Alles sein - am besten gleichzeitig
Die konfusen und mit viel schwarzem Humor geschriebenen Texte des Schriftstellers Peter Wawerzinek kommen gut an. Einen Auszug aus dem Buch "Rabenliebe", in dem er sich an seine schwierige Kindheit erinnert, liest er bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Er ist ein Autor, der nicht nur schreibt, sondern auch Musik macht, Regie führt, und und und ...
"Ich find' das immer am wichtigsten und am schönsten, wenn jemand sagt: 'Was? Du bist DER Schriftsteller? Das hätt' ich jetzt nicht gedacht. So wie du redest, wie du dich benimmst, wie du gekleidet bist. Also ich würde da lieber für nen Bauern oder für den 'Fahren sie mich bitte zum Bahnhof' gehalten werden und ich würde versuchen, das dann auch zu machen. (lacht) Ja ..."
Peter Wawerzinek, 56 Jahre alt, eher klein, vielleicht 1,60 groß, mit schütterem Haar und kleinen, grün-grauen Augen ist ein unsteter, wuseliger Mensch. Nur eine Sache machen, sich festlegen - unmöglich für ihn. Lieber: Alles sein, alles machen – am besten gleichzeitig. Als Treffpunkt hat er die Frida-Kahlo-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgesucht. Fotografien und Bilder anschauen, dabei gleichzeitig ein Interview geben. Es sprudelt förmlich aus ihm heraus:
"Es gibt viele Freunde, die verdrehen die Augen. Die setzen sich an nen anderen Tisch und sagen: Jetzt kommt der wieder und quatscht und quatscht und quatscht."
Und das, obwohl er in den ersten vier Lebensjahren fast gar nicht gesprochen hat.
"Es gab wohl bis zum vierten Lebensjahr keinen Anlass. Also, ich war da eher verwahrt, würde ich mal sagen. Weggesteckt, angebunden an so Sprossen, mit so nem bestimmten Windel-Knoten. Ich war, glaub ich, mehr so ein autistisch veranlagtes Kind."
Ein Kind, das die Mutter, zweijährig, in der Rostocker Wohnung zurücklässt, als sie aus der DDR in den Westen flieht. Nach tagelangem Wimmern rufen die Nachbarn die Polizei, Peter Wawerzinek, geborener Peter Runkel, wird in ein Säuglingsheim gegeben. Im Grundschulalter lernt er seine ersten Adoptiveltern kennen.
"Ich komm ja immer noch durcheinander. Ich hatte mich nämlich entschieden, nicht Adoptiveltern zu sagen, sondern Adoptionseltern, Adoptionsvater, Adoptionsmutter. Um, äh, weil Adoptiv ist so wie kreativ, objektiv. Und ich wollte –ions, das ist so wie Funktions- und alles das, was mit –ions zu tun hat, ne."
Die Adoption als fremdbestimmtes Ereignis - so muss der junge Peter diese Zeit erlebt haben. Wirklich ankommen – unmöglich. Zweimal muss er die Familie noch wechseln, und auch in der dritten bleibt es schwierig.
"Aber die Adoptionsmutter hat sich schon schwer und auch unheilvoll ins Zeug geschmissen. Sie wollte halt dem ganzen Ort und möglichst auch dem ganzen Kreis und der ganzen Welt zeigen, was aus so einem Heimkind zu machen ist."
Einen ordentlichen Beruf soll der Adoptivsohn lernen. Er versucht es als Textilzeichner, als Briefträger, als Kellner, beginnt ein Studium an der Kunsthochschule in Berlin und bricht es ab. Die Unstetigkeit der Kindheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Nur das Schreiben ist etwas, bei dem er bleiben kann. Schon zu DDR-Zeiten tritt er als Stegreif-Poet auf, nach der Wende veröffentlicht er Parodien zu DDR-Literatur und beginnt mit journalistischen Arbeiten und Hörspielen.
"Deutsch, Rechtschreibung, Grammatik. Bin ich nach wie vor immer noch schlecht. Ich weiß manchmal noch gar nicht, ob es dem, den oder dessen heißt. Aber ich hab immer gesagt: Für ein Heimkind, die sonst nur Gleisarbeiter werden oder zur Armee gehen oder im Gefängnis landen, hab ich's doch irgendwie relativ okay angegangen. Ich bin teilweise wirklich stolz zu sagen: Also, ist wenigstens Schriftsteller draus geworden. Vielleicht wär' ich auch lieber Maler geworden, vielleicht wär ich auch lieber Jimmy Hendrix geworden. Aber nun bin ich halt eben das geworden. Und das ist in Ordnung, ne?"
