So lebt es sich als elfjähriges Wunderkind
Mit sechs Jahren komponierte Alma Deutscher ihre erste Oper - inzwischen ist das britische Mädchen elf Jahre alt. Wie sieht das Leben eines von der Öffentlichkeit bestaunten Wunderkinds aus?
"I've done lots of interviews and I travel a lot. And so I think I get more experienced everytime I do have an interview. I extremely enjoy playing and now I also enjoy the talking.”
Alma Deutscher ist ein Medienprofi. Es mache ihr nicht nur extrem Spaß, öffentlich mit ihrer Musik aufzutreten, sagt sie, sie genieße es mittlerweile auch, darüber zu sprechen.
Lange braune Haare, kluge Augen und eine sehr lebendige Mimik im runden Gesicht - ein ganz normales Kind auf den ersten Blick - und doch ganz anders: Mit zwei Jahren konnte sie Noten lesen, mit drei spielte sie Händel, mit vier begann sie zu komponieren. Kammermusik, je ein Violinkonzert und ein Klavierkonzert sind entstanden, zwei Opern.
Öffentliche Existenz als bestauntes Wunderkind
Auch vor ein fremdes Publikum zu treten scheint für Alma buchstäblich ein Kinderspiel: eigene Werke auf der Geige oder am Klavier zu spielen, auch mal eine Arie dazu zu singen, um zwischendurch einem Moderator routiniert Rede und Antwort zu stehen.
An die öffentliche Existenz als bestauntes Wunderkind hat sich Alma Deutscher offenbar gewöhnt. Kaum aber ist ein Auftritt vorbei, taucht sie auch gleich wieder ab in ihre eigene Welt:
"Ich laufe herum mit meinem Springseil. Das benutze ich aber nicht zum Springen, ich schwinge es nur durch die Luft und denke mir dabei in meinem Kopf Geschichten dazu aus, ich bekomme dadurch Inspiration. Oft träume ich auch von meinem Fantasieland, in dem dann zum Beispiel ein paar Komponisten auftreten- und diese Konzerte sind dann oft wunderschön."
Almas Fantasieland heißt Transsylvanien
Almas Fantasieland heißt Transsylvanien - mit deutscher Endung wohlgemerkt, wie auch viele Namen der dortigen Orte und Personen recht deutsch klingen. Allerdings nicht der Komponist, der es ihr besonders angetan hat: Antonin Yellowsink: Auch er lebt in diesem Musiker-Paradies.
"Mein Fantasieland Transsylvanien ist ein wunderschöner Ort, da gibt es Wälder und Seen und Villen drumherum. Aber es gibt auch Städte und Straßen, die sehen ein bisschen aus wie hier in Deutschland. Und da gibt es eine berühmte Musikschule namens Mantonburg, wo alle berühmten Komponisten waren. Auch Antonin Yellowsink ist dort hingegangen, er ist einer der besten, ich klaue oft seine Melodien und ich bin dort auch zu Hause, aber ich gehöre noch nicht zu den berühmten Komponisten, ich bin ja noch nicht erwachsen."
Wenn Alma Deutscher gerade nicht in ihrem Fantasieland oder auf Konzertreisen unterwegs ist, dann lebt sie mit Eltern und jüngerer Schwester im beschaulichen Dorking, 40 Kilometer vor London, in einem ruhigen Anwesen samt Garten und Baumhaus. Sie macht Musik und liest, geht zum Ballett, trägt ständig Perücken, um in verschiedene Rollen zu schlüpfen – und geht vor allem nicht zur Schule.
