Unbezähmbare Muse und Windsbraut
Magisch zog sie große Künstler in ihren Bann: Alma Mahler-Werfel. Sie war die Muse vieler berühmter Männer und kämpfte um schrankenlose Selbstverwirklichung. Vor 50 Jahren starb sie in New York.
Gustav Mahlers symphonische Schlittenfahrt – so wird seine vierte Symphonie gern genannt – entstand um die Zeit, als er seine Familie gründete. Im November 1901 lernte der 40 Jahre alte Dirigent, Komponist und Wiener Hofoperndirektor Alma Schindler kennen – die 21-jährige, kultivierte, schöne Tochter einer Wiener Künstlerfamilie. Sie verliebten sich, rasch folgte die Hochzeit, zwei Kinder wurden geboren, eines starb früh. Nach zehn Jahren starb auch Mahler. Almas Zukunft – das war ihre Nähe zu bedeutenden Künstlern, ihr Kampf um schrankenlose Selbstverwirklichung.
Witwe im Wahn, Femme fatale, unbezähmbare Muse, Windsbraut – das sind ein paar der Beinamen, die diese Frau auf sich zog. Als sie am 11. Dezember 1964 in New York starb, hatte sie drei Ehen sowie zahllose Affären und Freundschaften hinter sich – ein Leben, das opulenter, schillernder, labyrinthischer kaum hätte sein können.
Alma Mahler wird 1879 in Wien geboren. Durch ihren Stiefvater, den Maler Carl Moll, gelangt das bezaubernde Mädchen in die Gesellschaftskreise der Wiener Kunstavantgarde. Der berühmte Gustav Klimt macht der 17-Jährigen den Hof. Alma musiziert, wird Schülerin des prominenten Dirigenten und Komponisten Alexander Zemlinsky, der von ihr fasziniert ist. Zu den Problemen in Almas jungem Leben gehört, dass Gustav Mahler ihr dringend nahelegt, das Komponieren ganz aufzugeben. Der Kreativ-Besessene will keine konkurrierende Kollegin im Haus. Hört man eines von Almas Liedern, lässt sich ein Talent erkennen, aber auch das Fehlen durchschlagender Originalität.
Die Schleusen ihrer Vitalität öffnen sich
"Bei Dir ist es traut", Rilkes Gedicht steht für Alma Mahlers Sehnsucht nach Geborgenheit. Sie beginnt eine Affäre mit dem jungen Architekten Walter Gropius. Mahler erfährt davon, stürzt in panische Selbstzweifel und widmet Alma seine gewaltige achte Symphonie. Nach seinem frühen Tod öffnen sich Alma die Schleusen ihrer Vitalität, sie beginnt eine stürmische Liaison mit dem Maler Oskar Kokoschka, heiratet jedoch, mitten im Ersten Weltkrieg, Walter Gropius – und lässt sich nach fünf Jahren von ihm scheiden. Die Tochter Manon Gropius stirbt als 18-jährige. Noch während ihrer Ehe mit Gropius beginnt sie das Verhältnis mit Franz Werfel und wird schwanger, es folgt die Heirat mit dem elf Jahre jüngeren Dichter.
Der Wiener Komponist Ernst Krenek, mit Almas Tochter Anna Mahler liiert, hat einen scharfen Blick auf die nunmehr berühmt-berüchtigte Witwe Gustav Mahlers:
"Sie war es gewohnt, lange, fließende Gewänder zu tragen, um ihre Beine nicht zu zeigen. Ihr Stil war der von Wagners Brünhilde, transportiert in die Atmosphäre der Fledermaus."
Alma war eine der begehrtesten, umstrittensten Frauen des Jahrhunderts. In ihrem legendären Wiener Salon wirkte sie als Muse der Künstler. In den 30er-Jahren mischte sich Alma, die erklärte Antisemitin, in Hinterzimmern sogar in die Politik ein. 1938 verließ sie Österreich. Was folgte, war das umtriebige Leben im Exil. In Kalifornien verkehrte sie intensiv mit Thomas Mann, Arnold Schönberg und Max Reinhardt, mit Alfred Döblin, Erich Maria Remarque und Lion Feuchtwanger. Später, in New York, zeigte sie einem amerikanischen Journalisten ihre Bildersammlung.
"Da ist ein Porträt, das Kokoschka von mir gemalt hat. Übrigens besitze ich auch die Originalpartituren aller Mahlersymphonien, von der Fünften an."
Es gibt neuerdings Versuche, Alma Mahler-Werfel von Sensation und Anrüchigkeit zu befreien – ihre vulkanartige Wirkung objektiver zu bewerten. Denn ihr Leben, das war vor allem ihre Begeisterungsfähigkeit für alles Künstlerische.