Polen sträubt sich gegen Aufnahme muslimischer Flüchtlinge
Im Rahmen der EU-weiten Umverteilung sollen auch in Polen 7.000 Menschen ein neues Zuhause finden – aber die Regierung versucht, das abzuwehren. Bevölkerung und Kirchenleute stehen vor allem der Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen skeptisch gegenüber.
Vor einem Döner-Imbiss in der Krakauer Altstadt hat sich eine riesige Schlange gebildet. Der Mann, der hier seit acht Jahren den gegrillten Snack zubereitet, heißt Abdul und ist in der tunesischen Hafenstadt Sousse geboren. 38 Urlauber sind dort im vergangenen Jahr von einem muslimischen Extremisten erschossen worden. Ein Ereignis, auf das Abdul schon oft angesprochen wurde. Seit Monaten ist seine Meinung auch in Sachen Flüchtlinge gefragt. Ob sie nach Polen kommen sollen?
"Ich denke, lieber nicht – die kulturellen Unterschiede sind riesig und es lebt sich hier sehr schwer. Man verdient wenig, die Mieten sind hoch. Siebentausend Menschen werden erwartet. Ich frage mich, was sollen sie hier machen? Außerdem, weiß man, ob sie ruhig sind, ob keine Terroristen dabei sind? Nein, lieber nicht."
Selbst Muslime warnen vor dem Leben in Polen
Abdul spricht vielen Polen aus dem Herzen, die die geplante Aufnahme von überwiegend muslimischen Flüchtlingen für problematisch halten. Angst vor djihadistischem Terror, vor einer schleichenden Islamisierung des überwiegend katholischen Landes, vor kulturellen Differenzen und chaotischen Zuständen in den Gemeinden– es gibt zahlreiche Gründe für die ablehnende Haltung vieler Polen. Halina Grzymała-Moszczyńska, Religionspsychologin an der Krakauer Jagiellonen-Universität, nennt einen weiteren: die Furcht vor dem "Unbekannten".
"Wir haben Angst vor etwas, was wir praktisch nicht bzw. nur aus den Medien kennen. Auf die Frage: ‚Wann sind Sie einem Muslim begegnet?' müssten viele Polen antworten: ‚Noch nie'. Bei uns leben zwar seit 600 Jahren die Tataren oder tschetschenische Flüchtlinge, doch die meisten Polen haben so gut wie keinen Kontakt zu ihnen. Trotzdem sitzt vielen eine diffuse Angst im Nacken, weil sie noch nie einen muslimischen Nachbarn hatten."
Ein Dialog zwischen Christentum und Islam findet nicht statt
Kein Wunder – denn in dem 40-Millionen-Land leben lediglich 25.000 Muslime, erfolgreiche Geschäftsleute wie Abdul gehören auch dazu. Ein christlich-muslimischer Dialog könnte helfen, sich besser kennenzulernen. Aber der finde in Polen nicht statt, meint die Psychologie-Professorin.
"Niemand versucht das Fremde zu ‚zähmen'. Sicherlich liegt es daran, dass es im Lande so gut wie keine muslimischen Intellektuellen gibt."
Die Schrecken der IS-Kämpfer, Berichte über Ehrenmorde, misslungene Integration oder kriminelle Taten, die Flüchtlingen in anderen EU-Ländern zugeschrieben werden, stellen gemäßigte Muslime wie Mohammed unter Generalverdacht. Ohne eine Bildungsoffensive in den Medien hält der ägyptische Anwalt, der in Polen ebenfalls in der Gastronomie arbeitet, die Aufnahme von Flüchtlingen für falsch.
"Hoffentlich kommen die Flüchtlinge nicht nach Polen. Das wäre schlecht für sie und für uns. Sollte es Schwierigkeiten geben, werden wir zum Sündenbock. Genauso sieht die Situation in Ungarn, Tschechien oder in der Slowakei aus. Viele Polen haben Angst vor dem Islam, die Politiker und auch die Medien verstärken antiislamische Ressentiments, anstatt den Bürgern zu erklären, wie die Muslime wirklich sind."
Kirche will am liebsten irakische und syrische Christen aufnehmen
Die katholische Kirche Polens versucht das bereits. Vor 15 Jahren ist dank ihrer Initiative der gemeinsame "Rat der Katholiken und Muslime" entstanden. Vorträge und Diskussionsrunden über den Islam gibt es verstärkt zum jährlichen "Tag des Islam" am 26. Januar. Aber ginge es nach den polnischen Bischöfen, soll das Land besonders irakische und syrische Christen aufnehmen. Das erleichtere die Integration, meint der Krakauer Dominikaner, Tomasz Gałuszka, der eine Hilfsaktion organisiert hat.
"Als der Papst an die Gemeinden appellierte, jede möge zumindest eine Familie aufnehmen, haben wir angefangen, Geld zu sammeln. In Polen leben bereits zahlreiche syrische Familien, die auf Einladung der Stiftung ‚Esther' kamen. Mit unserer Spende haben wir eine sechsköpfige Familie im schlesischen Tychy unterstützt. Solche Aktionen werden wir in Zukunft einmal im Monat durchführen."
Sprache, Religion und Kultur sind zu unterschiedlich
Christliche Solidaritätszeichen wie diese fallen auf fruchtbaren Boden auch unter jungen Polen, meint Monika Rochowiak. Doch neben Begeisterung beobachtet die Religionslehrerin große Verunsicherung unter ihren Schülern.
"Ich unterrichte Jugendliche zwischen 14 und-16 Jahren. Viele haben Angst vor dem Islam und vor den Flüchtlingen, vor einer fünften Kolonne in ihrer Heimat. Sie wünschten sich, die Migranten in kleinen Gruppen unterzubringen, damit keine Ghettos entstehen. Im Idealfall sollen es Christen sein. Polen hat viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Sie zu integrieren, ist viel einfacher als syrische Flüchtlinge. Dafür sind unsere Sprachen, Religion und Kultur zu unterschiedlich."
Wem soll das Land die Hand reichen – Christen oder Muslimen? Für den Krakauer Orientalisten Pater Jan Żelazny ist das zweitrangig. Seine Antwort: nicht Hals über Kopf handeln, alle Hilfsmaßnahmen gut durchdenken.
"Polen soll zuerst klare Aufnahme-Kriterien schaffen. Wir sollen Menschen reinlassen, die wirklich Schutz brauchen, bereit sind zu arbeiten. Wer das nicht will, kann mit einer Absage rechnen. Als ich im Libanon war, sah ich ein beängstigendes Fernseh-Interview mit einem Vertreter der salafistischen Gruppierung Al-Nusra-Front. Auf die Frage: ‚Wofür kämpft ihr?' antwortete er: ‚Für die Demokratie'. Anschließend erklärte er das Wort ‚Demokratie' mit ‚Scharia'."
Dass der extremistische Islam in Polen keinen Fuß fasst, dafür müsse der Staat sorgen, fügt der Priester hinzu. Integration ist möglich, das liegt auf der Hand. Polens Geschichte kennt ein weitgehend friedliches Zusammenleben zwischen ethnischen und religiösen Gruppen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Land an der Weichsel mit großen ukrainischen, jüdischen, deutschen und weißrussischen Minderheiten sehr multikulturell.