Alles spricht für den Mindestlohn
War das nun clever von Angela Merkel, der SPD einfach ein bewährtes Kampfthema zu klauen – und sich den Mindestlohn auf die Fahnen zu schreiben? Oder kapituliert hier eine orientierungslose Kanzlerin vor dem politischen Zeitgeist?
Dass Angela Merkel wenig Skrupel hat, sich von programmatischen Grundsätzen zu trennen, wenn es ihr politisch opportun erscheint, mag für manchen Christdemokraten immer noch eine schmerzhafte Erfahrung sein. Überraschen kann es allerdings niemanden mehr. Es gehört zum Führungsstil dieser Kanzlerin, dass sie ihre Positionen ohne große Bedenken an die Realitäten anpasst, wenn das dem eigenen Machterhalt dienlich ist.
Das war nach der fast vergeigten Bundestagswahl 2005 so, als sie von der neoliberalen Radikalreformerin zur sozial geläuterten Kanzlerin einer großen Koalition mutierte. Das war nach der Atomkatastrophe von Fukushima so, als sie eine 180-Grad-Wende in der Energiepolitik vollzog. Und kurzen Prozess machte sie auch mit anderen Heiligtümern der christdemokratischen Wertegemeinschaft, verabschiedete sich ohne großes Federlesen vom dreigliedrigen Schulsystem. Und entsorgte mal ganz nebenbei die Wehrpflicht.
Und jetzt der Mindestlohn. Auch das so ein Tabu für gestandene Christdemokraten, das die Kanzlerin jetzt ohne große Vorwarnung über Bord werfen will. Und damit Freund wie Feind verwirrt.
Dabei spricht aus fachlicher Sicht alles für den Kurswechsel der Union. Zu lange hat die Politik tatenlos zugesehen, wie sich der Niedriglohnsektor ausweitet, wie die Zahl derjenigen steigt, die zwar Vollzeit arbeiten, aber trotzdem auf staatliche Sozialtransfers angewiesen sind, weil der Lohn einfach zu gering ist. Die Tarifparteien – also Arbeitgeber und Gewerkschaften – sind ganz offenbar nicht mehr in der Lage, diese Erosion zu verhindern. Deshalb ist nun die Politik am Zug. Sie muss eine untere Haltelinie einziehen, damit die Löhne nicht ins Bodenlose fallen.
Das ist ein Gebot der moralischen wie der ökonomischen Vernunft. Denn die Ausweitung der prekären Beschäftigung gefährdet den Sozialstaat in seinen Grundfesten. Denn wer heute vom Lohn nicht leben kann, der wird auch im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein – auch wenn er jahrzehntelang Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat. Die Billigjobs von heute, das ist die Altersarmut von morgen. Hier einen Riegel vorzuschieben, das ist überfällig.
Zumal die Erfahrungen in den europäischen Nachbarländern wie in Deutschland selbst, wo inzwischen für rund vier Millionen Menschen Mindestlöhne gelten, zeigen, dass die Angst unbegründet ist, Mindestlöhne würden massenhaft Arbeitsplätze vernichten. Bis heute gibt es dafür keine stichhaltigen Belege.
Gut also, wenn sich die Union nun endlich vom Schreckgespenst des Jobkillers Mindestlohn löst. Auch politisch könnte das lohnend sein. Schließlich ist der Mindestlohn ein zentrales Kampfthema, mit dem die SPD im nächsten Bundestagswahlkampf punkten will. Das aber könnte schwierig werden, wenn die Union diese offene Flanke nun schließt.
Aber tut sie das wirklich? Noch ist vieles unausgegoren und vage, was die CDU nun als Konzept ausgibt. Wer soll die neue Lohnuntergrenze festsetzen, für wen soll sie gelten? Und welche Schlupflöcher bleiben hier geöffnet?
Die Union muss hier für Klarheit sorgen, muss nachweisen, dass sie es ernst meint mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Ein wolkiger Parteitagsbeschluss wird da nicht ausreichen. Sie muss diesen Beschluss dann auch umsetzen in konkrete Politik. Sonst bleibt der jüngste Kursschwenk ein bloß taktisches Manöver.
Das aber könnte schwierig werden, denn spätestens an diesem Punkt kommt die ums Überleben kämpfende FDP ins Spiel. Ein gesetzlicher Mindestlohn, das ist für die Liberalen nach wie vor ein rotes Tuch. "Wir machen doch keine rot-grüne Politik", giftet Generalsekretär Christian Lindner. Nun sind wir zwar von der FDP einiges gewohnt. Aber dass die Liberalen zu einem solchen, finalen Akt der Selbstverleugnung fähig sind, das wäre noch einmal eine echte Überraschung. Zumal sie sich auf den Koalitionsvertrag berufen können: Der lässt ja an Klarheit nichts zu wünschen übrig. "Einen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab", steht da kurz und knapp.
