"Wir brauchen eine Wertedebatte"
Alois Glück, Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sieht in dem Flüchtlingsstrom eine nationale Aufgabe. Zugleich warnt er davor, die Zuwanderung nur unter dem Aspekt des wirtschaftlichen Nutzens zu betrachten.
Die Bewältigung der Zuwanderung sei eine große Aufgabe, sagte Glück im Deutschlandradio Kultur - im Hinblick auf die kulturellen und sozialen Dimensionen "vielleicht sogar eine größere als die Wiedervereinigung". Aber: "Je bewusster wir uns damit auseinandersetzen, umso besser werden wir sie meistern."
"Die Menschen, die kommen, werden sich unterschiedlich schnell integrieren", so der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken weiter. Erforderlich sei deshalb eine überlegte Integrationspolitik. Gleichzeitig brauche Deutschland jedoch auch eine Wertedebatte. "Es wird so gesehen auch Stück heilsame geistige Auseinandersetzung im eigenen Lande."
Die Zuwanderung allein unter dem Aspekt des wirtschaftlichen Nutzens zu betrachten, hält der ehemalige CSU-Politiker für falsch. Es werde auch Menschen geben, die hilfsbedürftig sind und deswegen nicht "gleich ein Gewinn sein können". Glück: "Der Maßstab sind schon europäische Werte, christliche Werte und das heißt: Menschen, die wirklich bedroht sind, etwa in ihrem Leben, entsprechend zu helfen - auch wenn es Anstrengung kostet, auch wenn es Geld kostet."
Korbinian Frenzel: Wie wird sich Deutschland verändern durch die vielen Menschen, die in unser Land kommen und von denen viele – so ehrlich sind wir mittlerweile, anders als zu Gastarbeiterzeiten –, von denen viele bleiben werden. Trotz aller erst mal dringend zu lösender praktischer Probleme, die Debatte um die Veränderung ist wichtig, und wir wollen sie fortsetzen mit wichtigen Stimmen dieses Landes, mit Vertretern wichtiger gesellschaftlicher Gruppen. Heute Morgen im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der deutschen Katholiken, Alois Glück. Guten Morgen, Herr Glück!
Alois Glück: Guten Morgen!
Frenzel: Die größte Herausforderung für unser Land seit der Wiedervereinigung – die Kanzlerin hat die Bewältigung der Flüchtlingssituation so eingeordnet, Angela Merkel, aber auch viele andere, machen ja diesen Vergleich mit der Zäsur von 1989. Sehen Sie das ähnlich?
Glück: Ja, es ist sicher eine große historische Herausforderung. In mancher Beziehung vielleicht sogar eine größere, das heißt, was die kulturellen und sozialen Dimensionen betrifft. Die Wiedervereinigung war im Übrigen zum Beginn auch sehr angstbesetzt in unserem eigenen Land, ich habe das selbst in Bayern miterlebt. Jedenfalls ist es eine große Aufgabe, und je bewusster wir uns damit auseinandersetzen, umso besser werden wir sie meistern.
Frenzel: Sie sagen, auch die Wiedervereinigung war angstbesetzt – ich hätte jetzt gesagt, da war immerhin der Vorteil, dass wir sie ja alle wollten, also dass dieser Konsens im Grunde im Land da war, dass alle diese Wiedervereinigung wollten. Können wir das denn jetzt bei dieser Herausforderung auch sagen? Also könnten wir sagen, dieses Land steht hinter der Überschrift "Wir schaffen das"?
"Der Hass wird nun sichtbar"
Glück: Wir haben gegenwärtig einen Veränderungsprozess in unserem Land schon spürbar, der ausgelöst ist durch diesen großen Zustrom, aber gleichzeitig in unserer Gesellschaft offensichtlich schon vorhanden war, und es polarisieren sich ja jetzt schon gewissermaßen Welten. Da ist auf der einen Seite eine Hilfsbereitschaft, wie wir sie vorher wohl nicht vermutet haben, wie viele Menschen sich hier engagieren.
Auf der anderen Seite, und das ist die bedrohliche Seite der Entwicklung, wird Hass, der bislang vielleicht mehr anonym im Netz oder sonst wo tätig war – wo wir nun ja schon seit Jahren immer wieder die Analysen hören, dass sich in unserer Gesellschaft immer mehr auch wieder Hass breit macht –, dieser Hass wird nun sichtbar, er wird artikuliert, er hat Gesichter. Und so gesehen ist das zunächst etwas, was in unserer Gesellschaft vorhanden war und ist, was durch diesen Zustrom aber jetzt gewissermaßen einen konkreten Anlass gefunden hat, im Positiven wie im Negativen.
Das müssen wir als erstes schon einmal aufnehmen – die ganze Frage der Integration beginnt eigentlich mit der Selbstvergewisserung, was ist uns wichtig. Da fordern uns jetzt die Extremen im eigenen Land heraus, und das ist natürlich auch ein wichtiger Punkt im Hinblick auf die vielen Menschen aus anderen Kulturen mit anderen Maßstäben und Prägungen, denen wir verständlich machen müssen, dass hier unsere Regeln und Maßstäbe gelten.
