“
Dabei misst ihr Garten gerade einmal knapp 200 qm. Rechts steht die Laube, vorschriftsgemäß nicht größer als 24qm.
„Na ja, ich will ma so sagen: Ich hab ihn extra nich so groß, damit ich nicht so viel Arbeit habe. Es muss schon ein bisschen mit Kaffeestunde sein. Aber man hat immer mal wieder zu tun … also wenn man will, kann man sich immer wieder schaffen.“
Und so versteckt sich unter der von wildem Wein bewachsenen Pergola sogar ein kleines Stück Rasenfläche – samt Hollywoodschaukel:
„Das ist Relax-Eck. Das ist wunderbar. Also das ist das beste Stück im Garten.“
Für die freundliche Rentnerin mit den blonden, kurzen Haaren und ihren Mann ist der Garten ein Zufluchtsort:
„Wenn man nen Garten hat, wenn man sich mal draußen ärgert – und geht in seinen Gadden, dann kann man das alles vergessen. Da ist das irgendwie dann weg.“
Und die strengen Regeln der Bundesdeutschen Kleingartenordnung hält man dafür gerne ein.
Eine Vorliebe für strenge Regeln war auch das Markenzeichen des Mannes, der 1808 in Leipzig geboren wurde: Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber. Dem verdankt nicht nur die Kleingartenanlage, sondern eine ganze Bewegung ihren Namen:
„Schreber war Orthopäde, Arzt – in Leipzig. Und er hat immer in seinen Schriften gefordert: dass die Kinder in die Natur sollen. Sich sportlich betätigen sollen.“
Von Kleingärten war bei Schreber nie die Rede. Er wollte nur eine Gegenwelt zur rußig-grauen Realität der Großstädte schaffen. „Denn nur wer aufrecht geht, ist geraden Sinnes“ – dachte der Orthopäde, der alles Schwächliche ausmerzen und alles Weichliche härten wollte. Eine Denkweise, die ein knappes Jahrhundert später bei den Nationalsozialisten wieder auftauchte.
„So, und Schreber ist ja 1861 schon verstorben. Und die Idee hat der Hausschild, Direktor der 5. Bürgerschule in Leipzig aufgegriffen.“
Der Schuldirektor Ernst Hausschild gründete 1864 den ersten deutschen Schreberverein. Mitten in Leipzig. Da spielte der „Garten“ als solcher noch gar keine Rolle. Vielmehr war das ein Spielplatz, von Beeten eingefasst, in dem die Kinder sich mit Pflanzen beschäftigen sollten. Doch das Interesse der Kleinen flachte schnell ab, die Eltern kümmerten sich um die Beete – und aus den Schrebervereinen wurden Vereine von Gartenbesitzern: Die Lauben auf ihre Parzelle stellten und Zäune um sie zogen. Und so entstand auf den Leipziger Fleischerwiesen der erste Kleingartenverein Deutschlands. Da, wo Klaus Franke heute 1. Vorstandsvorsitzender ist. Wie Hausschild auf den Namen kam?
„N Kaiser wollten se nich, en König wollten se nich. Eenen von der Stadt wollten se ooch nicht – weil das hätte dann ja eigentlich Folgen haben können – also hat er vorgeschlagen, den Verein „SCHREBERVEREIN“ zu nennen.“
Jonathan klettert auch manchmal auf Nachbars Baum, denn Jonathan liebt Kirschen. Aber der siebenjährige darf das auch, Schließlich hat Frau Hohner, die nette Gartenfreundin von links, ihn ja dazu eingeladen. Jonathan nascht gerne. Aber noch lieber pflanzt er an – und:
„Ich freu mich immer, wenn wir dann ernten. Weil so frisches Gemüse schmeckt mir auch gut. Z.B. bei Kohlrabi. Früher, als wir den Garten noch nicht hatten, da hatten wir das nämlich immer eingekauft, und da hat mir das nicht so gut geschmeckt, als wie es jetzt frisch hier ist. Deshalb war ich auch ganz traurig, als der Kohlrabi alle war …“
Jonathan gärtnert in Garten Nr. 100.
„Ich pflanze Sachen ein – z.B. Erdbeeren oder Kürbis. Meine Lieblingspflanze ist Blumenkohl.“
Blumenkohl? Ist der was geworden in seinem Garten?