So gestaltet sich die Mindestlohn-Wende der Kanzlerin schwieriger als erhofft. Denn beides wird nicht gehen: Als Chefin einer schwarz-gelben Koalition die gesetzliche Lohnuntergrenze verhindern und sie als Wahlkämpferin überzeugend einfordern.
Das war nach der fast vergeigten Bundestagswahl 2005 so, als sie von der neoliberalen Radikalreformerin zur sozial geläuterten Kanzlerin einer großen Koalition mutierte. Das war nach der Atomkatastrophe von Fukushima so, als sie eine 180-Grad-Wende in der Energiepolitik vollzog. Und kurzen Prozess machte sie auch mit anderen Heiligtümern der christdemokratischen Wertegemeinschaft, verabschiedete sich ohne großes Federlesen vom dreigliedrigen Schulsystem. Und entsorgte mal ganz nebenbei die Wehrpflicht.
Und jetzt der Mindestlohn. Auch das so ein Tabu für gestandene Christdemokraten, das die Kanzlerin jetzt ohne große Vorwarnung über Bord werfen will. Und damit Freund wie Feind verwirrt.
Dabei spricht aus fachlicher Sicht alles für den Kurswechsel der Union. Zu lange hat die Politik tatenlos zugesehen, wie sich der Niedriglohnsektor ausweitet, wie die Zahl derjenigen steigt, die zwar Vollzeit arbeiten, aber trotzdem auf staatliche Sozialtransfers angewiesen sind, weil der Lohn einfach zu gering ist. Die Tarifparteien – also Arbeitgeber und Gewerkschaften – sind ganz offenbar nicht mehr in der Lage, diese Erosion zu verhindern. Deshalb ist nun die Politik am Zug. Sie muss eine untere Haltelinie einziehen, damit die Löhne nicht ins Bodenlose fallen.
Das ist ein Gebot der moralischen wie der ökonomischen Vernunft. Denn die Ausweitung der prekären Beschäftigung gefährdet den Sozialstaat in seinen Grundfesten. Denn wer heute vom Lohn nicht leben kann, der wird auch im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein – auch wenn er jahrzehntelang Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat. Die Billigjobs von heute, das ist die Altersarmut von morgen. Hier einen Riegel vorzuschieben, das ist überfällig.
Zumal die Erfahrungen in den europäischen Nachbarländern wie in Deutschland selbst, wo inzwischen für rund vier Millionen Menschen Mindestlöhne gelten, zeigen, dass die Angst unbegründet ist, Mindestlöhne würden massenhaft Arbeitsplätze vernichten. Bis heute gibt es dafür keine stichhaltigen Belege.
Gut also, wenn sich die Union nun endlich vom Schreckgespenst des Jobkillers Mindestlohn löst. Auch politisch könnte das lohnend sein. Schließlich ist der Mindestlohn ein zentrales Kampfthema, mit dem die SPD im nächsten Bundestagswahlkampf punkten will. Das aber könnte schwierig werden, wenn die Union diese offene Flanke nun schließt.
Aber tut sie das wirklich? Noch ist vieles unausgegoren und vage, was die CDU nun als Konzept ausgibt. Wer soll die neue Lohnuntergrenze festsetzen, für wen soll sie gelten? Und welche Schlupflöcher bleiben hier geöffnet?
Die Union muss hier für Klarheit sorgen, muss nachweisen, dass sie es ernst meint mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Ein wolkiger Parteitagsbeschluss wird da nicht ausreichen. Sie muss diesen Beschluss dann auch umsetzen in konkrete Politik. Sonst bleibt der jüngste Kursschwenk ein bloß taktisches Manöver.
Das aber könnte schwierig werden, denn spätestens an diesem Punkt kommt die ums Überleben kämpfende FDP ins Spiel. Ein gesetzlicher Mindestlohn, das ist für die Liberalen nach wie vor ein rotes Tuch. "Wir machen doch keine rot-grüne Politik", giftet Generalsekretär Christian Lindner. Nun sind wir zwar von der FDP einiges gewohnt. Aber dass die Liberalen zu einem solchen, finalen Akt der Selbstverleugnung fähig sind, das wäre noch einmal eine echte Überraschung. Zumal sie sich auf den Koalitionsvertrag berufen können: Der lässt ja an Klarheit nichts zu wünschen übrig. "Einen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab", steht da kurz und knapp.
So gestaltet sich die Mindestlohn-Wende der Kanzlerin schwieriger als erhofft. Denn beides wird nicht gehen: Als Chefin einer schwarz-gelben Koalition die gesetzliche Lohnuntergrenze verhindern und sie als Wahlkämpferin überzeugend einfordern.