Alltag in der Bronx

Von Katharina Döbler |
Als Reporterin hat Adrain Nicole LeBlanc zehn Jahre lang das Leben von Jugendlichen in der Bronx in New York begleitet. Sie erzählt von Mord und Vergewaltigung, vom trostlosen Kampf um Geld und Leben - aber auch von Hoffnung und Sehnsucht, Liebe und Freundschaft. "Zufallsfamilie" wurde in Amerika zum Sensationserfolg. Der gekonnten Mischung aus Slang und lakonischem Stil wird die deutsche Übersetzung allerdings nicht gerecht.
Adrain Nicole LeBlancs Buch über das Heranwachsen einer Generation in der New Yorker South Bronx erhielt mehrere Preise und stand auch in Deutschland auf der Shortlist zum Ulysses-Preis für literarische Reportage.
Es ist ein sehr einfühlsames und sehr packendes Buch, das die Lebensläufe von puertorikanischen Teenagern im Ghetto verfolgt: in Armut und chaotischen Familienverhältnissen, zwischen Drogen, Straße und Gefängnis und ohne erwähnenswerte Bildung.

Adrain Nicole LeBlanc begann als Reporterin im Prozess gegen einen schwerreichen 20-jährigen Drogenhändler. Dort machte sie Bekanntschaft mit einer seiner Freundinnen, Jessica, deren Bruder Cesar und dessen Freundin Coco. Diese vier mit ihren Liebesgeschichten, Kindern und Knastkarrieren hat sie über zehn Jahre begleitet.

LeBlanc zeigt sie in ihrem Alltag: die minderjährigen Mütter zwischen Überforderung und Stolz, die lebenshungrigen Großmütter mit ihren wechselnden Liebhabern, die wütenden Jungen, für die eine Karriere als kleiner Angestellter in der Drogenbranche so ziemlich das Höchste ist, was sie erreichen können.

Und so ist man als Leser mittendrin - bei Familienfesten und Dramen, verzweifelten Versuchen, Essen zu beschaffen und bei Gefängnisbesuchen, die, Sex inklusive, einen ganzen Tag dauern und Kindern wie Stiefkindern das Familienleben ersetzen.

Gängige Begriffe wie "Teufelskreis der Armut", "verwaltetes Elend" oder "Verwahrlosung" werden in diesem völlig unsentimentalen, aber empathischen Bericht plötzlich plastisch. Vor allem gibt er diesen in jeder Hinsicht benachteiligten Jugendlichen Würde und Individualität. Er zollt ihnen Respekt für ein Leben, in dem die größte Errungenschaft darin besteht, nicht völlig unterzugehen.
Leider gibt die Übersetzung auch nicht ansatzweise die überaus gekonnte Mischung aus Straßen-Slang und lakonischer Berichterstattung wieder, die LeBlancs Buch auszeichnet. Was die restringierte Sprache allein schon an Coolness und Hilflosigkeit verrät, bleibt dem deutschen Leser vorenthalten. Wer irgend kann, sollte das Original lesen.

Rezensiert von Katharina Döbler

Adrain Nicole LeBlanc: Zufallsfamilie. Liebe, Drogen, Gewalt und Jugend in der Bronx
Aus dem Amerikanischen von Richard Obermayr,
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2008,
592 Seiten, 24,90 Euro