„Na ja Blumenkohl ist nicht so gut, und den möchte ich dann nächstes Jahr noch mal anpflanzen.“
Scheint, als ob da jemand die Leidenschaft des Gärtnerns für sich entdeckt hat …
Jonathans Mutter, Maria Fasshauer, trägt die 8 Monate alte Johanna auf dem Arm und hört stolz zu, wie ihr kleiner Profi-Gärtner dem Laien seinen Anbau erklärt:
„Na, so bald werden dann die Kartoffeln kommen, denke ich mal. Die sind nämlich schon ganz groß. Mit den Bohnen dauert's noch ein bisschen, und das hier kann man ab und zu was nehmen, das kann man auch zum so essen… aber, das schmeckt dann nicht so gut, wenn man das so isst.“
Das „zum so essen“ sind Küchenkräuter. Die hat Jonathans Mutter eingepflanzt. Zum Kochen. Die junge Frau, Anfang 30, hat ihre blonden Haare zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen gebunden, an dem ihre Tochter kräftig zieht, wenn die Mutter ihr mal wieder nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.
Maria Fasshauer und ihr Mann sind Ärzte – und haben drei Kinder: Jonathan, die kleine Johanna und Bruder Jakob. Allein das ist schon eine Menge Arbeit. Dennoch haben sich die jungen Eltern letzten Oktober entschlossen, eine Parzelle im Kleingartenverein zu pachten:
„Also wir wohnen ganz in der Nähe, in der Innenstadt. Und sind schon immer recht viel hier auf der Schreberwiese gewesen zum Spielen. Der Spielplatz ist sehr schön. Und wir haben gesagt: Ach, das wäre doch ganz praktisch, wenn man das miteinander verbinden könnte, haben uns hier erkundigt. Und dann war just auch dieser Garten direkt an der Wiese hier frei und das hat uns dann überzeugt und dann haben wir gesagt, das machen wir …“
Junge Leute im Schrebergarten? Beete harken, Unkraut zupfen, Rasen mähen? Zwischen Fischteich und Laube auf Plastikstühlen sitzen, sich über Baumschnitt, Heckenschnitt und gärtnerischen Durchschnitt unterhalten? Und dann die strengen Regeln, an die man sich halten muss – alles manifestiert im Bundesdeutschen Kleingartengesetz. Wie spießig!
„Also ja gut. Mit dem Vorurteil muss man leben. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass vielen Freunden, denen wir das jetzt erzählen, die sagen erst mal: Schrebergarten? Und dann aber, wenn die uns hier besuchen, finden die das ganz toll! Und ich sag dann auch: Man ist immer ganz individuell. Auch mit dem wie man das hier gestaltet. Und die Regeln sind so strikt auch nicht. Also wenn man sie erstmal kennt …“
Steht da etwa ein Generationswechsel ins Haus? Wird aus „klein und spießig“ plötzlich „klein und spaßig“? Es stimmt. Der Trend geht hin zum Kleingarten. Die „grünen Wohnzimmer“ erleben derzeit eine Renaissance – und einen Imagewechsel: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Grüne liegt so nah? Meist direkt in der Nachbarschaft. Das sagen sich viele junge Leute. Nicht nur in Leipzig – auch in Berlin, Köln oder Hamburg.
Die Zahl der Menschen, für die das Gärtnern zur liebsten Freizeitbeschäftigung geworden ist, ist in den letzten fünf Jahren um zwölf Prozent gestiegen. Häufig sind das junge Eltern, die ihren Kindern die Natur nahe bringen wollen, und selbst Spaß an der Arbeit haben. Maria Fasshauer musste Jonathan und Jakob nicht lange überzeugen:
„Gut, wir machen hier eure Beete. Da könnt ihr mir sagen, was ihr wollt. Und da haben wir eben Zucchini und Tomaten, und der große hat eben seinen Blumenkohl probiert. Der kleinere hatte Kohlrabi angepflanzt. Die waren ganz lecker. Das waren eigentlich die besten, die ich je gegessen hatte. Dann haben wir noch Kartoffeln. Die Obstbäume standen ja schon drinne … Da haben wir nen Pfirsich, die Sauerkirsche und eben den Apfel.“
„Den müssen wir aber glaube ich abpflücken, Frau…sie haben die gleiche Sorte…die fallen nämlich jetzt schon runter. Ich hab aber mal reingebissen, mir waren die noch zu sauer. Aber wahrscheinlich kann man schönes Apfelmus machen ...
Apfelmuss, jaa. Is mehr ein Kochapfel, nich …“
Was wäre ein Garten ohne die netten Nachbarn, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.