Ohne Schreiben kann er nicht sein. Mehr als ein Dutzend Bücher sind inzwischen entstanden: Romane, Reiseberichte, ein Krimi ist auch dabei, vor allem aber skurrile Texte, die sich kaum in ein Genre einordnen lassen. Und auch wenn er nicht schreibt, wie er sagt, um Erfolg zu haben – er hat ihn trotzdem. Seit rund 20 Jahren erhält er Stipendien und Preise: unter anderem das Bertelsmann Stipendium, das Stipendium des Deutschen Literaturfonds, den Hörspiel-Preis der Akademie der Künste und 1991 den Kritikerpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Sein neustes Buch "Rabenliebe" handelt von seiner Kindheit, seinen Müttern, seiner Einsamkeit ...
"Der Ort, an dem ich die Mutterfindung beginne, ist ein kleines Ostsee-Bad, zwischen Rostock und Wismar gelegen. Mit dem vielsagenden Namen 'Nienhagen'. Aus dem ich "Nein, Hagen!" gemacht habe, um meine Heimkindzeit an die Nibelungensage zu schmieden."
Die Odyssee der Kindheit hinterlässt Spuren in Peter Wawerzineks späterem Leben. Eine zeitlang hat er Alkoholprobleme. Er kommt nicht zur Ruhe, auch nicht in einer eigenen Familie. Zwei lange Beziehungen scheitern, drei seiner vier Kinder sieht er kaum. Peter Wawerzineks Lotterleben sei nicht gut für sie, meint die Mutter. Nur zur ältesten Tochter hat er regelmäßig Kontakt. Insgesamt scheint ihm sein Leben heute geordneter als früher. Mit "Rabenliebe" hat er sich von einem Stück innerer Unordnung befreit, glaubt Peter Wawerzinek.
"Ich hab die Mutter in meinem Leib sozusagen jetzt begraben. Das ist natürlich befreiend. Also, man wird ein bisschen schwerer dadurch ..."
Befreit und dann doch nicht. Diesen Eindruck vermittelt Peter Wawerzinek: dieser widersprüchliche, sprunghafte, sympathische Mann, der sich eben noch in ein Bild von Frida Kahlo vertieft und kurz darauf schon von seinem nächsten Buch spricht – etwas Lustiges soll es werden, sagt er.
Links bei dradio.de:
Lesefest vor laufenden Kameras -
Wettbewerb um den 34. Ingeborg-Bachmann-Preis
Peter Wawerzinek, 56 Jahre alt, eher klein, vielleicht 1,60 groß, mit schütterem Haar und kleinen, grün-grauen Augen ist ein unsteter, wuseliger Mensch. Nur eine Sache machen, sich festlegen - unmöglich für ihn. Lieber: Alles sein, alles machen – am besten gleichzeitig. Als Treffpunkt hat er die Frida-Kahlo-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgesucht. Fotografien und Bilder anschauen, dabei gleichzeitig ein Interview geben. Es sprudelt förmlich aus ihm heraus:
"Es gibt viele Freunde, die verdrehen die Augen. Die setzen sich an nen anderen Tisch und sagen: Jetzt kommt der wieder und quatscht und quatscht und quatscht."
Und das, obwohl er in den ersten vier Lebensjahren fast gar nicht gesprochen hat.
"Es gab wohl bis zum vierten Lebensjahr keinen Anlass. Also, ich war da eher verwahrt, würde ich mal sagen. Weggesteckt, angebunden an so Sprossen, mit so nem bestimmten Windel-Knoten. Ich war, glaub ich, mehr so ein autistisch veranlagtes Kind."
Ein Kind, das die Mutter, zweijährig, in der Rostocker Wohnung zurücklässt, als sie aus der DDR in den Westen flieht. Nach tagelangem Wimmern rufen die Nachbarn die Polizei, Peter Wawerzinek, geborener Peter Runkel, wird in ein Säuglingsheim gegeben. Im Grundschulalter lernt er seine ersten Adoptiveltern kennen.
"Ich komm ja immer noch durcheinander. Ich hatte mich nämlich entschieden, nicht Adoptiveltern zu sagen, sondern Adoptionseltern, Adoptionsvater, Adoptionsmutter. Um, äh, weil Adoptiv ist so wie kreativ, objektiv. Und ich wollte –ions, das ist so wie Funktions- und alles das, was mit –ions zu tun hat, ne."
