Das Handy als Fetisch
Im Mittelalter hatten Schwerter Namen, sie waren nicht nur Waffen, sondern auch Ausdruck der Identität des Helden. Ähnlich steckt heute in unserem Smartphone auch ein Teil von uns selbst, sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann.
Joachim Scholl: Wann ist ein Ding, eine alltägliche Sache so schön, dass wir sie lieben, unser Herz dran hängen? Warum streichen wir zärtlich über unser Smartphone oder werden hymnisch angesichts eines neuen Rennrads? Letzteres hat Konrad Paul Liessmann, Philosoph in Wien, in seinem Buch „Das Universum der Dinge“ besungen, und ihm dürfte schon der Titel der Ausstellung in Münster gefallen, die ab Samstag eröffnet wird: „Die Liebe zu den Dingen“. Guten Tag nach Wien, Herr Liessmann!
Konrad Paul Liessmann: Guten Tag!
Scholl: Was ist denn an Ihrem Rennrad so schön, dass Sie es so lieben?
Liessmann: Das Verhältnis zu den Dingen hat natürlich schon auch damit zu tun, was wir mit den Dingen machen und was wir sozusagen in die Dinge hineinlegen, was wir auf die Dinge projizieren. Und ein Rennrad ist für mich natürlich Inbegriff auch einer Form der Bewegung, eine Form des Durchstreifens einer Landschaft, eine Form auch einer avancierten Technologie, diese Mischung aus Leichtigkeit, Geschwindigkeit – und trotzdem: Alles sozusagen hängt ab von der eigenen Körperkraft, von der eigenen Kondition. Das hat für mich was Faszinierendes.
Ich glaube, die Dinge sind überhaupt dann am Faszinierendsten, wenn man jetzt – philosophisch formuliert – den Eindruck hat, dass sie eine Idee zum Ausdruck bringen. Also ein Auto ist für uns dann am interessantesten, am schönsten, attraktivsten, wenn wir das Gefühl haben: Also die Idee einer bestimmten Form von Mobilität verkörpert sich hier gleichsam.
Das Smartphone, das Sie vorhin angesprochen haben – ist es nicht deshalb für uns so interessant, nicht nur, was das Design betrifft, sondern weil eine bestimmte Form der Idee von Verbundenheit, von Kommunikation, von Konnektivität, von Erreichbarkeit, von Souveränität über die Welt sich in diesem kleinen Ding inkarniert? Oder wenn man an Schmuckstücke denkt, vielleicht die fetischisierten Dinge par excellence: Was ist an einem Schmuckstück eigentlich dran? Es ist sozusagen die unmittelbare Verschönerung unserer selbst.
Scholl: Aber Herr Liessmann, eine jahrzehntelange antimaterialistische Konsumkritik, nenne ich sie jetzt mal, hat uns doch eingebläut, dass wir unser Herz eben nicht an solche Dinge hängen sollen, dass wir doch nur die Deppen der Industrie sind, die uns einreden, liebe dein Smartphone, liebe dein Rennrad, liebe dein Auto. Man hat doch als kritischer Mensch ständig ein schlechtes Gewissen deshalb, oder?
Dingen werden menschliche Eigenschaften zugesprochen
Liessmann: Das schlechte Gewissen hält sich in Grenzen, denke ich, dann zumindest, wenn wir uns über den Charakter dieser Liebe sozusagen Auskunft geben können und nicht undistanziert den Dingen anheimfallen, vor allem, wenn wir nicht dem Irrtum verfallen, die Dinge mehr sein zu lassen, als sie sind.
Die Kulturkritik an den Dingen, wie sie vor allem auch im Kontext der Frankfurter Schule entwickelt wurde, ging ja von der These aus, dass wir sozusagen in die Dinge Emotionen hineinprojizieren, dass wir den Dingen Eigenschaften zuschreiben, die ihnen eigentlich nicht zukommen. Das Ganze geht ja zurück auf die berühmte These von Karl Marx, der vom Fetischcharakter der Ware geschrieben hat, das heißt, dass die Ware jetzt für uns nicht nur Gebrauchsgegenstand ist, nicht nur einen materiellen Wert hat, nicht nur benutzt werden kann, sondern dass die Ware gleichsam menschliche Eigenschaften anzunehmen scheint und dass wir unsere sozialen, emotionalen, sexuellen Kontakte sozusagen nur noch vermittelt der Dinge durchführen können.
