Alltag als Trauma

Rezensiert von Martin Sander |
In siebzehn Geschichten erzählt Blatnik lakonisch von den Irrungen und Wirrungen seiner Protagonisten. Blatniks Figuren stammen aus der universalen Werkstatt der Moderne. Es sind Einsame, nicht wirklich fähig zur Kommunikation, Menschen, die die Welt nicht verstehen oder sie auf ihre Weise missverstehen.
Eine Band spielt in irgendeinem - wahrscheinlich besseren - Restaurant. Kurz vor dem entscheidenden Einsatz scheint alles wie verhext. Einen Augenblick zu früh holt der Drummer zum Schlag aus, zu früh holt der Saxophonist Atem. Der Trompeter erstarrt und denkt an das Auto, das ihn fast überfahren hätte, als er drei Jahre alt war. Gleich werden die Gäste des Restaurants ihr Besteck fallen lassen. Der Mann am Empfang wird mit dem Kopf schütteln. Das weitere Engagement der Band ist so gut wie besiegelt. Doch dann bremst der Drummer unerwartet den Schwung trifft wider Erwarten zum rechten Zeitpunkt die Membrane. Der Einsatz gelingt. Die Gäste klappern beifällig mit dem Besteck. Das nächste Engagement der Band ist gesichert.

Der Alltag als mehr oder weniger traumatischer Zustand ist das Thema des slowenischen Erzählers Andrej Blatnik.

In siebzehn Geschichten erzählt Blatnik lakonisch von den Irrungen und Wirrungen seiner Protagonisten. Blatniks Figuren stammen aus der universalen Werkstatt der Moderne. Es sind Einsame, nicht wirklich fähig zur Kommunikation, Menschen, die die Welt nicht verstehen oder sie auf ihre Weise missverstehen.

Da gibt es die Frau, die sich den Aufdringlichkeiten von zwei slowenischen Dorfpolizisten nicht zu entziehen weiß. Gelähmt von düsteren Erinnerungen an ihren eigenen Vater findet sie nicht den rechten Ton. Letztlich weiß sie nicht genau genug, was sie nicht will.

Am Beispiel einer Teeschule in Japan inszeniert Blatnik die an Selbstzerstörung grenzenden Wett- und Machkämpfe zwischen Schülern und Lehrern. Der Selbstzerstörung nahe ist auch der junge slowenische Großstadtarchitekt. Von beruflichen Ehrgeiz besessen, dauerhaften Bindungen eher abgeneigt, lässt er zu, dass sich eine ihm nicht sonderlich sympathische Frau in seiner Wohnung einnistet und die Herrschaft über ihn gewinnt. Der Architekt verliert seine Arbeit und sich selbst - nicht aus Leidenschaft, sondern weil er sich nicht wehren kann.

Andrej Blatnik, geboren 1963, lebt in Ljubljana. Er war Mitglied einer slowenischen Punk-Band. In den vergangenen zwanzig Jahren hat er zwei Romane, zahlreiche Erzählungen, Essays und Hörspiele geschrieben. Blatnik gilt bereits seit einiger Zeit als einer der führenden Vertreter der jüngeren slowenischen Literatur.

Die Auswahl dieses zweiten von Andrej Blatnis auf deutsch im Folio-Verlag veröffentlichten Erzählbands liefert ein widerspruchsvolles Leseerlebnis. Einige Erzählungen stehen in einer überaus hermetischen Tradition. Mitunter lesen sie sich wie die Neuauflage von hinlänglich bekannten Etüden zur literarischen Einübung ins Absurde des Daseins. Meist aber gelingt es Blatnik, eine fremd-vertraute, verhaltensgestörte Welt in spannende Literatur zu verwandeln. Ihre Lektüre ist ein Vergnügen, wenn auch ein beklemmendes.

Andrej Blatnik: Der Tag, an dem Tito starb
Erzählungen. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, 130 S. 19,50 Euro