Die Adoption als fremdbestimmtes Ereignis - so muss der junge Peter diese Zeit erlebt haben. Wirklich ankommen – unmöglich. Zweimal muss er die Familie noch wechseln, und auch in der dritten bleibt es schwierig.
"Aber die Adoptionsmutter hat sich schon schwer und auch unheilvoll ins Zeug geschmissen. Sie wollte halt dem ganzen Ort und möglichst auch dem ganzen Kreis und der ganzen Welt zeigen, was aus so einem Heimkind zu machen ist."
Einen ordentlichen Beruf soll der Adoptivsohn lernen. Er versucht es als Textilzeichner, als Briefträger, als Kellner, beginnt ein Studium an der Kunsthochschule in Berlin und bricht es ab. Die Unstetigkeit der Kindheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Nur das Schreiben ist etwas, bei dem er bleiben kann. Schon zu DDR-Zeiten tritt er als Stegreif-Poet auf, nach der Wende veröffentlicht er Parodien zu DDR-Literatur und beginnt mit journalistischen Arbeiten und Hörspielen.
"Deutsch, Rechtschreibung, Grammatik. Bin ich nach wie vor immer noch schlecht. Ich weiß manchmal noch gar nicht, ob es dem, den oder dessen heißt. Aber ich hab immer gesagt: Für ein Heimkind, die sonst nur Gleisarbeiter werden oder zur Armee gehen oder im Gefängnis landen, hab ich's doch irgendwie relativ okay angegangen. Ich bin teilweise wirklich stolz zu sagen: Also, ist wenigstens Schriftsteller draus geworden. Vielleicht wär' ich auch lieber Maler geworden, vielleicht wär ich auch lieber Jimmy Hendrix geworden. Aber nun bin ich halt eben das geworden. Und das ist in Ordnung, ne?"
Ohne Schreiben kann er nicht sein. Mehr als ein Dutzend Bücher sind inzwischen entstanden: Romane, Reiseberichte, ein Krimi ist auch dabei, vor allem aber skurrile Texte, die sich kaum in ein Genre einordnen lassen. Und auch wenn er nicht schreibt, wie er sagt, um Erfolg zu haben – er hat ihn trotzdem. Seit rund 20 Jahren erhält er Stipendien und Preise: unter anderem das Bertelsmann Stipendium, das Stipendium des Deutschen Literaturfonds, den Hörspiel-Preis der Akademie der Künste und 1991 den Kritikerpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Sein neustes Buch "Rabenliebe" handelt von seiner Kindheit, seinen Müttern, seiner Einsamkeit ...
"Der Ort, an dem ich die Mutterfindung beginne, ist ein kleines Ostsee-Bad, zwischen Rostock und Wismar gelegen. Mit dem vielsagenden Namen 'Nienhagen'. Aus dem ich "Nein, Hagen!" gemacht habe, um meine Heimkindzeit an die Nibelungensage zu schmieden."
Die Odyssee der Kindheit hinterlässt Spuren in Peter Wawerzineks späterem Leben. Eine zeitlang hat er Alkoholprobleme. Er kommt nicht zur Ruhe, auch nicht in einer eigenen Familie. Zwei lange Beziehungen scheitern, drei seiner vier Kinder sieht er kaum. Peter Wawerzineks Lotterleben sei nicht gut für sie, meint die Mutter. Nur zur ältesten Tochter hat er regelmäßig Kontakt. Insgesamt scheint ihm sein Leben heute geordneter als früher. Mit "Rabenliebe" hat er sich von einem Stück innerer Unordnung befreit, glaubt Peter Wawerzinek.
"Ich hab die Mutter in meinem Leib sozusagen jetzt begraben. Das ist natürlich befreiend. Also, man wird ein bisschen schwerer dadurch ..."
Befreit und dann doch nicht. Diesen Eindruck vermittelt Peter Wawerzinek: dieser widersprüchliche, sprunghafte, sympathische Mann, der sich eben noch in ein Bild von Frida Kahlo vertieft und kurz darauf schon von seinem nächsten Buch spricht – etwas Lustiges soll es werden, sagt er.
Links bei dradio.de:
Lesefest vor laufenden Kameras -
Wettbewerb um den 34. Ingeborg-Bachmann-Preis