Aloe vera

Gift auf dem Teller

Aloe Vera Plantage bei Antigua, Spanien
Eine Plantage mit Aloe vera in Spanien. © dpa / picture alliance / Ronald Wittek
Von Udo Pollmer |
Die Aloe vera gilt als "Pflanze der Unsterblichkeit". Das seit der Antike bekannte Naturheilmittel hat eine beeindruckende Karriere hinter sich und ist inzwischen als "Gesundkost" in den Gemüsetheken gelandet. Falsch zubereitet ist sie allerdings eine Pflanze der Sterblichkeit.
Die Stuttgarter Lebensmittelüberwachung hat sich – fast zeitgleich mit der Stiftung Warentest – einer sogenannten "Wunderpflanze" angenommen, die gar als "Pflanze der Unsterblichkeit" beworben wird: der Aloe vera. Da konnte offenbar auch der Lebensmittelhandel nicht widerstehen und nahm die fleischigen Blätter ins Sortiment seiner Frischgemüse auf. Leider sind im Blattwerk giftige Anthrachinone enthalten, die vor dem Verzehr sorgfältig entfernt werden müssen.
Essbar ist nämlich nur das gelartige Blattinnere, also der Wasserspeicher der Wüstenpflanze. Ziemlich problematisch ist das gelbe, bittere Sekret, das von einer Art Latexschicht zwischen der grünen Blattrinde und dem Mark abgesondert wird. Deshalb müssen die Blätter geschält und das Gel vor dem Verzehr gründlich mit Wasser abgespült werden. So rät es auch der Beipackzettel.

Renaissance als Naturheilmittel

Aloe vera wird schon lange volksmedizinisch genutzt, äußerlich bei Verbrennungen und innerlich bei Verstopfung sowie zur Bekämpfung von Würmern im Darm. Auch haben Mütter die Finger ihrer Kleinen mit dem gallebitteren Extrakt eingepinselt, um ihnen das Daumenlutschen zu verleiden. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Aloe-Gele erstmals klinisch eingesetzt, um Verbrennungen durch rabiate Strahlenbehandlungen zu lindern.
Heute erlebt die Aloe als Naturheilmittel eine Renaissance. Neben Verbrennungen und Verstopfungen sollte sie zunächst bei Magen-Darm-Geschwüren und Diabetes nützlich sein. Doch inzwischen lässt die Werbung kaum noch eine Krankheit aus. Im Süden der USA hat sich eine ganze Industrie formiert, die Aloe mit modernsten Methoden anbaut und global vermarktet. Stiftung Warentest urteilt allerdings – im Einklang mit der Fachwelt –, dass die behaupteten Wirkungen meistenteils nicht durch klinische Studien belegt seien.

In Verpackungen verboten

Für Arzneimittel, die Anthrachinone enthalten, wurden in Deutschland bereits 1999 strikte Beschränkungen erlassen sowie die Apothekenpflicht eingeführt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfiehlt, die tägliche Zufuhr von 30 mg dieser Toxine nicht zu überschreiten und die Präparate nicht länger als ein bis zwei Wochen anzuwenden. Als Schadstoffe sind Anthrachinone gefürchtet. Deshalb hat das Bundesinstitut für Risikobewertung im Jahre 2013 ihre Verwendung für Verpackungen untersagt – weil sie in Spuren in Lebensmittel gelangen könnten. Für die Lebensmittel selbst fehlen bis heute angemessene Regelungen zum Schutz des Verbrauchers.
Die harmloseste Nebenwirkung der Aloe ist wohl Durchfall, der manchmal von durchschlagender Heftigkeit sein kann, sowie phototoxische Reaktionen der Haut; riskanter sind Störungen der Herzfunktion, Nierenversagen und Leberentzündungen. Schwangere werden vor dem Konsum gewarnt. Zudem wird die Pflanze von den einschlägigen Fachorganisationen als krebserregend eingestuft. Unbeeindruckt davon empfehlen Ernährungswebsites, die bitteren Schalenteile mit zu verwenden – speziell zur Herstellung von Smoothies. Der helle Wahnsinn!

Gemüse mit Beipackzettel

Ein Versuch des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart zeigt: Selbst bei peinlich genauer Einhaltung der Zubereitungshinweise besteht das Risiko, "dass hohe Mengen an toxikologisch bedenklichen Stoffen aus der Klasse der Anthrachinone in das verzehrfertige Blattgel gelangen können". Auch bei korrekter Vorgehensweise kam es zu einer Überschreitung des Grenzwertes, der für Arzneimittel gilt. Die Behörde warnt deshalb ausdrücklich vor der Selbstzubereitung.
Besser sieht die Lage bei industriell gefertigten Produkten aus. Nach den Ergebnissen der Stuttgarter liegen deren Giftgehalte um den Faktor 300 niedriger als bei Selbstzubereitung. Es sei dahingestellt, ob dies im Einzelfall der sparsamen Verwendung des Rohstoffes zuzuschreiben ist oder einer peinlich genauen Kontrolle der Anthrachinon-Gehalte im fertigen Produkt. Egal wie – eine dubiose Arzneipflanze hat im Gemüseregal unserer Supermärkte nichts, aber auch gar nichts verloren. Auch nicht mit Beipackzettel. Mahlzeit!
Literatur:
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BfR: BfR streicht Anthrachinon aus den BfR-Empfehlungen für Lebensmittelverpackungen. Stellungnahme Nr. 005/2013 vom 12. Februar 2013
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