Frenzel: Lassen Sie uns auf diese Veränderung schauen. Was glauben Sie, wie werden die aussehen?
Glück: Insgesamt wird es natürlich einen Prozesscharakter haben, die Menschen, die kommen, werden sich unterschiedlich schnell integrieren, und so gesehen braucht es erstens Mal eine ganz überlegte Integrationspolitik, dass wir keine Ghettos bauen. Wie es sich im Einzelnen auswirkt, wir werden bewusster auch eine Wertedebatte brauchen, und es wird eine heilsame geistige Auseinandersetzung sein in unserem eigenen Land, und dann werden wir in dem Prozess lernen müssen, und im Einzelnen kann man nicht genau sagen, wie es gehen wird.
Es wird alle Bereiche natürlich berühren, vom Alltagszusammenleben, es wird ganz wichtig sein, wie die Dinge in der Berufswelt gelingen, und es geht natürlich auch bis zu Fragen der inneren Sicherheit, aber wir können auch lernen dabei. Wir haben ja sehr unterschiedliche Konstellationen jetzt, wie es gelingt. Wir haben zum Beispiel in München einen höheren Ausländeranteil als in Berlin, aber in München nie die vergleichbaren Probleme, und das hat wieder viel mit Siedlungsstrukturen zum Beispiel zu tun, vielleicht auch mit Mentalitäten.
Frenzel: Wenn Sie sagen integrieren, dann könnte man das ja erst mal so verstehen, ja, auch anpassen derjenigen, die hierher kommen, aber die, die hierher kommen, die bringen ja auch was mit. Gucken wir mal auf ein Feld, auf Ihr Feld, auf das Feld der Religion, da kommen sehr viel gläubige Menschen, allerdings glauben sie nicht unbedingt an unseren Gott. Ist das ein Problem?
Die Grenzen der Religionsfreiheit
Glück: Es ist nicht ein Problem, aber es ist eine Aufgabe, klar zu machen, wir haben hier ein Gemeinwesen, in der die Religionsfreiheit beachtet wird, indem der Staat diese Religionsfreiheit gewährleistet, aber diese Religionsfreiheit wird dort ihre Grenzen haben, wo religiöse Überzeugungen oder Praktiken nicht mit unserem Grundgesetz übereinstimmen. Das heißt, die Richtorientierung ist, das staatliche Gesetz ist für das Zusammenleben maßgebend und nicht die Religionsgesetze.
Die überwältigende Mehrheit der Muslime, der über vier Millionen Muslime, die wir im Land schon haben, hat damit kein Problem, aber diejenigen, die dies nicht akzeptieren wollen, mit denen müssen wir uns aktiv auseinandersetzen, und wer es nicht akzeptieren will, kann auf Dauer nicht in unserem Land bleiben. Solche Regeln müssen klar sein. Wir müssen aber gleichzeitig sie verständlich machen. Das wird diesen Menschen mit ganz anderen Denkwelten nicht einfach dadurch plausibel, dass wir ihnen in ihrer Landessprache unser Grundgesetz geben, sondern das müssen wir auch verständlich machen.
Frenzel: Herr Glück, ich würde gerne mit Ihnen noch über unser Verständnis auch von diesen Einwanderern im Moment sprechen, bei denen ich immer den Eindruck habe, das ist sehr ökonomisch getrieben, wir brauchen Einwanderer, um unsere Renten zu sichern, um Arbeitskräfte zu haben – ist das ein Leitbild, das vielleicht ein bisschen schwach ist, ein bisschen arm, das stärker sein könnte?
Glück: Wir brauchen natürlich auch aufgrund der demografischen Entwicklung Zuwanderung in unserem Land. Das ist ja auch in verschiedensten Formen schon die gegenwärtige Praxis. Aber es kann natürlich nicht nur unter diesem Aspekt gehen, und es wird auch Menschen geben, die einfach hilfsbedürftig sind, die jung oder alt und schwach sind und die deswegen jetzt nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten gleich ein Gewinn sein können.
Von daher kann nicht nur der ökonomische Nutzen der Maßstab sein. Der Maßstab sind schon europäische Werte, christliche Werte und das heißt, Menschen, die wirklich bedroht sind etwa in ihrem Leben, entsprechend zu helfen, auch wenn es Anstrengung kostet, auch wenn es Geld kostet. Auf der anderen Seite ist es ebenso ein christlicher Wertemaßstab, weil wir nicht allen gleichermaßen in der Welt helfen können, zu unterscheiden, wer diese Hilfe nun wirklich und den Schutz notwendig hat und wem auch zuzumuten ist, dass er eben bei uns nicht bleiben kann.
Frenzel: Der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Katholiken, Alois Glück, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Glück: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.