Scholl: Aber ist es nicht so in der modernen Warenwelt, Herr Liessmann, dass wir genau diese Idee mit den Dingen auch verknüpfen, also Stichwort auch Statussymbol?
Liessmann: Ja, genau das wollte ich sagen. Also diese Kritik von Marx oder diese Analyse von Marx und seinen Nachfolgern hat natürlich ein bestimmtes richtiges Moment an sich. Auf der anderen Seite gehört es meines Erachtens zum Kulturwesen Mensch, dass er sich mit Dingen umgibt und auch schon lange vor der Phase der industriellen Produktion natürlich mit Dingen umgeben hat, die er sehr wichtig genommen hat, die er beseelt hat, die Ausdruck waren sozusagen auch seines Charakters.
Denken Sie also etwa an den Kult, der im Mittelalter um Waffen gemacht wurde, Schwerter hatten Namen, Schwerter wurden weitergegeben, an ein Schwert knüpfte sich die Identität eines Helden. Also gar keine Rede davon, dass man hier in der vorindustriellen Zeit ein nüchternes Verhältnis zu Dingen gehabt hat, obwohl man die natürlich auch selber hergestellt hat, die sind ja nicht vom Himmel gefallen. Das heißt also, es liegt in dem Charakter oder in diesen Möglichkeiten des Menschen – ein produzierendes Wesen zu sein, ein herstellendes Wesen zu sein –, natürlich immer diese Doppeltheit, dass jedes Ding, das wir produzieren, etwas von uns selbst enthält. Da stecken wir etwas rein. Das ist auch Ausdruck unserer Seele, unseres Innersten. Und das spiegeln wir dann im Umgang mit den Dingen zurück.
Scholl: Von der Liebe zu den Dingen, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Wiener Kunsttheoretiker und Philosophen Konrad Paul Liessmann. Sie haben, Herr Liessmann, in diesem Zusammenhang auch gar nichts gegen Kitsch, im Gegenteil, Sie schreiben, Zitat: „Die wirklich schönen Dinge des Lebens weisen nicht nur auf ein hübsches oder extravagantes Design, sie sind schön dann, wenn sie die Alltäglichkeit des Alltäglichen bis hin zum Kitsch verklären.“ Worin besteht denn für Sie diese Verklärung?
Ästhetische Gesichtspunkte haben an Bedeutung gewonnen
Liessmann: Na ja, also das ist ja, glaube ich, eine Beobachtung, die man sehr oft machen kann, dass wir eine Entwicklung in den letzten, sagen wir mal 100 Jahren gehabt haben, eine Auseinanderentwicklung zwischen unseren ästhetischen Vorstellungen, wie wir sie im Alltag pflegen, vor allem auch gegenüber den Dingen, mit denen wir uns tagtäglich umgeben – die Einrichtungsgegenstände, die Gebrauchsgegenstände, das Mobiliar unserer Wohnung oder unseres Büros, die Lampen, die wir aufhängen, die Art und Weise, wie wir Vorhänge, Tapeten, Wände gestalten, das ist sozusagen das, was uns im Alltag entgegentritt.
Und hier haben wir sehr oft, ich sage jetzt nicht generell und nicht jeder, aber doch sehr oft ziemlich konventionalisierte Vorstellungen von dem, was schön ist, während in der Kunstentwicklung das Schöne ja sozusagen ausgeklammert wurde und hier ganz andere Kriterien – das Experimentelle, das Revolutionäre, das Verstörende, das Aufwühlende, das auch Destruktive – an Bedeutung gewonnen haben, sodass man sagen könnte: Bis zu einem gewissen Grad hat sich das Schöne in einem klassischen Sinn ja nahezu geflüchtet in die Welt unseres Alltags und in die Welt unserer alltäglichen Dinge, weshalb die auch für uns unter ästhetischen Gesichtspunkten an Bedeutung gewonnen haben. Wir sehen ja nie mehr nur den reinen Gebrauchswert, deshalb ist Design auch so unglaublich wichtig geworden.