Musikalisch aus der Zeit gefallen
Die Eltern unterrichten sie: die Mutter Janie, einer Anglistin, und der Vater, Guy, Linguist und Buchautor. Er managt die internationalen Auftritte von Alma, weil er ihr Talent hinaus in die Welt tragen will. Dafür muss er sich häufiger die Frage gefallen lassen, was ihn von berüchtigten anderen Vätern von Kinderstars unterscheidet:
"Manchmal sagen mir Leute oder schreiben: 'Armes Kind, sie hat so wenig von ihrer Kindheit'. Wir lachen dann, denn das ist das Lustigste überhaupt, denn sie hat sehr viel mehr Kindheit als sogenannte normale Kinder. Sie muss keine Klassenarbeiten ablegen, sie ist frei, fast wie ein Vogel. In vielerlei Hinsicht ist sie kindischer als Kinder, die in die Schule gehen, denn dort wird dir oft jegliche Fantasie und Individualität ausgetrieben, weil einfach das System so aufgebaut ist. Alma hat alle Zeit der Welt, ihr Ding zu machen. In vielerlei Hinsicht hat sie mehr Kindheit als die meisten anderen Kinder."
Alma ist auch musikalisch etwas aus der Zeit gefallen. Ihr Geschmack ist konservativ. Sie liebt die melodische Schönheit und den harmonischen Wohlklang der Wiener Klassik und der Romantik: Mozart, Schubert, Tschaikowskij gehören zu ihren Lieblingskomponisten. Und so klingen ein bisschen auch ihre eigenen Werke, deren Motive, wie sie sagt, ihr nur so zuflögen, quasi wie von selbst kommen, während die Ausarbeitung dann oft langweilig und etwas mühevoll sei.
Die Oper ins Herz geschlossen
Alma imitiert, vielleicht ganz altersgemäß, einen Stil der Vergangenheit, aber sie steht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung als Komponistin. Das Talent ist gewaltig, und große Förderer sind längst zur Stelle:
"Leute wie Simon Rattle sind da extrem hilfreich. Sie würden Alma natürlich gern die Türen zu verschiedenen Arten von Musik öffnen. Simon Rattle hat ja eine große Leidenschaft für moderne Musik. Das ist leider bislang noch nicht Almas Geschmack. Aber er hat sie schon mitgenommen zu einigen Proben, und ließ sie verschiedene Musikstile hören."
Gattungstechnisch hat Alma Deutscher vor allem die Oper ins Herz geschlossen. Mit sechs ist die erste, entstanden, danach hat sie angefangen, für eine abendfüllende Oper Arien zu sammeln. Ihre Cinderella spielt in einem Opernhaus, und das Happy-End kommt, als das junge Komponisten-Aschenbrödel auf den Dichter-Prinzen trifft, so dass Lyrik und Wort endlich eine glückliche Einheit bilden können.
Das Wort ist ihr auch ohne Musik ganz wichtig: Momentan schreibt Alma zudem mal eben so an einem mehrbändigen Roman - zusammen mit ihrer Mutter - und sie beschäftigt sich mit diversen Komponisten-Biographien - und damit, warum dieser Beruf manch anderer nicht vergönnt war. Mozarts Schwester Nannerl:
"Ich habe viele Bücher über sie gelesen. Ich weiß, dass sie sehr gern auch Komponistin geworden wäre, aber sie durfte das nicht, weil sie ein Mädchen war Sie musste nähen und kochen und solche Sachen- aber in Transsylvanien gibt es ganz viele Komponistinnen,… Shell, Flora, Ashley und Greensilk und solche Leute."
"Ich bin in einer Kutsche zum Kaiserpalast gefahren"
Schade, dass Nannerl damals Transsylvanien noch nicht kannte. Sie hätte sich vermutlich bestens mit Alma Deutscher verstanden. Die kleine Engländerin lässt jedenfalls keine Gelegenheit aus, Nannerls Zeiten irgendwie näher zu kommen. Zuletzt an ihrem 11.Geburtstag:
"Ich hatte einen wunderbaren Geburtstag! Ich bin in einer Kutsche zum Kaiserpalast gefahren, es war nämlich in Wien. Und dort hatte ich meinen Geburtstagstee in einem Kaffee mit Sachertorte, mit Kerzen drauf, die hat eine Kellnerin reingetragen. Ja, und ja, ich habe diese Wiener Perücke geschenkt bekommen, und sah aus wie Nannerl, so gepudert, das hatte ich mir sehnlichst gewünscht- so bin ich den ganzen Tag rumgelaufen."