Alltägliche Einfachheit und harmonisches Ganzes

Von Nina Josefowicz |
Der tschechische Komponist Bohuslav Martinů hatte bereits 17 Jahre in Paris gelebt, als er im Sommer 1940 zum letztmöglichen Zeitpunkt, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, Frankreich verließ. Die beschwerliche Flucht zog sich über ein Jahr hin und führte bis nach New York, wo er und seine Frau Charlotte im April 1941 an Land gingen.
Martinů war 52 Jahre alt, als man ihn in Amerika mit offenen Armen empfing. Zehn Opern, einige Ballette, zahlreiche Konzerte sowie über 20 Kompositionen für Kammermusik, darunter fünf Streichquartette, drei Streichtrios und zwei Klavierquintette zählten bereits zu seinen Werken. Er war ein produktiver Komponist und verschwendete nur selten Zeit damit, bereits Komponiertes zu überarbeiten.

Doch die Flucht, die lange Reise und die Konfrontation mit einer fremden Sprache und dem American Way of life machten sich bemerkbar: Nach der Ankunft in New York gelang es Martinů zunächst nicht zu komponieren. Ihm fehlte weniger der Ansporn – er erhielt mehrere Aufträge sowohl von Serge Koussewitzky, dem Dirigenten des Boston Symphony Orchestra, als auch von Paul Sacher aus Basel –sondern er vermisste vielmehr die notwendige Ruhe und den Raum, den er in einem geregelten Alltag zu finden vermochte.

Erst nach ein paar Monaten, als er und seine Frau ein Haus in Long Island bewohnten und ein gutes Klavier besaßen, nahm Martinů das Komponieren wieder auf und teilte der Koussewitzky-Stiftung mit, dass er eine erste Sinfonie liefern würde.

Martinů wagte sich jedoch nicht direkt an diese große Herausforderung, sondern kehrte zunächst zu der ihm vertrauten Kammermusik zurück: In einem Brief vom 19. November 1946 an den Autor Milos Safranek, bei dem Martinu und seine Frau nach ihrer Ankunft in New York gewohnt hatten, schreibt er:

"In einem Quartett fühlt man sich wie zu Hause, heimisch, glücklich. Draußen ist es regnerisch, die Dunkelheit nimmt zu, aber die vier Stimmen achten dessen nicht. Sie sind unabhängig, frei, sie tun, was ihnen beliebt und sind dennoch ein harmonisches Ensemble. Sie sind sozusagen ein neues Wesen, ein harmonisches Ganzes."

Martinů vollendete das Klavierquartett im April 1942 und widmete es den Mitgliedern des Chamber Music Guild Quartet, die es im Sommer 1942 auf dem Tanglewood Festival in Berkshire uraufführten. Der erste Satz ist von einer nicht ermüdenden Energie geprägt, die vor Kraft und Virtuosität nur so strotzt. Die für Martinus Musik charakteristischen flinken Läufe und Trillerketten ziehen sich durch das gesamte Poco allegro, wobei die Mitspieler über weite Strecken von turbulenten Beschleunigungen und stampfenden Rhythmen mitgerissen werden. Die Phrasen scheinen sich durchweg aufwärts zu bewegen und rufen das Gefühl von Atemlosigkeit hervor. Erst die abfallende Schlusskadenz lässt aufatmen.

Der zweite Satz ist mit über neun Minuten der längste der drei Sätze. Er ist von einer dichten Polyphonie der Streicher bestimmt, während das Klavier fast durchweg schweigt. Harry Halbreich, der Verfasser des Martinů-Verzeichnisses, sagte über das Adagio, dass der Komponist wohl kaum "Ergreifenderes, Unmittelbareres als die letzten 20 Takte geschrieben habe."

Im Allegretto moderato übernimmt das Klavier mit einer tschechischen Pastorale die Führung und spielt später eine Solo-Kadenz. Martinůs Lieblingstonart B-Dur wird von einem synkopierten Sechsachtel-Takt getragen und endet in freudiger Ekstase.

Vor dem biografischen Hintergrund kommt dieser Freudenstimmung und dem Gefühl, sich aufgehoben zu fühlen, eine besondere Bedeutung zu: Martinů war angekommen und mit ihm seine Musik, die den Amerikanern sehr gut gefiel. Er wurde als tschechischer Komponist gefeiert und die größten amerikanischen Orchester und Dirigenten führten noch in den Kriegsjahren viele seiner Werke auf. In den 1940er- und 1950er-Jahren war Martinů als Komponist und Lehrer ausgesprochen erfolgreich. Im Jahr 1959 verstarb Bohuslav Martinů an Krebs in der Schweiz, wo er auf dem Gut von Paul Sacher die letzten zwei Jahre seines Lebens verbracht hatte.
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