„Wir machen gegenseitig dann schon einmal nen kleinen Ratschlag. So wie wirs machen, und so …“
Frau Hohner, die Nachbarin von links, aus Garten Nr. 100, ist zum Zaun gekommen. Sie lacht, als sie Jonathan mit seiner grünen Baseballmütze sieht. Klar, dass der Junge bei ihr die Kirschen pflückt. Und ganz klar – sie hat die junge Familie schon richtig ins Herz geschlossen. Und sie hat viele Kleingärtner kommen und gehen sehen:
„Ich habe meinen Garten schon lange. Aber durch die Schwiegereltern. Die hatten ihn erst – und dann waren wir auch immer schon mit dabei. Also, über 50 Jahre ist der jetzt im Besitz der Familie Hohner.“
Muss denn die junge Frau Fasshauer noch viel arbeiten, um eine gute Gärtnersfrau zu werden?
„Ach, die braucht nicht zu lernen. Sie macht das so prima. Also wenn ich das sehe – sogar Blumenkohl hat se angesetzt hier. Na, da muss dann vielleicht ein bissl mehr Dünger rein dann… und das wird sie dann auch machen.“
Man merkt, ihr kleines Reich hält die rüstige Rentnerin auf Trab. Kindergeschrei sei man gewohnt, wenn man seit 57 Jahren seinen Garten direkt am Kinderspielplatz mit der großen Wiese hat, sagt die Dame mit den dunkelbraunen, gut frisierten Haaren. Und voller Überzeugung:
„Ich sach, ich will doch nicht so abgekanzelt sein. Ich will doch noch am Leben teilhaben.“
Auch der Garten Nr. 100 von Frau Hohner besticht durch viele Gemüse- und Obstsorten: Neben dem Kirschbaum gibt´s auch hier Bohnen, Tomaten, Kartoffeln …
„Das muss ja alles in Ordnung gehalten werden. Das hat der große, der kleene – und die Ömi, die ham wir das alles schön zusammengeharkt, der hat das alles schön gemacht … ünd sö … nöjö …“
Der große und der Kleene, damit meint Frau Hohner ihre Enkel. Die sind schon 16 und 23 Jahre alt. Aber selbst in dem Alter kommen sie ab und zu in Omis Garten. Und auf Stichwort öffnet sich die Kleingartentür, und Frau Hohners Tochter betritt den Garten. Sie bringt ihrer Mutter einen Korb vorbei. Wird denn die Tradition des Hohnerschen Kleingartens weitergeführt, wenn die Omi mal nicht mehr kann?
„Also, ich bin damit groß geworden mit dem Gadden. Also ich möchte den auch weiter führen. Also das steht für mich klör, alsö … Ich wöhne hier in der Nöhe und ich möchte… alsö man hängt dran. Und auch meine Kinder. Wir hängen alle sehr an dem Gadden.“
Plötzlich kommt Kleingartenvereinsvorsitzender Klaus Franke vorbei. Er winkt, öffnet das Gartentor, und schon gerät man ins Erzählen.
Klar, dass er und die Familie Hohner bei der langen Zeit bei „Dr.Schreber“ so manche Erinnerung teilen.
An die guten alten Zeiten, da erinnert man sich gerne zurück. Damals, zu DDR-Zeiten. Da sei der Zusammenhalt größer gewesen als heute. Vieles war einfacher. Arbeitslosigkeit – die gabs damals nicht.
„Jö das wör damals so …“
erklärt Klaus Franke. Er hat sich einen Zettel über seinem Schreibtisch im Büro aufgehangen: „Such nicht nach dem Sinn des Lebens – gib ihm einen“, steht da.
„Was das für mich bedeutet, dass ich in diesem Verein Vorstandsvorsitzender bin: ene Ehre. Es ist für mich eine Ehre und gleichzeitig auch Verpflichtung.“
Und viel Arbeit. Franke hat seit vier Jahren keine Anstellung und mit Anfang 60, realistisch betrachtet, zu alt, als dass sich da noch einmal etwas ändern könnte. Aber arbeitslos, das ist er nicht.
Seit vier Jahren ist er nun Vorstandsvorsitzender. Und wenn ihn seine Mitglieder wiederwählen, dann macht er es auch weiter. Selbstverständlich. Wer sonst soll denn auch dafür sorgen, dass in der Kleingartenanlage „Dr. Schreber“ alles seine Ordnung hat?