Scholl: Ihr Landsmann, Herr Liessmann, der Schriftsteller Hermann Broch, hat in den 1940er-Jahren den Kitsch noch als „das Böse in der Kunst“ gebrandmarkt. Inzwischen hat sich Kitsch zur Kunst gemausert, schauen wir auf die Werke von Jeff Koons, das ist gesellschaftlich rehabilitiert. Was sagt das eigentlich über uns? Dass wir keine bildungsbürgerlichen Spießer mehr und entspannter sind im Umgang mit Kitsch oder dass wir einfach keinen Geschmack mehr haben?
Liessmann: Na ja, ich würde mal sagen, wir sind sicher entspannter. Ob wir keinen Geschmack mehr haben, das weiß ich nicht, weil die Menschen natürlich nach wie vor sehr gut differenzieren können zwischen, also jetzt bei einem abstrakten Gemälde und einem Pudel von Jeff Koons.
Der Unterschied zwischen einem Bild von Kandinsky und einer Plastik von Jeff Koons ist ja nicht verschwunden, nur führen wir nicht mehr diese Kämpfe, die das 20. Jahrhundert gekennzeichnet haben, nämlich zu sagen: Es gibt die wahre Kunst, die echte Kunst, die avantgardistische Kunst, die richtige Kunst, und daneben gibt es nur noch den Kitsch, und der Kitsch ist von Übel, weil er falsche Bedürfnisse auf falsche Art und Weise erzeugt und befriedigt.
Also das sehen wir, glaube ich, anders, ohne deshalb zu verkennen, dass sozusagen in einem spielerischen Umgang mit Kitschelementen oder mit Kitschverfahren, mit Farbigkeit, mit Lieblichkeit, mit Harmonie, mit Assoziationen an kindliche Erlebniswelten, ohne dass wir übersehen, dass das natürlich jetzt was anderes ist als künstlerische Ansprüche, die ganz andere Hintergründe und ganz andere Intentionen haben.
Scholl: Wenn Sie, Herr Liessmann, jetzt demnächst vielleicht in Wien vielleicht auf einen Weihnachtsmarkt gehen und viele Menschen da durchgehen und sagen, oh Gott, was für ein grässlicher Kitsch, die vielen Figürchen und Kerzchen und Engel und so – sieht der Philosoph und der Liebhaber der schönen Dinge Liessmann da was anderes?
Legitime Sehnsüchte auf einem Weihnachtsmarkt
Liessmann: Er sieht beides. Er sieht natürlich sozusagen diese unglaublichen kommerziellen Anstrengungen, die dahinter stecken, das heißt, das reine Marktgeschehen, das natürlich mit also sozusagen Reizen arbeitet, die einerseits Aufmerksamkeit erregen sollen, die andererseits sozusagen Sentimentalität erzeugen sollen, die nostalgische Gefühle erwecken sollen, die wir eben im Kontext von Weihnachten ohnehin schon in einer sehr umfassenden und eigentlich schon säkularisierten Sinne verbinden.
Und auf der anderen Seite sieht er natürlich auch mit einer gewissen kindlichen, aber ironisch gebrochenen Freude diese Dinge, denn da leuchtet etwas, da glitzert etwas, da duftet etwas, das sind sozusagen auch sinnliche Erlebniswelten, die ja gerade in einer kargen und sehr, sehr effizienz- und nutzenorientierten Welt oft nicht mehr anzutreffen sind.
Meine These ist ja, dass ja solche Dingagglomerationen, wie sie etwa ein Weihnachtsmarkt bietet, natürlich durchaus legitime Sehnsüchte, vielleicht auf eine etwas problematische Art und Weise zum Ausdruck bringen können und auch befriedigen können, wie es uns ansonsten wahrscheinlich in dieser Welt immer schwieriger gelingen kann.
Scholl: Und die Kinderaugen, die leuchten sowieso. Mit diesen Gedanken also könnte man die Ausstellung in der Kunsthalle Münster betreten, die am Samstag eröffnet wird, „Die Liebe zu den Dingen“, sie läuft bis zum 30. März nächsten Jahres. Danke Ihnen, Konrad Paul Liessmann in Wien.
Liessmann: Ich danke Ihnen!
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