„Es gibt ja auch Leute, die wollen sich erhölen. Die wollen ihren Mittagsschlaf machen. Da kann ich mich nicht an der Laube uffstellen und kann da rümklöppen.“
Erholen, Mittagsschlaf machen, nicht rumkloppen. Einfache Regeln, die einzuhalten sind. Genauso einfach wie die Liste der Pflanzen, die so gar nichts im Kleingarten zu suchen haben:
„Scheinzypresse, Scheinzypressenhecke, ene Weide, n Ahorn ene Zuckerhutfichte, en Wacholder und ne Tuja. Wacholder sowieso nicht, weil der giftig ist.“
Und das wird kontrolliert. Da ist Franke streng. Genauso in der Frage, ob freilaufende Katzen gefüttert werden dürfen … gerne von älteren Damen in der Anlage:
„Na, mein Miezchen wo biste denn … und dann macht die dann – hüpf – rüber … holt sich ihre Mahlzeit ab… und verschwindet wieder. Und bei uns ist das Katzenfüttern verböten. In der Kleingartenordnung steht: Untersagt. Wir haben daraus ein Verbot gemacht.“
Für seinen eigenen Kleingarten hat Klaus Franke wenig Zeit. Zwar baut er auch an: Tomaten, Bohnen…
„Na ünd der Knöblauch, viel Knöblauch. Das ist gesund …!“
… aber sein Garten steht in keiner Konkurrenz zu dem Kleinod an Gartenkunst von Monika und Peter Dorbert. Parzelle 103.
Akkurat geschnittene Sträucher und Hecken, bunt blühende Blumen, ein Gartentraum par exellence. Die Wege sind sternenförmig angelegt, laufen auf einen Brunnen zu: Ein „schnödes Plastefass mit Holz verkleidet“ – aber, das erkennt keiner. War da etwa ein Landschaftsarchitekt am Werk?
„Nöjö, das kömmt aus dem Bauch hinaus… mein Mann.. also wir hatten den Gadden schon ... so oft anders gehabt. Da waren erst Bäume, und dann mussten die raus. Und dann hatten wir lauter Sonne, und da hat er dann die Pergola gebaut …“
Und an der Pergola wächst eine Kiwi. Eine Kiwi? Mitten in Deutschland?
„Sieben Jahre braucht man Zeit, und dann kommt noch was schönes hinzu: Gärtner haben ja Nachbarn. Man lebt ja nicht auf ner Insel. Und dort, wo Menschen zusammen sind, hat man Sticheleien, Zickereien … Freude…Mein Schwiegersohn z.B. hatte ein Jahr eher die Kiwi. Seine gedeiht nicht so richtig...meine wächst. Das stärkt das Selbstbewusstsein.“
Peter Dorbert, der große Mann mit den weißen Haaren und strahlend blauen Augen, musste sich das Gärtnern auch erst selbst beibringen. Heute gilt der Lehrer für Informatik als ein Experte im Bereich der Kleingartenkunst. 271 m Luftlinie wohnen die Dorberts von ihrer grünen Oase entfernt – und haben die Parzelle mittlerweile schon über 20 Jahre. Und der Lehrer hat einen soziologischen Blick auf die Dinge…
„Es ist ein Spiegel der Gesellschaft, und es kommt drauf an – gerade wie – wenn jetzt junge Leute dazu kommen – wie die sich integrieren. Hier ham wa z.B. ein paar junge Leute, da kam die junge Frau eben mal spontan an, fragte, ich brauch mal nen gärtnerischen Rat. Können Sie mal zeigen wie die Tomaten ausgegeizt werden. Wenn jemand die Hand ausstreckt, nimmt man die gern. Aber es gibt auch andere, die sagen nich muff und nich möff …“
Da sind sich Familie Dorbert und Klaus Franke einig …
„Ich sach dem güten Daach, wenn der nicht antwortet, ist das sein Problem. Da möch ich mir garnüscht draus.
Ich grüß den gar nicht mehr, nöö.
Ja, müsst Du doch ooch nüsch …“
Eben. Das muss man auch nicht.
„Der Maschendrahtzaun is überall.“
Da gibt es weiß Gott wichtigeres. Zum Beispiel ein Lieblingsstück in Dorberts Garten?
„Der Garten so wie er ist. Es gibt kein Detail. Es ist söö: Man freut sich über Löb. Weil Du hast ja dann auch Anerkennung. Du hast ja zwei Komponenten im Garten: Du hast diese gestalterische Komponente, und Du hast die Ernteerfolge.“
Wettbewerb belebt das Geschäft. Und das darf nicht gestört werden:
„Bei uns is ab Sonnabendmittag um 12 bis Montag früh ruhestörender Lärm verboten.“
Da ist Klaus Franke konsequent:
„Störung des Friedens in der Kleingartenanlage, so was dulden wir nicht. Das gibt's nicht. RAUS!“
Na ja gut – ganz so strikt ist Vorsitzender Franke dann auch nicht.
„Ausnahmen bestätigen die Regel.“
Vor allem, wenn man in gemütlicher Runde zusammensitzt. Beim
Glas Wein, einem kühlen Bier – und über alte und neue Geschichten lacht…
„E bissl Spaß muss sein. Und ich sage mir immer wieder: Wenn wir uns selber nicht Spaß machen unter Gartenfreunden …“